Antibiotikaresistenz auf dem Vormarsch

In der Massentierhaltung ist der Einsatz von Antibiotika üblich. Zu viel davon immunisiert allerdings die Bakterien. Laut einer aktuellen Studie sind resistente Keime vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf dem Vormarsch.

Rinder, Schweine und Hühner nehmen im globalen Schnitt dreimal so viel Antibiotika auf wie Menschen. Das liegt vor allem am steigenden Verbrauch in China, erklärt der Studienleiter Thomas Van Boeckel von der ETH Zürich. „In China bekommen Nutztiere mit Abstand am meisten antimikrobielle Substanzen – in absoluten wie auch in relativen Zahlen.“

Auch im Nordosten und Süden Indiens ist der Antibiotikaverbrauch bei Nutztieren wesentlich höher als in anderen Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Brasilien und Kenia holen auf, so das Ergebnis der Studie im Fachjournal „Science“.

Schweine: Zahl wirkungsloser Antibiotika verdreifacht

Wie die Forscher rund um Van Boeckel herausgefunden haben, wurden mit dem steigenden Konsum immer mehr Keime immun gegenüber den Medikamenten. Wirkte bei einem erkrankten Huhn beispielsweise im Jahr 2000 eines von zehn Antibiotika nicht, waren 2018 rund vier von zehn nutzlos gegen den Keim. „Das bedeutet, es gibt in diesen Ländern immer weniger Medikamente, um Hühner im Fall einer bakteriellen Infektion zu heilen“, so der Umweltwissenschaftler. Ähnliches gilt für Schwein und Rind: Bei Schweinen hat sich die Zahl der wirkungslosen Antibiotika verdreifacht, bei Rindern verdoppelt.

Nach China und Indien befinden sich Hotspots für multiresistente Keime in der Osttürkei, rund um Mexiko City und Johannesburg, im Iran, Ägypten, in der Deltaregion des Roten Flusses Vietnams, im Norden Pakistans und im Süden Brasiliens.

Schwein in Kiste

APA/AFP/Tim SLOAN

Bedarf wächst, Sicherheit mangelhaft

Das zeigen zahlreiche lokale Studien und Untersuchungen, die Van Boeckel und seine Kollegen zusammengetragen und ausgewertet haben. „In Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen gibt es kein zentrales System, das Resistenzen erfasst. Deshalb haben wir die vielen regionalen, jährlichen Studien von Tiermedizinern ausgewertet. Zum Teil haben wir auch in den Bibliotheken vor Ort nach Berichten gesucht.“ Die aktuelle Studie liefert demnach einen ersten Überblick über die Entwicklung von Resistenzen in der Nutztierhaltung und ist nicht als vollständiger Statusbericht zu sehen.

Die Gründe für diesen Trend sind einerseits der wachsende Bedarf an Fleisch- und Milchprodukten, andererseits mangelnde Sicherheitsvorkehrungen. Es wird mehr Fleisch und Käse produziert, ohne aber in Hygiene und Biosicherheit zu investieren, schildert Van Boeckel. „Stattdessen greift man zur billigeren Lösung und beugt allfälligen Krankheiten mit Antibiotika vor.“ In manchen Ländern werden Antibiotika auch eingesetzt, damit Kühe, Hühner und Schweine schneller wachsen. Hinzu kommt, dass gerade Indien und China zu den größten Herstellern von Antibiotika gehören. „Sie sind dort also leicht zugänglich. Oftmals fehlen zudem Gesetze, wie und wann antimikrobielle Substanzen bei der Tierproduktion eingesetzt werden können.“

Schweine

APA/AFP/Ina Fassbender

Konsequenzen auch für Menschen

Das hat auf lange Sicht nicht nur Konsequenzen für die Tiere und die Produktion von Lebensmitteln, es gibt auch erste Hinweise darauf, dass bestimmte tierische resistente Keime dem Menschen schaden, beispielsweise wenn kontaminiertes Fleisch gegessen wird. „Wir haben beispielsweise in Iowa und den Niederlanden vereinzelt gesehen, dass bestimmte Keime auch Menschen krank machen können. Problematisch ist vor allem, wenn resistente Tierkeime ihr Genmaterial mit Bakterien im Darm austauschen.“ Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO wies vor zwei Jahren auf den Zusammenhang zwischen tierischen resistenten Keimen und der Gefahr für die menschliche Gesundheit hin. Dennoch braucht es hier noch mehr Forschung, betont Van Boeckel.

Die Lösung des Problems müsse ihm zufolge in jedem Fall global in Angriff genommen werden. „Es macht wenig Sinn, wenn in Regionen wie in Europa der Antibiotikaverbrauch gesenkt wird und in anderen Ländern der Konsum hoch ist. Resistente Keime können sich leicht weltweit verbreiten.“

Der Umweltwissenschaftler schlägt deshalb unter anderem die Errichtung eines internationalen Fonds vor, mit dem Hygienestandards beispielsweise ausgebaut werden können und weniger Antibiotika benötigt werden. Zudem braucht es Regelungen, unter welchen Umständen Antibiotika verwendet werden dürfen. „In Europa haben wir 50 Jahre lang Antibiotika in der Tierproduktion eingesetzt. Diese Länder haben das nicht getan. Es gibt hier also eine gewisse Verantwortung, diese Länder dabei zu unterstützen, die Tiere nachhaltiger zu züchten.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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