„Ich würde gerne zum Anfang der Zeit reisen“

Sind Zeitreisen aus physikalischer Sicht möglich? „Prinzipiell ja“, sagt der britische Physiker und Kosmologe John Barrow. „Aber daraus folgt nicht, dass man in der Zeit zurückgehen und den Verlauf der Geschichte ändern könnte.“

Herr Barrow, Zeitreisen sind ein beliebtes Motiv in der Science-Fiction-Literatur. Aber so phantastisch ist das möglicherweise gar nicht, oder?

John D. Barrow, theoretischer Physiker und Kosmologe von der University of Cambridge

Max Alexander

John D. Barrow ist theoretischer Physiker an der University of Cambridge und Autor zahlreicher Fachbücher, darunter etwa: „Das Buch der Universen“ und „Einmal Unendlichkeit und zurück“. Am 26. Juli hielt er an der Universität Wien den Vortrag: „100 Years of Universes“

John Barrow: Vor genau 70 Jahren hat der Österreicher Kurt Gödel eine neuartige Lösung für Einsteins Relativitätstheorie entdeckt: Diese Lösung beschreibt ein Universum, das geschlossene Zeitlinien enthält. Wen man so einem Pfad folgt, landet man irgendwann wieder dort, wo man in der Vergangenheit war. Das ist nicht das Gleiche wie die Zeitreisen aus der Science-Fiction-Literatur. Hätte man eine Zeitmaschine, wie sie zum Beispiel H.G. Wells in seinem gleichnamigen Roman beschrieben hat, dann könnte man in die Vergangenheit reisen und allerlei Paradoxien erzeugen. Zum Beispiel könnte ich mich selbst als Baby ermorden. Das führt zu einem Widerspruch.

Eine geschlossene Zeitlinie – was ist das überhaupt?

Denken sie sich die Zeit als eine Gruppe von Soldaten, die in einer Reihe marschieren, einer nach dem anderen. Da gibt es eine klare Ordnung: Jeder weiß, wer vor ihm ist und wer hinter ihm kommt. Doch wenn die Soldaten in einem großen Kreis marschieren, ist im Prinzip jeder vor allen anderen – und gleichzeitig hinter allen anderen. Gödel hat gezeigt, dass geschlossene Schleifen der Geschichte möglich sind. Aber daraus folgt nicht, dass man in der Zeit zurückgehen und den Verlauf der Dinge ändern könnte. Die Geschichte muss konsistent bleiben.

Was könnte in so einer Schleife passieren?

Nehmen wir das Beispiel von vorhin: Ich will mich selbst ermorden und reise daher mit einem Gewehr in die Vergangenheit. Dort angekommen sehe ich meine Mutter, wie sie mich als Baby im Arm hält, hebe das Gewehr, ziele – doch just in dem Moment, da ich abdrücken will, fühle ich in der Schulter den stechenden Schmerz einer alten Verletzung. Ich verreiße also das Gewehr, die Kugel verfehlt ihr Ziel. Doch der Knall erschreckt meine Mutter so, dass sie das Baby fallen lässt. Woraufhin sich das Baby an der Schulter verletzt.

Kurt Gödel und Albert Einstein in Princeton

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Albert Einstein war von Kurt Gödels Entdeckung schockiert

Was hat die gegenwärtige Physik zu solchen Szenarien zu sagen?

Gödels Zeitschleifen sind zwar prinzipiell möglich, aber sie treten in unserem Universum nicht auf. Zumindest ist es extrem unwahrscheinlich. Es gibt viele Dinge, die physikalisch prinzipiell erlaubt, aber nicht real sind. Schauen Sie etwa auf diesen Tisch: Es wäre durchaus möglich, dass er plötzlich zu schweben beginnt. Dafür müssten sich sämtliche Luft- und Holzmoleküle gleichzeitig nach oben bewegen. Das könnten sie – doch die Wahrscheinlichkeit dafür ist so unglaublich klein, dass Sie so etwas niemals beobachte werden. Ich denke, mit den Zeitreisen verhält es sich sehr ähnlich.

Was ist der Unterschied zwischen dem Gödel-Universum und dem realen Universum, so wie es sich den Kosmologen heute darstellt?

Die Möglichkeit der Zeitreisen in Gödels Universum entsteht dadurch, dass es rotiert. Und Gödels Universum dehnt sich nicht aus – im Gegensatz zu unserem Universum. So gesehen sind Gödels Lösungen keine Beschreibung der physikalischen Wirklichkeit, sondern nur eine Möglichkeit, von der die Natur Gebrauch machen hätte können. Aber es wären auch andere Versionen des Gödel-Universums denkbar. Solche, die gleichzeitig expandieren und rotieren. Der deutsche Physiker Engelbert Schücking hat etwa nach solchen Lösungen der Relativitätstheorie gesucht. Das Thema beschäftigt die Wissenschaft immer noch.

Rotiert unser Universum?

Ich habe in den 1980er Jahren mit meinen Kollegen Roman Juszkiewicz und David Sonod berechnet, wie groß so eine Rotation sein könnte. Sie wissen vermutlich, dass die Erde wegen ihrer Drehung um die eigene Achse an den Polen ein bisschen abgeflacht und am Äquator ein bisschen ausgebuchtet ist. Bei einem rotierenden Universum wäre das ähnlich: Die Strahlung aus der Region der kosmischen Pole würde einen kürzeren Weg zu uns zurücklegen und käme daher bei uns mit höherer Temperatur an als die Strahlung vom kosmischen Äquator. Doch Messungen zeigen: Die Temperaturschwankungen sind winzig. Wenn unser Universum rotiert, dann tut es das extrem langsam.

Illustration: Raumschiff rast auf ein Wurmloch zu

Les Bossinas/NASA

Zeitreisen - theoretisch möglich, sofern das Universum rotiert

Was bedeutet das für Gödels Zeitschleifen?

Dass sie in unserem Universum nicht möglich sind. Die Rotation müsste mindestens eine Million Mal schneller sein, damit sich solche Effekte einstellen. Gödel hat jedenfalls gezeigt, dass geschlossene Zeitlinien innerhalb der Allgemeinen Relativitätstheorie möglich wären – und dass sie im Einklang mit den Gesetzen der Physik stehen. Einstein war lange gegenteiliger Ansicht. Er war von Gödels Ergebnissen schockiert.

Angenommen, eine Zeitmaschine wie die von H.G. Wells würde existieren: In welches Zeitalter würden Sie reisen?

Leider ist der Ort, der mich am meisten interessieren würde, keiner, den man einfach so betreten könnte. Ich würde gerne wissen: Hatte die Zeit einen Beginn? Zumindest kann man sich die Frage stellen: Wenn das Universum seit 13,7 Milliarden Jahren existiert - was würde passieren, wenn ich mit einem Raumschiff 15 Milliarden Jahre in die Vergangenheit reise? Wäre da überhaupt etwas?

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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