Auf dem Weg zum Gedankenlesen

Mit einem Gerät Gedanken lesen: Noch ist das eine Utopie. Der US-Neurologe Jack Gallant kommt dieser Utopie aber schon sehr nahe. Er kann aus der Hirnaktivität von Probanden auslesen, welche Bilder sie gesehen haben.

Noch wirken die entschlüsselten Bilder eher wie Traumdarstellungen oder verschwommene Tintenflecke und haben nur vage Ähnlichkeiten mit den Filmsequenzen, die den Probanden im Gallant Lab der Berkeley University vorgespielt wurden. Das liege daran, dass nur zwei oder drei Hirnareale ausgewertet wurden, erklärt Jack Gallant bei den Technologiegesprächen in Alpbach. Das Sehvermögen verteile sich aber auf über 50 Hirnareale.

Eine „Landkarte“ des Gehirns

Um Gehirnaktivitäten entschlüsseln zu können, muss man diese zuerst verschlüsseln. Jack Gallant und sein Team haben eine „semantic map“ des Gehirns erstellt, eine Landkarte der Großhirnrinde, die die Bedeutung von Wörtern im Gehirn lokalisiert. Wenn wir ein Wort hören oder lesen, dann wird nämlich nicht nur ein einzelner Bereich unseres Gehirns aktiv, sondern ein ganzes Netzwerk von Hirnarealen.

„Wenn wir beispielsweise kartieren, wo die Bedeutung des Wortes Hundes in Ihrem Gehirn existiert, wird es ein Dutzend Orte geben, die die Idee des Hundes repräsentieren“, erklärt Jack Gallant. Die „Idee Hund“ umfasst nämlich nicht nur die Vorstellung wie ein Hund aussieht, sondern auch wie er riecht oder wie er sich verhält. „All diese Aspekte von ‚Hund‘ sind in verschiedenen Hirnarealen vertreten und arbeiten zusammen, um das Konzept ‚Hund‘ in Ihrem Hirn zu erschaffen.“

Wörter und Bedeutungen auslesen

Die Landkarten erstellt haben die Forscher auf Basis unzähliger Daten. Sie haben Probanden Podcasts vorgespielt und dabei mit Hilfe eines Magnetresonanztomographen dokumentiert, wie sich die Aktivitätsmuster im Gehirn verändern. Maschinelles Lernen und ausgefeilte Algorithmen machten aus dem angehäuften Datenberg einen „Gehirnatlas der Bedeutungen“ - siehe Video unten.

Unser Gehirn sortiert Wörter nach bestimmten Kategorien. Hören oder lesen wir Begriffe wie Mutter, Familie oder Ehemann, so reagieren dieselben Areale unseres Gehirns. Unterbewusst haben wir diese Wörter also miteinander verbunden. Dasselbe gilt beispielsweise auch für Wörter die Zeiten angeben, wie Monat, Stunde oder Wochenende. Die Forscher haben diese Cluster durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet. Rot steht beispielsweise für soziale Zusammenhänge, Grün für visuelle Bedeutungen.

Ähnlich und doch individuell

Unsere Gehirne ähneln sich, sind aber gleichzeitig auch sehr unterschiedlich. Die Forschungsergebnisse belegen: Zu 30 Prozent sind die Sprachkarten in unseren Gehirnen ident, zu 70 Prozent sind sie allerdings von Person zu Person unterschiedlich. „Das hat wahrscheinlich mit individuellen Unterschieden in der Entwicklung und Lernen zu tun“, mutmaßt der Forscher.

Technologiegespräche Alpbach

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion.

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Erklärbar sind die Unterschiede auch dadurch, dass Menschen sich auf unterschiedliche Aspekte konzentrieren. Jack Gallant erklärt das anhand eines Beispiels. Wenn er den Probanden eine Geschichte von einem Buben vorspielt, der seinen Hund verloren hat, dann konzentrieren sich manche auf den Buben – machen sich Sorgen, ob er nun traurig sei. Andere leben mit dem Hund mit und fragen sich, wo er nun ist. „Konzentriert man sich auf verschiedene Dinge, spiegelt sich das in den individuellen Gehirnlandkarten wider.“

Vom Verschlüsseln zum Entschlüsseln

Normalerweise verschlüsseln die Forscher Informationen. Sie stellen ihren Probanden kognitive Aufgaben, beobachten dabei die Gehirnaktivitäten mit Hilfe eines Magnetresonanztomographen (MRT) und erstellen auf Basis der erhobenen Daten Modelle des Gehirns. „Man kann das Ganze aber auch umdrehen und von den Gehirndaten Rückschlüsse auf die Aktivitäten der Probanden ziehen“, sagt Jack Gallant. „Das nennt man dann ein Dekodierungsmodell, eine Entschlüsselung.“

Anwendungsfälle für diese Entschlüsselung gebe es viele, meint der Neurowissenschaftler. Nützlich könnte diese Dekodierung beispielsweise für Menschen sein, die nach einem Schlaganfall an einer Sprachstörung leiden. „Man könnte über einen ‘Gehirn-Entschlüssler’ ihre Gehirnaktivitäten entschlüsseln und über einen Lautsprecher neben dem Bett abspielen.“

Verschiedene Wörter, deren Bedeutung im cerebralen Kortex repräsentiert sind

Alexander Huth, Jack Gallant et al

Entschlüsselung nur so gut wie die Messtechnik

Obwohl die Entschlüsselung funktioniert, sind die Ergebnisse noch ziemlich schemenhaft. „Im Moment ist die Qualität der Gehirn-Entschlüssler durch die Qualität des MRTs begrenzt“, erklärt Jack Gallant. MRT sei aktuell zwar die beste nicht-invasive Methode, um das Gehirn zu vermessen, es misst aber nur einen winzigen Bruchteil, weit weniger als ein Prozent aller Informationen im Gehirn. Um bessere Ergebnisse zu erhalten, bräuchten die Forscher eine bessere Technologie für die Gehirnmessung.

Das Team rund um Jack Gallant hat auch versucht einen Sprach-Entschlüssler zu bauen. „Das ist aber aktuell noch eine ziemliche Katastrophe.“ Menschen sprechen sehr schnell, viele drei bis fünf Wörter in der Sekunde. Das MRT liefert jedoch nur alle ein bis zwei Sekunden ein Messergebnis. Auf Basis eines Messergebnisses eine Sequenz von bis zu zehn Wörtern zu entschlüsseln, sei nicht möglich, sagt Gallant.

Datensicherheit und Privatsphäre

Noch ist das Auslesen des Hirns eine Utopie. Damit diese Utopie nicht zur Dystopie wird, müsse man sich aber bereits heute Gedanken über Privatsphäre und Datensicherheit machen – betont der Neurowissenschaftler. „Ich spreche viel über diese Gefahren, denn ich denke, es ist wichtig, dass wir der Technologie voraus sind.“

Magnetresonanztomographen sind sehr große und immobile Messgeräte. Das werde sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern, sagt Gallant. Die Gefahr, dass jemand heimlich die Gehirnaktivitäten anderer Personen ausliest, ist also nicht gegeben. Dennoch sollte man sich bereits heute Gedanken über eine gesetzliche Reglementierung machen, um nicht in 20 Jahren vor einem Problem zu stehen.

Juliane Nagiller, Ö1-Wissenschaft

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