Meeresschildkröten auf dem Laufband

Den Weg ins Meer müssen jungen Meeresschildkröten selbst finden. Wegen der Lichtverschmutzung verirren sie sich heute häufiger. Außerdem schaffen sie nur mehr kurze Strecken, wie Experimente auf dem Laufband zeigen. Vermutlich eine Folge der Erderwärmung.

Meeresschildkröten kriechen an den Strand, legen ihre Eier in den Sand und krabbeln zurück ins Meer. Der Nachwuchs bleibt sich selbst überlassen. Den Weg vom Nest zurück ins Wasser müssen die frisch geschlüpften Tiere selbstständig finden. „Hier, an der Ostküste der Vereinigten Staaten, finden wir im Sommer die meisten Meeresschildkrötennester am gesamten Nordwestatlantik“, sagt Sarah Milton. Die US-Amerikanerin forscht an der Biologieabteilung der Florida Atlantic University. Vor allem beschäftigt sie sich mit Unechten Karettschildkröten und Grünen Meeresschildkröten.

Junge Meeresschildkröte im Sand

Sarah Milton

Junge Meeresschildkröte im Sand

Die Wissenschaftlerin beobachtet seit Jahren, dass es den Tieren zunehmend schwerer fällt, aus dem Nest heraus über den Sand in den Ozean zu krabbeln. Ein Grund dafür ist die Lichtverschmutzung am Strand. „Normalerweise finden die Tiere das Wasser, indem sie sich von der dunklen Strandseite abwenden“, erklärt Milton. „Sie orientieren sich in Richtung flacher Horizont und Licht.“ Das könne der Mond sein oder Sterne, die sich auf der Ozeanoberfläche spiegeln. Weil aber viele Strände mit Hotels verbaut seien, lenke deren Licht die Schlüpflinge ab. Deswegen würden sie oft auf Parkplätzen landen, auf Straßen oder in Swimmingpools. Etwa die Hälfte der Schlüpflinge verlaufe sich so. Nur etwa eines von tausend Tieren schafft es in den Ozean.

Schildkröten auf dem Laufband

Die Tiere legen auf dem Strand manchmal eine Meile zurück – und das bei ihrer geringen Größe von nur wenigen Zentimetern. „Das wäre ungefähr so, als würden wir uns des Nachts um 50 Meilen verlaufen“, vergleicht Sarah Milton. „Wir haben uns gefragt: Wenn die Schlüpflinge solange auf dem Strand herumgeirrt sind und endlich den Ozean erreichen - haben sie dann überhaupt noch genug Kraft zu schwimmen?“ Denn auch im Wasser gibt es kein Ausruhen. Die Schlüpflinge müssen in Bewegung bleiben. Sie schwimmen 24 Stunden ununterbrochen, um möglichst weit weg von der Küste – wo die Fressfeinde sind -, hinaus in den offenen Ozean zu kommen.

Video: Schildkröten am Laufband

Also hat Sarah Milton die kleinen Tiere auf ein genauso kleines Laufband gesetzt, an dessen Ende eine Lampe scheint, so wie der Mond – Fitnesstraining für Meeresschildkröten: linke Flosse, rechte Flosse ... linke Flosse, rechte Flosse - solange, bis die Schlüpflinge ein Ausdauertraining von einem halben Kilometer hinter sich hatten. „Die Tiere mussten sehr oft anhalten und sich ausruhen“, bilanziert die Meeresbiologin. Sie seien gekrabbelt, hätten angehalten, seien weiter gekrabbelt und so weiter. „Aber je länger sie sich auf dem Strand aufhalten, desto größer die Gefahr, dass sie gefressen werden. Und wenn die Sonne aufgeht, heizen sie sich auf, dehydrieren und sterben.“

Je wärmer, desto weiblicher

Noch bis vor wenigen Jahren waren Schlüpflinge in der Lage, locker ein bis zwei Kilometer zurückzulegen, um das kostbare Nass zu erreichen. Das schaffen sie heute nicht mehr. Ihr mangelndes Durchhaltevermögen führen die Biologen auf die gestiegenen Ozeantemperaturen zurück. Auch Meeresschildkröten bekommen die globale Erwärmung zu spüren, erklärt die Biologiestudentin Heather Seamen, ebenfalls von der Florida Atlantic University. „Der Klimawandel heizt den Sand am Strand auf.“ Ein wärmeres Nest habe Auswirkungen auf die Schlüpflinge: Sie seien kleiner, und sie seien schwächer. Außerdem bestimme die Temperatur das Geschlecht der Tiere: „Je heißer es ist, desto mehr Weibchen schlüpfen.“

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmen sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 12. August 2019 um 13:55 Uhr.

Forschungszentrum:

Gumbo Limbo Nature Center, Florida

Seit einiger Zeit schlüpfen fast nur noch Weibchen. Das wird spätestens in rund 20 Jahren zu einem Problem werden, wenn die Tiere geschlechtsreif sind, auf Partnersuche gehen – aber nicht fündig werden.

Doch im Gegensatz zu den Menschen scheinen Meeresschildkröten bereits einen Weg gefunden zu haben, mit dem Klimawandel umzugehen. “Wir haben Anhaltspunkte dafür, dass sich die Tiere bereits der globalen Erwärmung angepasst haben“ , glaubt Sarah Milton. „Einige Schildkröten legen ihre Eier weiter nördlich, wo es kühler ist. Andere fangen zwei Wochen früher mit der Eiablage an, wenn es ebenfalls noch nicht so heiß ist.“ Kluge Tiere also, die Meeresschildkröten: einfach die Hitze vermeiden, um mobil und gesund zu bleiben...

Guido Meyer, Ö1-Wissenschaft

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