Wie man ein Mammut erlegt

Johannes Krause kann aus der DNA von Urmenschen Geschichten ablesen. In einem Interview spricht der deutsche Genetiker über die riskante Jagd des Neandertalers – und erklärt, was der Golfstrom mit der Hautfarbe der Europäer zu tun hat.

science.ORF.at: Herr Krause, zwei Prozent unserer DNA stammt vom Neandertaler, wie man seit ein paar Jahren weiß. Woher kommt der Rest?

Johannes Krause: Wir stammen von Afrikanern ab, die vor 50.000 Jahren nach Europa eingewandert sind. Das sind diese 98 Prozent unserer genetischen Herkunft. Als der moderne Mensch in Europa ankam, traf er dort auf einen anderen Urmenschen, den Neandertaler. Da kam es offenbar zu einer genetischen Durchmischung. Deshalb tragen wir zwei Prozent Neandertaler-DNA in unserem Erbgut.

Johannes Krause

privat

Zur Person

Johannes Krause war an der Entzifferung des Neandertaler-Erbguts beteiligt und gilt als einer der führenden Forscher im Bereich Paläo- und Archäogenetik. Am 2. Oktober hielt er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften den Vortrag: „Die Reise unserer Gene: Migration und Anpassung in der Vorgeschichte“.

Sie haben vor einigen Jahren nachgewiesen, dass die Neandertaler das gleiche Sprach-Gen – „FOXP2“ - besaß wie der moderne Mensch. Was schließen sie daraus – konnte der Neandertaler so gut sprechen wie wir?

Zumindest spricht nichts dagegen, aber wir können es nicht beweisen. Was wir sagen können, ist: Der Neandertaler war ein sehr erfolgreicher Jäger und Sammler, er hat während der Eiszeit in Europa überlebt. Das ist schwer vorstellbar ohne eine komplexe Sprache oder Kommunikation. Ein Mammut erlegt sich nicht einfach, indem die wilde Horde hinterherläuft. Da muss man schon planen.

Was weiß man über die Jagdstrategien der Neandertaler?

Er hat sich hauptsächlich von Megafauna ernährt, also von sehr großen Säugetieren. Es gehört schon einiges dazu, um ein Mammut, ein Nashorn oder auch nur ein Pferd mit einer angespitzten Holzstange zu erlegen. Wir wissen, dass die Neandertaler sehr viele verheilte Knochenbrüche aufwiesen. Die einzige Berufsgruppe, die heute ähnlich viele Knochenbrüche hat, sind Rodeo-Reiter. So ein Leben muss man sich beim Neandertaler vorstellen.

Der Neandertaler hatte ein größeres Gehirn als wir – war er vielleicht auch intelligenter als wir?

Das können wir natürlich nicht direkt testen. Bei heute lebenden Menschen korreliert jedenfalls die Gehirngröße nicht mit Intelligenz. Vor ein paar Jahren ist eine sensationelle französische Studie erschienen, da haben Forscher einen Postboten in eine Röhre gelegt – und entdeckt, dass er ein extrem kleines Gehirn hat, nicht größer als das eines Schimpansen. Und dieser Mann hatte das sein ganzes Leben nicht gemerkt. Ich wäre also sehr vorsichtig, von der Gehirngröße auf die Intelligenz zu schließen.

Rekonstruktion: Neandertalerfamilie in einer Höhle

REUTERS/Nikola Solic

Homo neanderthalensis

Die Ureuropäer hatten laut genetischen Analysen blaue Augen und dunkle Haut. Wie kam es zu dieser Merkmalskombination?

Ursprünglich hatten alle Menschen braune Augen. Die Anlage für blaue Augen ist vor etwa 15.000 Jahren entstanden und hat sich danach unglaublich schnell ausgebreitet. Warum das so ist, weiß man nicht. Vielleicht war die europäische Population damals so klein, dass sich die blauen Augen durch Zufall verbreitet haben.

Vielleicht hat es etwas mit der Partnerwahl zu tun?

Da wir keine gute biologische Erklärung dafür haben – zum Beispiel als Anpassung an zu wenig Sonne im Winter – wäre das eine Möglichkeit, vielleicht sogar die beste Erklärung, die wir haben. Es wäre auch möglich, dass helle Augen eine andere Form der Kommunikation ermöglichen. Sicher ist, dass helle Augen in Afrika wegen der Sonneneinstrahlung nachteilig wären, deswegen konnten sie nur im Norden entstehen.

Mit der Sonneneinstrahlung erklären Biologen auch die Tatsache, dass die Europäer heute schwächer pigmentiert sind als in Urzeiten.

