Vögel leiden unter Neonicotinoiden

Neonicotinoide sollen Pflanzen vor Schädlingen schützen. Diese Spritzmittel stehen schon länger in Verdacht, Insekten wie Bienen, Hummeln und Schmetterlingen zu schaden. Eine neue Studie ergänzt nun: Zugvögel verlieren Gewicht und Geschwindigkeit.

Neonicotinoide gehören weltweit zu den meist verwendeten Mitteln gegen Schädlinge in der Landwirtschaft. Meist wird das Saatgut damit gebeizt, also schon vor der Aussaat mit den Mitteln behandelt. Das soll Schädlinge von der wachsenden Pflanze fernhalten. Genau dieser frühe Kontakt von Saatgut mit Neonicotinoiden könnte aber ein Problem für Vögel darstellen, wie Christy Morrissey und ihre Kolleginnen von der University of Saskatchewan in Kanada in einer Studie in „Science“ berichten.

Eine Dachsammer

Margaret Eng

Dachsammer mit Radiotransmitter, der Bewegungsdaten liefert

Sie haben Dachsammern genauer unter die Lupe genommen. Das sind kleine, spatzenähnliche Zugvögel, die sich von Insekten und Samen ernähren. Auf ihren Zwischenstopps am Weg von Alaska in den Südwesten der USA landen sie häufig in der Nähe von Feldern und nehmen dort in kurzer Zeit viel Nahrung zu sich.

Weniger Gewicht innerhalb von sechs Stunden

Um herauszufinden, wie sich die dabei aufgenommenen Neonicotinoide (konkret: Imidacloprid) auf die Tiere auswirken, fingen die Forscherinnen 33 Vögel und fütterten einen Teil mit entsprechend gebeizten Samen. Die Belastung durch das Spritzmittel war mit der Belastung am Feld vergleichbar. Das Ergebnis: Innerhalb von sechs Stunden nach Konsum einer realistischen Dosis verloren die Dachsammern sechs Prozent ihres Körpergewichts. „Das ist ein rapider Verlust“, so Morrissey. Außerdem reichte nur eine Dosis aus, damit die Vögel 3,5 Tage länger an einem Standort blieben als die Kontrollgruppe, ihre Reise sich also deutlich verlangsamte.

Mit Imidacloprid gebeiztes Saatgut

Margaret Eng

Mit Imidacloprid gebeizte Getreidesamen

„Beide Effekte dürften mit der Wirkung von Imidacloprid zusammenhängen, das den Appetit dämpft. Die Vögel fraßen dadurch weniger, was wiederum ihren Weiterflug verzögerte, weil sie mehr Zeit zum Auffüllen ihrer Energiespeicher brauchten“, sagt Studienmitarbeiterin Margaret Eng in einer Aussendung der University of Saskatchewan. Weil die Forscherinnen die verabreichten Dosen genau dokumentierten und parallel eine Kontrollgruppe beobachteten, spricht Eng von einem „kausalen Zusammenhang“ zwischen Verhaltensänderung und Neonicotinoid.

Verschwinden der Feldvögel

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 13.9., 12:00 Uhr.

Zu einem anderen Zusammenhang äußern sie und Studienleiterin Christy Morrissey hingegen nur eine Hypothese: Seit den 1960er Jahren verschwinden in industrialisierten Ländern immer mehr Feldvögel – auch in Österreich. Dass neben dem Verlust an Lebensraum und Nahrung auch der Einsatz von Spritzmitteln wie Neonicotinoiden damit zu tun haben könnte, könne man derzeit nicht belegen. Dazu brauche es weitere Studien. Klar sei jedenfalls, dass bei Zugvögeln das Timing mitentscheidend ist dafür, dass die Tiere Partner finden und zum richtigen Zeitpunkt ihre Nester bauen. Jede Verzögerung könnte den Paarungserfolg verringern, so die Forscherinnen.

Imidacloprid gehört zu einer von drei Gruppen an Neonicotinoiden, die aufgrund ihrer Wirkung auf bestäubende Insekten in der EU seit 2013 nur mehr in Glashäusern verwendet werden dürfen. In anderen Teilen der Welt wird das Mittel nach wie vor breit ausgebracht, vor allem bei Zucker- und Futterrüben.

Ist ein Verbot die beste Lösung für Bienen, Hummeln und letztlich auch Vögel? Nein, sagt Christy Morrissey. Sie verweist auf eine Reihe von Ersatzmitteln, die bereits am Markt sind. Wie sie sich auswirken, dazu wisse man nur sehr wenig. Statt eines Verbots plädiert sie für eine Veränderung der Landwirtschaft: weniger Pestizide, vielfältigere Pflanzen, mehr Platz für Insekten – das würde letztlich auch den Feldvögeln nutzen.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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