Augentropfen gegen Kurzsichtigkeit

Bis zum 25. Lebensjahr entwickeln rund 45 Prozent der Menschen eine Kurzsichtigkeit. Deutsche Augenärzte propagieren jetzt mit Hinweis auf eine Studie aus Singapur Atropin-Tropfen für Kinder als Gegenmittel. Dafür zugelassen ist der Wirkstoff nicht.

„Kurzsichtigkeit beginnt gewöhnlich im Grundschulalter. Da die Fehlsichtigkeit später schwere Augenerkrankungen begünstigt, sollte sie früh aufgehalten werden. Dies gelingt jetzt: Forscher haben einen Ansatz für eine niedrig dosierte Therapie mit dem Wirkstoff Atropin ( (Tropfen mit 0,01 Prozent Atropin) gefunden, die nebenwirkungsarm ist und das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern um bis zu 50 Prozent mindern kann“, hieß es in einer Aussendung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG).

Bis zum Ende der Volksschule entwickeln in Deutschland etwa 15 Prozent der Kinder eine Kurzsichtigkeit, bis zum Alter von 25 Jahren steigt die Rate auf etwa 45 Prozent. „Kurzsichtigkeit ist neben dem Alter der Hauptrisikofaktor für ernste Augenerkrankungen wie Grüner und Grauer Star oder auch Netzhautablösung, von daher ist es sehr wünschenswert, das Voranschreiten der Kurzsichtigkeit in der Phase ihres Entstehens zu verlangsamen“, erklärt DOG-Präsident Claus Cursiefen vor einigen Tagen auch bei einer Pressekonferenz in Berlin. „Zudem gilt: Je früher die Kurzsichtigkeit beginnt, desto stärker wird ihr Ausmaß im Erwachsenenalter sein - ein weiterer Grund für eine frühe Intervention.“

Aufenthalt im Freien

Um Kurzsichtigkeit aufzuhalten, stehen verschiedene Ansätze bereit. „Täglich zwei Stunden Aufenthalt im Freien bei Tageslicht halbieren das Risiko für Kurzsichtigkeit“, erläuterte Wolf Lagreze von der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg. „Längeres Lesen in einem Abstand von weniger als 30 Zentimetern sollte vermieden werden“, fügte der Freiburger Augenarzt hinzu. Darüber hinaus gibt es spezielle Kontaktlinsen, die das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit um bis zu 40 Prozent verringern können.

Am wirksamsten hat sich jedoch eine Therapie mit Atropin-Augentropfen erwiesen. Dass Atropin, eine Substanz aus der Tollkirsche, Kurzsichtigkeit aufhalten kann, ist seit mehr als 100 Jahren bekannt. „Wegen ihrer Nebenwirkungen - Blendung und Nahsichtstörung - wurden Atropin-Tropfen zu diesem Zweck aber kaum verordnet“, berichtet Lagreze. Das hat sich jetzt geändert. Forscher aus Singapur haben eine Konzentration gefunden, die das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit um bis zu 50 Prozent mindert und gleichzeitig weitgehend nebenwirkungsfrei ist. „Leichte Blendungsempfindlichkeit und Nahsichtstörung bilden sich darüber hinaus bei Absetzen vollständig zurück, so dass kein Schaden entsteht“, fügt der Freiburger Ophthalmologe hinzu.

Frühe Gegenmaßnahme

Dass Atropin-Tropfen in der geringen Konzentration von 0,01 Prozent gut wirken und dabei verträglich sind, belegen inzwischen große und aussagekräftige Studien aus Asien. „Seit der Veröffentlichung dieser Daten hat sich die Anwendung niedrig dosierter Atropin-Augentropfen weltweit sehr schnell durchgesetzt und wird auch in Deutschland seit wenigen Jahren von vielen Augenärzten in Kliniken und Praxen eingesetzt“, betont Lagreze. So haben verschiedene Länder, darunter Deutschland, Leitlinien und Behandlungsempfehlungen formuliert. Inwieweit täglich zwei Stunden Aufenthalt im Freien die Erfolgsrate zusätzlich zu den Atropin-Augentropfen weiter erhöhen, ist noch nicht erforscht.

Für die Atropin-Therapie kommen Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren infrage, bei denen die Kurzsichtigkeit pro Jahr um mindestens eine halbe Dioptrie zunimmt. „Die Eltern geben abends vor dem Zubettgehen jeweils einen Tropfen in jedes Auge“, erklärt Lagreze. Unwillkürliches Blinzeln sorgt für eine gute Verteilung des Wirkstoffs.

„Wichtig ist eine Tropfen-Zubereitung ohne Konservierungsmittel“, betonte der Experte. Zusätzlich muss der Augenarzt die Eltern darauf hinweisen, dass es sich bei dieser Behandlung um einen sogenannten Off-Label-Use handelt - um einen Gebrauch, für den es bei Kurzsichtigkeit noch keine offizielle Zulassung gibt. „Nach zwei Jahren Therapiedauer entscheidet der Augenarzt, ob die Behandlung fortgesetzt werden sollte“, erläutert DOG-Experte Lagreze. In Deutschland sei eine klinische Studie zu dem Thema geplant, die erste außerhalb Asiens.

science.ORF.at/APA/dpa

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