Älteste Erbinformation analysiert

Vor 1,8 Millionen Jahren hat ein Nashorn gelebt, von dem Forscher nun die ältesten Erbinformationen bisher gewinnen konnten. Die angewandte Methode könnte ungelöste Fragen zum Stammbaum von Tier und Mensch beantworten.

„Wir können mit ihr bessere und ältere genetische Informationen bekommen als jemals zuvor“, sagt der Studienautor Enrico Cappelini von der Universität Kopenhagen. „Denn sie kommen aus einer Quelle, die es in Fossilien zuhauf gibt. Die Anwendungsmöglichkeiten sind also beträchtlich.“

Bei der Quelle handelt es sich um Zahnschmelz. Er stammt von Fossilien, die schon vor längerer Zeit rund 65 Kilometer südwestlich von Tiflis in Georgien gefunden wurden. Die dortige Ausgrabungsstätte in Dmanissi ist auch bekannt für Fossilien menschlicher Vorfahren. Sie sind über 1,8 Millionen Jahre alt und werden der Art Homo erectus zugeordnet.

Der Backenzahn des Nashorns

Natural History Museum of Denmark

Proteine sind zäher als DNA

Ähnlich alt sind auch die Funde, die nun ein 43-köpfiges Team um Enrico Cappelini untersucht hat: Überbleibsel von 23 großen Säugetiern, darunter auch ein guter erhaltener Backenzahn eines Nashorns aus der Gattung Stephanorhinus. Der Versuch DNA zu gewinnen und zu analysieren, misslang den Forschern und Forscherinnen zwar. Aus dem Zahnschmelz des Backenzahns konnten sie aber mithilfe von Massenspektrometrie fast das gesamte Proteom, also den Satz an Eiweißsstoffen, identifizieren.

Proteomforschung gilt in der Päläontologie als das „nächste große Ding“, denn Proteine haben eine längere Lebensdauer als DNA. Proteinmoleküle sind auch kleiner und robuster im Vergleich zu DNA-Molekülen. Dementsprechend stammt die älteste bisher entzifferte DNA von einem Pferd, das vor „nur“ 700.000 Jahren gelebt hat. Das älteste sequenzierte Erbgut eines Menschenvorfahren ist rund 430.000 Jahre alt.

Der Schädel des Nashorns

Mirian Kiladze, Georgisches Nationalmuseum

Der Schädel des Nashorns

Mehr Wissen über Abstammungslinien

„20 Jahre lang haben wir uralte DNA verwendet, um Fragen zur Evolution ausgestorbener Arten oder zur Wanderbewegung der Menschenvorfahren zu beantworten, das hatte aber seine Grenzen“, sagt Enrico Cappelini. Mit den Proteinen lässt sich auch auf Erbinformation schließen, die älter ist als 500.000 Jahre – dem üblichen Verfallsdatum von DNA außerhalb von kalten Permafrostgebieten.

Schon in der Vergangenheit haben Forscher und Forscherinnen deshalb Proteine ausgestorbener Tiere auf Erbinformationen untersucht: und zwar vor allem Kollagen, ein Protein, das in Knochen reichlich vorhanden und sehr widerstandsfest ist. Die ältesten umfangreich entschlüsselten Kollagenproteine bisher waren rund 1,5 Millionen Jahre alt. Zahnschmelz, so schreiben die Forscher in der neuen Studie, enthalte aber mehr und bessere Daten zum Erbgut. Er ist zudem das härteste Material, aus dem Säugetiere bestehen, und insofern noch widerstandsfähiger.

„Diese Forschung wird die Art, wie man die Evolution untersucht, revolutionieren“, sagt der Genetiker und Studienmitautor Eske Willerslev von der Universität Cambridge in Großbritannien. In der aktuellen Arbeit wurden zwar „nur“ die Verwandtschaftslinien ausgestorbener Nashornarten beleuchtet. Mit der gleichen Methode ließe sich aber auch die Abstammung hunderter anderer Arten besser erklären, betonen die Forscher – jene des Menschen inklusive.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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