Genau, vor 8.000 Jahren waren alle Europäer dunkelhäutig, die Mutationen für helle Haut sind vor etwa 7.000 Jahren entstanden – und zwar in Anatolien: Diese Mutationen kamen mit Ackerbauern nach Europa und haben sich dann relativ schnell verbreitet. Die beste Erklärung dafür ist: Wenn man dunkle Haut hat, droht im Winter Vitamin-D-Mangel, weil der Körper Sonnenlicht benötigt, um dieses Vitamin zu produzieren. Das ist für Jäger und Sammler kein Problem, die können ihren Vitamin-D-Bedarf auch über die Nahrung decken, etwa mit Fisch und Fleisch. Die Ackerbauern waren zu dieser Zeit hingegen fast ausschließlich Vegetarier und mussten sich daher an die Dunkelheit Europas anpassen. Das erklärt auch, warum die Nordeuropäer die hellsten Menschen der Welt sind: Weil man nirgendwo auf der Welt so weit im Norden Ackerbau betreiben kann. In Kanada oder Russland hat man Permafrost auf diesen Breitengraden, nur in Europa nicht. Hier ist das Klima durch den Golfstrom milder.

Rekonstruktion des Cheddar-Mann

Justin TALLIS / AFP

„Cheddar Man“: So sahen die Briten früher aus

Blaue Augen und dunkle Haut hatten auch die ersten Briten, wie man seit der genetischen Untersuchung eines 9.000 Jahre alten Skeletts namens „Cheddar Man“ weiß. Bryan Sykes, Genetiker in Oxford, behauptet, er hätte einen heute lebenden, direkten Nachfahren des Cheddar Man aufgespürt – glauben Sie ihm?

Vermutlich tragen alle Briten Gene des Cheddar Man in sich, schlichtweg deshalb, weil sie Jäger-und-Sammler-Gene im Erbgut haben. Die Anzahl der Vorfahren verdoppelt sich ja pro Generation, das heißt: Über 30 Generationen hat jeder von uns eine Milliarde Vorfahren, über 1.000 Jahre ist also jeder Europäer mit jedem verwandt. Wir sind im Grunde auch alle mit Karl dem Großen verwandt. Es gibt Millionen von Erblinien, aber eben nicht die eine Erblinie, auch nicht bei irgendwelchen tollen Adelsfamilien, die sich auf einen tausendjährigen Stammbaum berufen.

Mit Hilfe der menschlichen DNA lassen sich auch die menschlichen Wanderungsbewegungen der letzten paar tausend Jahre nachvollziehen – und derer gab es viele: Wie ist es möglich, da den Überblick zu bewahren? Sind die Daten immer eindeutig?

Es wird tatsächlich immer komplexer, je mehr Daten man zur Verfügung hat. Dass die großen Wanderungsbewegungen, etwa die Einwanderung der ersten Ackerbauern oder die Verschiebung aus der Steppe vor 4.800 Jahren, passiert sind – daran zweifelt niemand mehr, das ist unumstößlich. Offen ist bloß, wie dieser Prozess im Detail von statten ging. Wurden die Wanderungen eher von Männern oder Frauen vorangetrieben? Wer hat sich wann mit wem vermischt? Da hat im Grunde jede Region in Europa ihre eigene Geschichte, so wie auch jeder Mensch seine eigene Geschichte im Erbgut trägt. Migration war immer Teil der Menschheitsgeschichte, der Mensch war immer mobil.

So gesehen ist es fast schon eine Ironie ebenjener Geschichte, dass Migration heute oft als etwas Bedrohliches dargestellt wird.

Ob Mobilität in der Vergangenheit immer nur positiv war, kann man durchaus bezweifeln. Es gab auch kriegerische Auseinandersetzungen, Krankheiten wurden verbreitet, wir sehen auch viel Leid, das durch die großen Wanderungsbewegungen entstanden ist. Allerdings muss man das schon in Relation setzen: Wenn wir etwa von der großen genetischen Verschiebung in Großbritannien vor 4.800 Jahren reden: Da wurden 95 Prozent der Bewohner Großbritanniens genetisch durch einwandernde Menschen ersetzt oder verdrängt. Wenn man heute so eine Verschiebung produzieren wollte, bräuchte man allein in Großbritannien eine Milliarde Einwanderer.

In Europa leben 750 Millionen Menschen. Wenn wir hier eine Million Flüchtlinge aus dem Nahen Osten haben, dann weiß ich als Genetiker gar nicht, ob ich das überhaupt detektieren kann. Die Zahlen, von denen wir heute reden, sind geradezu lächerlich im Vergleich zur Vergangenheit. Es geht uns heute besser denn je, wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, niemand muss sich um sein Überleben Sorgen machen. Es ist geradezu unsere Aufgabe, das auch anderen Menschen zu ermöglichen.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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