Zum Opiumanbau gezwungen

Im 19. Jahrhundert ist Opium eine wichtige Einnahmequelle für die Briten gewesen. Als Kolonialherren ließen sie indische Bauern massenhaft Opium anbauen – unter subtilem Zwang, wie der Historiker Rolf Bauer in seinem neuen Buch feststellt.

Bereits im 18. Jahrhundert erlangte die British East India Company das Monopol auf Opium. Der Opiumverkauf war für die Briten zeitweise die zweitwichtigste Einnahmequelle, gleich nach der Besteuerung von Land. Angebaut und produziert wurde die Droge in Indien. Den Historiker Rolf Bauer vom Institut für Wirtschafts-und Sozialgeschichte der Universität Wien interessierte vor allem die Frage, warum so viele indische Bauern auf Opiumanbau umstiegen. Wo vorher Reis, Hafer, Linsen oder Indigo angebaut wurde, verbreiteten sich nun Opiumfelder. Und diese waren, so sein Fazit, ein Verlustgeschäft für die Bauern.

Minusrechnung Opiumanbau

Die meisten Bauern mussten Pacht an die Großgrundbesitzer bezahlen, außerdem benötigte Opium zusätzlichen Dünger und natürlich Ausgaben für die Bewässerung. „Und vor allem, und das ist eigentlich der entscheidende Punkt, benötigte der Opiumanbau zusätzliche Arbeitskräfte, die angeheuert werden mussten, weil die Ernte derart aufwendig war“, so Rolf Bauer.

Lithographie, Opiumfabrik im kolonialen Indien (London : Maclure, Macdonald & Macgregor lith., [1851]) (Ausschnitt)

Wellcome Collection, CC BY

Lithographie, Opiumfabrik im kolonialen Indien (London : Maclure, Macdonald & Macgregor lith., [1851])

Seinen Berechnungen zufolge lag das bestmögliche Einkommen der Opiumbauern deutlich unter den niedrigstmöglichen Produktionskosten. Mehr als 35 Rupien konnte man pro Bigha Land (das entsprach ca. 2.500 Quadratmetern) nicht einnehmen, so Bauer, und die Kosten beliefen sich auf mindestens 41 Rupien pro Bigha. Warum also taten sich die Bauern diese Minusrechnung an?

Staatliche Opiumagentur

Ein Opium-Netzwerk aus lokalen Eliten und Kolonialherren an der Spitze sorgte für willige Landwirte. „Die staatliche Opiumagentur hatte Beamte, die Opiumagenten hießen, und die mit einer Macht ausgestattet waren, die der Polizei ähnelte“, erklärt Rolf Bauer. Diese Opiumagenten übten subtilen und weniger subtilen Druck auf die Bauern aus.

Rolf Bauer hat sechs Jahre lang dazu recherchiert, unter anderem mit online verfügbaren Original-Dokumenten, aber auch in der British Library in London und im indischen Nationalarchiv in Delhi und im Staatsarchiv des Bundesstaates Bihar.

Buchhinweis:

„The Peasant Production of Opium in Nineteenth Century India“, Brill, 2019, ISBN: 978-90-04-38518-4

Die Opiumagenten, aber auch Großgrundbesitzer, bekamen Kommissionszahlungen, wenn sie die Bauern zum Opiumanbau überredeten. Über 2.500 Menschen waren im 19. Jahrhundert in der Opiumagentur beschäftigt, erzählt Rolf Bauer. Nur 50 bis 70 davon seien allerdings Briten gewesen. Das waren jene in den höchsten Positionen, sie waren de facto nie vor Ort. Der Rest waren Inder, die vertraut mit den lokalen Sprachen waren, und sich auch mit den lokalen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen auskannten.

Nachteile bis heute spürbar

Am Höhepunkt des Anbaus in den 1880er Jahren exportierte Indien rund 5.000 bis 6.000 Tonnen Opium pro Jahr – fast zur Gänze nach China. Die Folgen der Kolonialzeit sind für Indien bis heute zu spüren, meint Rolf Bauer. Die Produktion von billigen Rohstoffen wie Opium wirft Indien auf dem Weltmarkt bis heute weit zurück. In den „stärksten“ Opiumregionen, in Teilen des heutigen Bundesstaates Bihar, kultivierte früher die Hälfte der ländlichen Haushalte Schlafmohn für den Staat. Heute ist Bihar der ärmste und korrupteste Bundesstaat Indiens, so Rolf Bauer.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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