Plädoyer für eine digitale Ethik

Technik sollte mehr menscheln: So könnte man den Appell Sarah Spiekermanns salopp zusammenfassen. Die Wirtschaftsinformatikerin plädiert für eine digitale Ethik - und für Beipacktexte für digitale Nebenwirkungen.

Bei der Digitalisierung sollten Menschen und die sozialen Auswirkungen von Technologie im Mittelpunkt stehen und nicht der wirtschaftliche Profit, so Spiekermann, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der WU Wien, bei den Technologiegesprächen in Alpbach.

Sarah Spiekermann

ORF - Hans Leitner

Sarah Spiekermann

Das digitale Fieber habe sie schon früh gepackt, erzählt Spiekermann, nämlich im Jahr 1996. In dem Jahr war sie beim Silicon-Valley-Unternehmen 3Com beschäftigt, einige Monate später wechselte sie zum Tech-Startup Apenwaze, das am mobilen Internet arbeitete. Damals wie heute stellen Technologieentwickler zu wenige Fragen, glaubt Spiekermann, nämlich wenn es darum geht, was wir Menschen von der Technik wollen: „Bei der Entwicklung von neuen digitalen Dienstleistungen würden sich viele Firmen viel zu sehr danach richten, was technisch machbar sei.“

Beipackzettel für digitale Nebenwirkungen

Spiekermann möchte Technik mit Sorgfalt entwickeln und auf mögliche digitale Nebenwirkungen aufmerksam machen. Über unerwünschten Nebenwirkungen müsse man sich schon beim Entwickeln der Produkte Gedanken machen. Datenschutz und Privatsphäre sollten beispielsweise eine Grundvoraussetzung bei digitalen Produkten sein, so wie es im Lebensmittelbereich Hygienevorschriften gibt.

„In der Lebensmittelbranche ist die Zertifizierung von Produkten ja auch selbstverständlich. Bevor Getränke auf den Markt kommen, müssen sie bestimmte Auflagen erfüllen“, vergleicht Spiekermann gegenüber science.ORF.at. „Coca Cola fand es vermutlich auch nicht toll, als sie die Kilokalorien auf die Getränkeverpackung schreiben mussten. Genau so etwas brauchen wir auf Packungsbeilagen der digitalen Produkte.“

Auf digitale Dienste oder Soziale Medien umgelegt, würde ein digitaler Beipackzettel dann darüber informieren, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Fehler im System auftauchen könnte oder ein Foto in den Sozialen Medien authentisch ist oder gefälscht.

Werte in die Technik programmieren

In den Prozess der Technologieentwicklung könnte künftig ein Schritt eingebaut werden, der eine Werteagenda integriert, sagt Sarah Spiekermann, die derzeit auch mit dem internationalen Ingenieursverband IEEE Systemstandards entwickelt.

Schon beim Aufsetzen der Projektidee sollen Fragen gestellt werden. Zum Beispiel: Wie wirkt sich ein Sprachassistenzsystem oder ein Roboter in einem Umfeld mit Kindern aus? „Wir müssen weg von der Produktentwicklung, die sich nur um ‚hier noch ein Knöpfchen, da noch ein Knöpfchen‘ dreht - also weg von der Funktionalität eines digitalen Dienstes hin zu einer Werteagenda.“

Transhumanismus und Digitale Ethik

Nachdem Spiekermann die 1990er im Silicon Valley verbrachte, wechselte sie in die Wirtschaft, seit 2009 ist sie Professorin für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der WU Wien. Losgelassen hat sie die Tech-Elite aber nicht ganz, einer der Silicon-Valley-Köpfe hat Spiekermann unter anderem dazu motiviert, ihr aktuelles Buch „Digitale Ethik. Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert“ (Leseprobe) zu schreiben: Ray Kurzweil, Futurist und Director of Engineering bei Google.

Technologiegespräche Alpbach

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion.

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Kurzweil ist glühender Anhänger des Transhumanismus und glaubt, mit zukünftigen technischen Entwicklungen den Tod aufhalten zu können. In seinem Buch „Menschheit 2.0. Die Singularität naht“ prognostiziert er, dass im Jahr 2045 die Intelligenz der Maschinen die Intelligenz von uns Menschen übertreffen werde. „Da beschreibt er, wie Menschen wie dumme Tiere im Zoo gehalten werden, wie wir unsere Gehirne in Künstliche-Intelligenz-Systeme laden. Ich fand das so erschreckend, dass ich dem etwas entgegensetzen wollte.“

„Wie geil wären handyfreie Zonen?“

Auf das diesjährige Thema der Alpbacher Technologiegespräche „Freiheit und Sicherheit“ angesprochen, appelliert Sarah Spiekermann an mehr Freiheit in unserem digitalen Leben: „Wir brauchen Räume, in denen wir ohne digitale Geräte sind, damit wir wieder frei sein können. Unser Handy könnten wir am Abend zum Beispiel in ein Schlafkästchen legen.“

Die Leiterin des Instituts für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der WU Wien zeichnet auch das Bild von einem Universitätscampus ohne Smartphones. So wie es Raucherzonen gibt, könnte man ja auch Handyzonen einführen, schlägt Spiekermann vor: „Wie geil wären denn handyfreie Zonen auf einem Universitätscampus? Wir alle könnten ein bisschen zur Ruhe kommen und uns auf die Uni konzentrieren. Ich glaube, die Leute wünschen sich das, aber wenn man das öffentlich artikuliert, hört man ja eher: ‚Die spinnt doch!‘"

Dass sich Freiheit und Sicherheit oft ausschließen, ist für Sarah Spiekermann ein logischer Fehler. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte würden Freiheit und Sicherheit ja auch auf ein- und derselben Stufe stehen – nämlich nebeneinander.

Julia Gindl, Ö1-Wissenschaft

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