Alpine Lebensräume im Umbruch

Im Gebirge sind Flora und Fauna besser auf den Klimawandel vorbereitet als im Tiefland, wo Trockenperioden und Extremwettereignisse Naturräume zerstören. In Gefahr ist die alpine Tier- und Pflanzenwelt dennoch.

Betrachtet man ein Gebirgsmassiv, wie etwa die Nordkette bei Innsbruck, dann wirkt die Welt oberhalb der Baumgrenze meist karg und rau. „Das täuscht“, sagt Christian Körner, emeritierter Professor für Botanik an der Universität Basel. „Man muss in der Bergwelt genau hinsehen. Die Tier- und Pflanzenwelt ist zwar kleiner, niedriger, aber extrem divers.“

Der Botaniker Christian Körner

BfÖ UIBK

Christian Körner bei der International Mountain Conference in Innsbruck.

Viele Klimazonen auf engstem Raum

Bei Bergen handelt es sich um auftürmte Landmasse. Dadurch finde man verschiedene Klimazonen auf engstem Raum, erklärt der Botaniker. „Was wir von Mitteleuropa bis nach Spitzbergen an Änderung der Lebensbedingungen erleben, das kann ich mit einer Seilbahn in den Alpen in 10 Minuten durchfahren.“ Von der Weinbaulage bis in die Gletschervorfelder in wenigen Minuten: Diese Vielfalt an Lebenszonen ist für die Biodiversität im Gebirge verantwortlich.

Nicht nur mit der Höhe ändern sich die klimatischen Bedingungen. Auch ein einzelner Berghang kann verschiedene kleinräumige Lebensbereiche aufweisen. So führen Mulden, Hügel oder Bergrücken dazu, dass die Pflanzen mehr oder weniger der Sonne oder dem Wind ausgesetzt sind. „Wenn ich um unsere Forschungsstation auf dem Furkapass auf 2.500 Metern Seehöhe eine Linie von einem Kilometer ziehe, kommen darin 304 Pflanzenarten vor“, erzählt Christian Körner. Das sei die Hälfte der gesamten alpinen Flora. So eine Artenvielfalt könne man im Tiefland nicht finden.

Das Gebirge als Refugium

Gebirge waren immer schon Rückzugsorte für Tiere und Pflanzen, meint der Botaniker. Dort seien sie auch am besten vor der Klimaerwärmung geschützt. Möchte ein Käfer oder eine Spinne einer Erwärmung um zwei Grad Celsius aus dem Weg gehen, muss das Tier im Gebirge – statistisch gesehen - nur zwölf Meter weiterziehen. „Weil da gibt es dann irgendein Loch, oder einen Hügel, oder einen Stein, hinter dem es kühler ist.“ Diese topographische Diversität sei eine Art Lebensversicherung für die Lebewesen im Hochgebirge.

Himmelschlüssel auf einer Bergwiese

APA/JAKOB GRUBER

Die alpine Vegetation ist unscheinbar - aber extrem divers

Die Pflanzen und Tiere im Tiefland seien stärker von der Klimaerwärmung betroffen als die Lebewesen im Gebirge, sagt Körner. Dennoch gelte es die Berge und ihre Tier- und Pflanzenwelt zu schützen. „Das sind die letzten ungestörten Naturräume, die wir in Europa haben und die gilt es für die Nachwelt zu erhalten.“ Langfristig wird sich die Ausbreitung des alpinen Territoriums aber verändern. Der Rückgang der Gletscher gibt Land frei, das schnell von Pflanzen besiedelt werden wird. Gleichzeitig werden alpine Lebensräume verloren gehen, da mit der Erderwärmung die Baumgrenze in die Höhe wandert. „Das geht aber nicht schnell. Es braucht hundert Jahre, bis sich der Bergwald signifikant nach oben verschiebt.“

Stickstoff hat gravierendere Folgen als CO2

CO2 sei ein Pflanzendünger und kein Schadstoff, so lautet ein Argument, das vor allem von Klimawandelleugnern gerne vorgebracht wird. Christian Körner hat diese These bereits vor Jahren in einem Forschungsprojekt an der Universität Basel überprüft. Das Ergebnis: Die Hochgebirgspflanzen wuchsen keinesfalls schneller. „Ein Organismus lebt nicht nur von Kohlenstoff alleine, sondern braucht auch andere Mineralstoffe wie Phosphat, Kalium, Magnesium und Spurenelemente.“ Erhöht man nur eine „Nahrungskomponente“, erzeuge man damit kein erhöhtes Wachstum.

Was der alpinen Vegetation aber zusetzt, sei die zunehmende Zahl von Stickstoffverbindungen in der Luft. In die Luft kommt der Stickstoff vor allem durch Düngemittel oder beim Ausbringen von Gülle, erklärt Körner. „Wir haben im Tiefland schon eine zehn- bis zwanzigfache Menge an Stickstoff, die mit dem Regen runterkommen, als das natürlich wäre.“ Auch im Gebirge, das zwar weiter weg von den Emittenten ist, würde man bereits die Folgen sehen.

Manche Pflanzenarten können den zusätzlichen Stickstoff für sich nutzen. Es handle sich dabei vor allem um schnellwüchsige, triviale Pflanzenarten, wie etwa Sauergräser. Sie wachsen üppiger und verdrängen seltene Pflanzenarten. Das Spektrum der Arten verschiebt sich, sagt der Botaniker. Um diese Bedrohung für die alpine Pflanzenwelt anzugehen, müsse man die Landnutzung verändern. „Dass der Mensch durch seine Nutzung des Landes alles überprägt, ist wahrscheinlich der wichtigste Global-Change-Faktor“, sagt Christian Körner. „Aber von dem redet man nicht gerne, weil da müsste man etwas vor der eigenen Haustüre tun.“

Juliane Nagiller, Ö1-Wissenschaft

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