Rußpartikel im Mutterbauch nachgewiesen

Luftverschmutzung macht krank: Jetzt gibt es erstmals Beweise, dass Rußpartikel durch den Körper von Schwangeren wandern - und sogar die Plazenta durchdringen. Die Folgen für die ungeborenen Kinder sind unklar.

Wie mobil sind Nanoteilchen im menschlichen Körper? Die Liste der Organe, in denen diese Teilchen nachgewiesen wurden, wird immer länger. Vor zwei Jahren hat etwa die englische Umweltforscherin Barbara Maher solche Partikel im Gehirn entdeckt. Derzeit wird diskutiert, ob Feinstaub mit Demenz oder Depressionen in Zusammenhang stehen könnte. Aus epidemiologischen Untersuchungen weiß man auch, dass Früh- und Fehlgeburten in Regionen mit hoher Luftverschmutzung häufiger sind. Der belgische Mediziner Tim Nawrot hat nun eine Erklärung dafür gefunden.

science.ORF.at: Herr Nawrot, was haben Sie in Ihrer letzten Studie herausgefunden?

Tim Nawrot: Bislang war unklar, ob Kinder im Mutterbauch von Luftverschmutzung direkt oder indirekt betroffen sind. Ein indirekter Effekt könnten zum Beispiel Entzündungen in der Lunge der Mutter sein. Wir haben jetzt gezeigt, dass sich kleine Rußpartikel nicht nur von der Lunge bis hin zur Plazenta ausbreiten – sondern auch, dass sie dort die natürliche Barriere zum Fötus überwinden können. Der Fötus ist diesen Partikeln also direkt ausgesetzt.

science.ORF.at: Haben sie die Rußpartikel auch in den Föten selbst nachgewiesen?

Nawrot: Das haben wir noch nicht untersucht. Nachdem wir die Teilchen im Blut der Plazenta nachweisen können, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie auch das Innere des Fötus erreichen.

science.ORF.at: Von welcher Art von Partikeln sprechen wir genau?

Nawrot: Es geht um „Black Carbon“, also um kleine Rußpartikel, die bei Verbrennung fossiler Energieträger entstehen, etwa durch Verkehr, Industrie oder auch Holzbrand. Jene Teilchen, die von der Lunge in den Blutstrom und dann weiter bis in die Plazenta wandern, sind sehr klein, nicht einmal 100 Nanometer groß.

Abgase kommen aus dem Auspuff eines Autos

APA/dpa/Marijan Murat

science.ORF.at: Rußteilchen gelangen also bis zum oder sogar in den Fötus – welche Folgen hat das?

Nawrot: Das werden wir erst zeigen müssen. Nachdem wir nun erstmals die Schadstoffbelastung exakt beziffern können, sind wir methodisch immerhin in der Lage, solche Fragen zu beantworten. Klar ist jedenfalls: Föten sind sehr verwundbar, weil sie ihre Organe erst ausbilden müssen. Darüber hinaus gilt unser Befund nicht nur für Rußpartikel: Im Grunde können alle Teilchen die Plazenta durchdringen, sofern sie nur klein genug sind. Zum Beispiel Titandioxid oder Nanoplastik.

science.ORF.at: Das klingt tendenziell alarmierend.

Nawrot: Es gibt auch eine gute Nachricht: Die Umweltbelastung mit Rußpartikeln ist in den meisten europäischen Ländern zurückgegangen. Hätten wir unsere Untersuchungen in den 70er oder 80er Jahren durchgeführt, wäre die Teilchenkonzentration in den Mutterkuchen vermutlich noch viel höher gewesen. Aber Sie haben schon recht: Wir sollten unsere Grenzwerte für Luftverschmutzung nicht an gesunden 30-Jährigen ausrichten, sondern an den verwundbarsten Bevölkerungsgruppen. Wir müssen das ungeborene Leben schützen.

science.ORF.at: Wie sollten die Gesetzgeber auf diese Befunde reagieren?

Nawrot: Die EU-Richtwerte haben sich zwar verbessert, aber sie sind nicht ambitioniert genug. Was die Feinstaubkonzentration (PM 2,5, Anm.) betrifft, erlaubt die EU derzeit 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Die WHO sagt, es sollten nicht mehr als zehn sein. Das ist ein großer Unterschied. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Während sich die WHO ausschließlich auf den gesundheitlichen Aspekt konzentriert, kommen in der EU noch einige politische Einflüsse hinzu. Ich halte das für keine stringente Vorgehensweise.

Aber wer weiß, vielleicht sieht die Situation in 50 Jahren ganz anders aus: Bedenken Sie, wie sich zum Beispiel unsere Einstellung zum Zigarettenrauch verändert hat – ich könnte mir vorstellen, dass es ein ähnliches Umdenken auch beim Verbrennen fossiler Energieträger geben wird.

Das Interview führte Robert Czepel, science.ORF.at

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