Kunst: Kein Garant für Innovation

Künstler werden von der Wirtschaft gerne umworben. Nicht zuletzt, weil sie Kreativität versprechen und damit Innovationen. Die US-Softwareschmiede Autodesk hat 2012 ein ambitioniertes Künstlerinnenprojekt samt Hightech-Werkstätte geschaffen – und sich im Vorjahr davon verabschiedet.

Normalerweise macht Autodesk Design- und Animationssoftware für die Architektur-, Maschinenbau- bis hin zur Unterhaltungs- und Telekommunikationsbranche. In einer rund 3.000 Quadratmeter großen Kreativ-Werkstatt am Ufer von San Francisco arbeiteten sechs Jahre lang aber auch unterschiedlichste Künstlerinnen und Künstler und stellten mithilfe von modernsten 3-D-Druckern, Metall- und Holzmaschinen sowie Designprogrammen Kunst her.

Autodesk ist nicht die erste und einzige Firma, die ein sogenanntes „Artists in Residence“-Programm ins Leben rief. Facebook lässt nach wie vor die Arbeitsräume von Künstlerinnen und Künstlern verschönern und setzt darauf, dass die Kunstwerke die Mitarbeiter inspirieren. Auch IKEA hat ein Designlabor, wo Neues ausprobiert wird. Das Europäische Kernforschungszentrum CERN wiederum erhofft sich durch die Künstler Forschungsinspirationen und neue Blickwinkel auf die Teilchenwelt.

„Es gibt eine Vielzahl solcher Kooperationen. Jedes Unternehmen geht dabei aber unterschiedlich viel Risiko ein: Manche erwarten sich von den Künstlern, dass die Dinge bestehende Produkte besser machen. Andere wiederum suchen Innovationen, die sich vermarkten lassen. Andere wollen nur die Büroräumlichkeiten verschönern“, erklärt Noah Weinstein. Er war einer der Initiatoren des „Artists in Residence“-Programms bei Autodesk, für das 2012 mit „Pier 9“ die Kreativ-Werkstatt eigens gebaut wurde.

Vom Künstler bis zum Koch

Im Schnitt vier Monate lang konnten sich hier 15 bis 50 Künstlerinnen und Künstler austoben und mit neuesten Technologien arbeiten. „Ich habe einige Werkstätten weltweit gesehen und würde sagen, es war sicher einer der am besten ausgestatteten Werkstätten für digitale Fertigungen. Es war mehr als ein herkömmlicher Maker-Space. Alle, die bei uns waren, haben studiert und kannten sich auch mit Technologien aus. Es war also eher wie ein Post-Doc-Programm, um Dinge zu machen.“

Tour durch Pier 9 von Charlie Nordstrom

„Künstler und Künstlerinnen“ waren aus Sicht von „Pier 9“ viele: neben Kunstschaffenden im engeren Sinn auch Architekten, Raumfahrt- und andere Ingenieure, Physiker und Köche. „Die meisten sind wirklich führend auf ihrem Gebiet gewesen. Sie hatten zudem alle einen künstlerischen Zugang.“ Unterstützt wurden die „Artists in Residence“ bei der Verwirklichung ihrer Visionen von Autodesk-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, die die Werkstatt permanent betreuten: die einen Handwerker oder Experten in der Robotik, andere passten ständig die Programme an, wenn es hakte, eine weitere Gruppe kannte sich mit Bio- und anderen Materialien aus oder wusste, wie man aus den Kunstwerken eine Do-It-Yourself-Anleitung macht.

Technologiegespräche Alpbach

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet „Freiheit und Sicherheit“. Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bei den Technologiegesprächen vortragen oder moderieren.

Zur Person

Noah Weinstein hat Kunst und Umweltwissenschaften an der Brown Universität studiert und war zuletzt Senior Creative Programs Manager für Autodesk. Er wird am 23. August im Arbeitskreis „(Warum) Braucht es Kunst zur Innovation?“ in Alpbach sprechen.

Volle Freiheit

Geht es nach Weinstein, ging das Unternehmen damit sechs Jahre lang viel Risiko ein. Denn Vorgaben und konkrete Vorstellungen, was bei der Kooperation zwischen Autodesk-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern sowie Kunstschaffenden herauskommen soll, gab es nicht. Direkt Profit wollte man mit den Künstlern auch nicht machen, versichert Weinstein. „Die Künstlerinnen und Künstler behielten die Rechte an ihren Kunstwerken und bekamen ein monatliches Gehalt. Das ist auch nicht immer der Fall. Nur so aber können sie sich auch ganz auf ihre kreative Arbeit konzentrieren." Autodesk bzw. die Betreiber von Pier 9 wiederum waren nur an den Gesprächen und die Erfahrungen mit den Künstlern interessiert, sagt Weinstein.

