Wirtschaftsnobelpreis für Armutsbekämpfung

Der Nobelpreis für Wirtschaft geht heuer an Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer für ihren experimentellen Ansatz, die globale Armut zu bekämpfen. Das gab die Königlich Schwedische Wissenschaftsakademie bekannt.

In nur zwei Jahrzehnten habe der neue Ansatz den Bereich der Entwicklungsökonomie transformiert, heißt es in der Begründung des Preiskomitees. Ihre Forschung machte es möglich, Armut in der Praxis zu begegnen. Probleme werden dabei in kleinere überschaubare und dadurch lösbare Aufgaben zerteilt. In Feldexperimenten werden mögliche Interventionen dann getestet. Ein konkretes Beispiel der Arbeit: Mehr als fünf Millionen Kinder in Indien haben von Nachhilfeprogrammen in der Schule profitiert.

Angesichts der Tatsache, dass immer noch mehr als 700 Millionen Menschen auf extrem geringe Einkommen angewiesen sind und dass rund fünf Millionen Kinder unter fünf Jahren jedes Jahr an vermeidbaren oder heilbaren Krankheiten sterben, sei die Forschung besonders bedeutsam.

Abhijit Banerjee stammt aus Indien. Heute arbeitet er am Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, wo auch seine Partnerin, die Französin Esther Duflo, forscht. Sie ist erst die zweite Frau und zugleich die jüngste Person, die den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat. Der US-Ökonom Michael Kremer arbeitet an der Harvard University.

Die Ökonomin Duflo hat nach eigener Aussage nicht damit gerechnet, bereits in ihrem Alter mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet zu werden. Sie habe gedacht, dass man viel älter sein müsse, um sich den Preis zu verdienen. Die Auszeichnung erfülle sie mit Demut, sagte sie, als sie am Montag während der Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften angerufen wurde.

Der Generalsekretär der Wissenschaftsakademie, Göran Hansson, machte klar, Duflo erhalte den diesjährigen Preis nicht, weil sie eine Frau sei, sondern wegen ihrer herausragenden Forschung. Die Preisträgerin selbst sagte, sie hoffe, alle Wirtschaftswissenschaftlerinnen repräsentieren zu können. Sie wolle Frauen dazu inspirieren, ihrer Forschung weiter nachzugehen. Auch sollte ihre Auszeichnung viele weitere Männer dazu bringen, Frauen den Respekt zu zollen, den sie verdienten.

Positive Reaktionen

In ersten Reaktionen auf die drei neuen Nobelpreisträger haben österreichische Wirtschaftswissenschaftler sich sehr positiv geäußert. Der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Martin Kocher, hält die Auswahl für „absolut gerechtfertigt“: Die drei Preisträger hätten substanziell an der methodischen und inhaltlichen Weiterentwicklung der Entwicklungsökonomik gearbeitet.

Sie haben dabei vor allem Feldexperimente, also randomisiert-kontrollierte Studien, eingesetzt, um evidenzbasierte Grundlagen für die Bekämpfung von Armut und Diskriminierung zu schaffen. Ihre Arbeiten seien weithin anerkannt in der Wissenschaft und darüber hinaus. „Schön ist auch aus meiner Sicht, dass es mit Esther Duflo eine zweite Wirtschaftsnobelpreisträgerin gibt“, sagte Kocher. Er kenne Duflo persönlich, weil er bereits eine Laudatio auf sie gehalten habe. Sie sei eine „faszinierende Forschungspersönlichkeit“ und seine Favoritin für den Nobelpreis gewesen.

Angewandte Forschung

Heuer sei wieder ein Preis für eine sehr angewandte Erforschung großer Probleme verliehen worden. „Wirtschaftswissenschaft ist ja oft sehr theoretisch, die drei Preisträger haben versucht, die großen Probleme anzugehen und auf diese konkreten Probleme Antworten zu geben“, erläutert Kocher.

Rupert Sausgruber, Vorstand des Departments Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität (WU) in Wien, erläutert die Hintergründe: „Das ist eine hochaktuelle Forschung, die auch viel Wirkungskreis hat.“ Die Haupteinsicht in der Entwicklungsökonomie sei, dass Armut oft in lokalen Problemen verhaftet sei. So gebe es innerhalb eines Landes oft große Heterogenität, in armen Ländern also nicht nur sehr arme, sondern auch sehr reiche Leute.

Die Ursache könne nicht nur makroökonomisch global sein, sondern habe oft auch sehr viel mit den lokalen Verhältnissen zu tun. Mit dieser evidenzbasierten Methode könne man Einsicht in die Wirkung von Interventionen bekommen. Das Prinzip könne man in sehr vielen Bereichen anwenden, um etwa im Kampf gegen Analphabetismus die besten Maßnahmen herauszufinden, oder im Gesundheitsbereich. Auch aus Sicht von Klaus Friesenbichler, Entwicklungsökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO), ist der Nobelpreis „absolut verdient“ verliehen worden.

Kein „echter“ Nobelpreis

Der Wirtschaftsnobelpreis ist der einzige der Nobelpreise, der nicht auf das Testament von Dynamit-Erfinder Alfred Nobel zurückgeht. Er wird vielmehr seit Ende der 1960er Jahre von der schwedischen Zentralbank gestiftet und gilt somit streng genommen nicht als klassischer Nobelpreis. Die Nobelstiftung bezeichnet ihn nicht als Nobelpreis, sondern als „Preis der Schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel“.

die drei Preisträger 2019

Jonathan NACKSTRAND / AFP

Die drei Preisträger 2019

Dennoch ist er wie die anderen Auszeichnungen mit einem Preisgeld in Höhe von neun Millionen schwedischen Kronen (rund 830.000 Euro) verbunden und wird ebenfalls an Nobels Todestag, dem 10. Dezember, überreicht. Seit der ersten Verleihung des Wirtschaftspreises im Jahr 1969 wurden bei bisher 50 Vergaben insgesamt 81 Preisträger geehrt. Unter den Preisträgern war bisher nur eine Frau, die US-Professorin Elinor Ostrom.

science.ORF.at/APA/dpa

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