Das „Ur-Flascherl“ aus der Bronzezeit

Chemische Analysen an 3.000 Jahre alten Keramiken beweisen: Bereits in der Bronze- und Eisenzeit wurden Babys mit dem Fläschchen gefüttert. Als Zusatznahrung diente die Milch von Ziegen, Schafen und Kühen.

Noch ist relativ wenig darüber bekannt, wie Menschen vor Jahrtausenden das Abstillen bewältigt und auf welche Zusatznahrung sie zurückgegriffen haben. Passende Gefäße mit kleinen Öffnungen haben Archäologen schon in einigen Ländern gefunden, allerdings war bisher nicht klar, ob sie für Babys und Kleinkinder oder für kranke und alte Menschen verwendet wurden.

Die ältesten bekannten Gefäße dieser Art sind 6.000 Jahre alt, die meisten Funde stammen aus dem Zeitraum zwischen 1.200 und 600 vor der Zeitenwende. Auch im Raum Wien - etwa in der Bundeshauptstadt selbst, in Oberleis oder Vösendorf - wurden solche teils in ihrer Form Tieren nachempfundenen Keramiken entdeckt. Zu sehen sind sie im Naturhistorischen Museum Wien.

Spuren: Milch von Wiederkäuern

Darüber, was darin gereicht wurde, konnte bisher nur spekuliert werden. Ein internationales Team um Katharina Rebay-Salisbury und Roderik Salisbury von der Österreichischen Akadmeie der Wissenschaften hat nun einige solcher Fläschchen genauer unter die Lupe genommen. Sie wurden in Gräbern von Kindern gefunden, die im Alter zwischen einem und sechs Jahren verstarben.

Aus diesen Funden, die aus einem spätbronzezeitlichen und einem früheisenzeitlichen Gräberfeld (Zeitraum zwischen rund 1.200 und 450 Jahren vor der Zeitenwende) stammen, ließen sich mit modernen Methoden tatsächlich belastbare Schlüsse ziehen.

Urzeitliche Babyfläschchen sind teilweise Tierkörpern nachempfunden

Katharina Rebay-Salisbury

Vier bronzezeitliche Babyflaschen aus Wien, Oberleis, Vösendorf und Franzhausen-Kokoron

Mittels Gaschromatografie und Massenspektrografie gelang es, in drei der Gefäße die chemischen Signaturen von Milchfetten nachzuweisen, die in dem Material erhalten geblieben sind. Anhand der Verteilung der nachgewiesenen Isotope lässt sich sogar sagen, dass es sich nicht etwa um Muttermilch, sondern um Milch von Wiederkäuern - also von Schafen, Ziegen oder Kühen - gehandelt hat. Gerade Ziegenmilch sei aufgrund ihrer relativen Ähnlichkeit zur Muttermilch zum Abstillen gut geeignet, sagte Rebay-Salisbury im Gespräch mit der APA.

Fütterung im Kollektiv

Hier zeige sich, wie Menschen seit Jahrtausenden versuchen, „Arbeit und Kinder zu vereinbaren. Natürlich hat man Kinder immer auch ins tägliche Leben miteinbezogen und einfach mitlaufen lassen - was ja heute nicht immer so gut möglich ist“, so die Forscherin, die im Rahmen eines hochdotierten „Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrates das Thema Mutterschaft in der europäischen Urgeschichte untersucht.

Rekonstruktion: Baby wird mit Urzeit-Fläschchen gefüttert

Helena Seidl da Fonseca

Die Sauggefäße seien ein starker Beleg dafür, dass seit sehr langer Zeit auch andere Menschen neben der Mutter Aufgaben wie das Füttern übernommen haben und elterliche Pflichten in der Gemeinschaft geteilt worden sind.

Interessant sei überdies, dass diese Gefäße gerade in der späten Bronze- und frühen Eisenzeit vermehrt verwendet wurden: „Einer Zeit, in der Urbanisierung eigentlich beginnt und viele Leute auf engem Raum zusammenlebten. Man könnte sich denken, dass dann genügend Frauen da gewesen wären, die die Kinder stillen konnten“, so Rebay-Salisbury, für die auch denkbar ist, dass einst aus unbekannten Gründen vielleicht Mütter und Kinder über gewisse Zeiten hinweg getrennt wurden.

Im Rahmen des ERC-Grants legt Rebay-Salisbury einen der Schwerpunkte auf die Analyse der Ernährung von Kindern und zur Stilldauer in prähistorischen Zeiten. „Durch die Untersuchungen an Kinderskeletten sehen wir, wie gut Kinder behandelt wurden und wie wichtig Mutterschaft war“, sagte die Prähistorikerin. Hier zeige sich „eine große Bandbreite, von sehr berührenden Situation, die man in Gräbern sieht“, bis zu offensichtlichen Tötungen von Nachkommen. Aktuell gehe man davon aus, dass in der Urgeschichte rund 35 Prozent der Kinder vor dem ersten Geburtstag starben und die Hälfte das Erwachsenenalter nicht erreichte.

science.ORF.at/APA

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