Was das für ein Softwareunternehmen mit einem Umsatz in Höhe von gut zwei Milliarden jährlich letztlich gebracht hat? „Der Wert eines solchen Ortes ist schwer in Zahlen festzumachen. Haben wir in der Zeit ein Produkt entworfen, das Autodesk verkaufen kann? Nein. Darum ging es aber nicht.“ Künstler folgen ihrer Leidenschaft und haben eine klare Vorstellung davon, was interessant ist, erklärt Weinstein. „Sie sind darin trainiert, unkonventionelle Lösungen und Ansätze zu suchen und kreative Gedanken zu kommunizieren.“ Lässt man diese auf die Welt der Bürohelden prallen, entsteht laut Weinstein zwangsläufig Innovation. Wenngleich nicht eine, die man verkaufen kann.

3-D-Experimente, Handprotesen, Roboter-Tattoos

„Wir haben im Pier 9 wirklich die Technologien ausgereizt und beispielsweise geschaut, wie klein oder wie groß man drucken kann oder versucht, eine funktionierende Leber zu drucken. Das war vor allem 2015, 2016, wo man davon ausgegangen ist, dass alles demnächst 3-D-gedruckt wird. Wir haben in dem Labor schnell gemerkt, so schnell wird das nicht passieren.“ Andere Kunstprojekte wiederum schafften Begegnungszonen zwischen Technologien und Menschen. „Eine Ingenieurin und Künstlerin hat einen großen Fabrikroboterarm, wie man ihn von der Autoproduktion kennt, dazu gebracht, ihren Bewegungen zu folgen. Sie hat den Roboter in einem Museum der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Das war für viele das erste Mal, dass sie mit Robotern in Berührung gekommen sind.“

Kieran's Hand von Charlie Nordstrom

Ein weiteres Projekt wiederum designte und druckte in der Pier9 Werkstatt günstige, mechanische Handprothesen für Kinder, denen einzelne Finger oder der untere Arm fehlten. Ein weiteres Künstlerduo baute einen Roboterarm, der vorsichtig eine Spirale in den Unterschenkel seines Entwicklers tätowierte. „Es gab unglaublich viele Projekte, die in kürzester Zeit realisiert wurden. Man schafft an so einem Ort ein offenes Arbeitsklima und mehr Begeisterung und Neugier dafür, was mit Technologie möglich wäre. Ich denke, das macht letztlich Innovation aus.“ Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das normale Geschäft von Autodesk am Laufen hielten, machten ab und zu in der Werkstatt mit. „Insgesamt waren es rund 1.200“, so Weinstein.

Neuer Weg: Startups und Firmen statt Künstler

Dass in der Werkstatt am San-Francisco-Ufer nach sechs Jahren letztlich aber doch „nur“ Kunst und nichts Verwertbares entstand, dürfte nicht alle überzeugt haben, gesteht Weinstein. „Die eine Hälfte war davon begeistert. Die andere Hälfte sagte, wir machen Produkte, also sollen die Leute von außen auch Produkte machen.“ Diese zweite Hälfte scheint nun das Sagen bei Autodesk zu haben. Mit dem Führungswechsel bei Autodesk - Andrew Anagnost löste CEO Carl Bass ab - wurde Anfang 2018 auch das Konzept der Hafen-Werkstatt umgestellt.

Nun werden nicht einzelne Künstler, Köche und Physiker geladen, sondern Startups, Partnerfirmen und private Forschungsgruppen, die wie Autodesk im Bereich Bau, Produktion und neue Technologien forschen und arbeiten, heißt es in der Ausschreibung. Die Innovationen scheinen nun in der Tat weniger künstlerisch und direkt verwertbar zu sein. So fand die Firma CW Keller, die Design- und Fertigungstechnologie herstellt, in dem neuen Innovationslabor einen Weg, wie man Bauprojekte mithilfe von Augmented Reality besser planen kann. Das US Olympic Sailing Team wiederum will in der Autodesk-Werkstatt ihre Segelboote schneller machen. „Diese Menschen haben klare Ziele und Produktvorstellungen und werden weniger Fragen stellen. Das schafft zwar konkrete Produkte, begrenzt aber die Freiheit.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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