„Gehirnspülung“ im Tiefschlaf

Im Tiefschlaf arbeitet das Gehirn bekanntlich an der Gedächtnisbildung – doch die elektrischen Ströme der Neuronen haben noch einen ganz anderen Zweck, wie Wissenschaftler jetzt herausgefunden haben: Sie spülen Flüssigkeit durch das Hirngewebe.

Gibt man bei Google Scholar die Begriffe „neurons“ und „sleep“ ein, dann zeigt die akademische Suchmaschine mehr als eine Million Verweise auf einschlägige Studien. Was die Neuronen während des Schlafes tun, ist bis in die hintersten Winkel der Hirnwindungen erforscht – und dennoch gibt es in diesem Feld noch immer Überraschungen. Für eine solche haben jüngst Forscher um Laura Lewis von der Boston University gesorgt.

Hirnwasser zirkuliert in Hohlräumen

Die Neurowissenschaftlerin hat in ihrer letzten Studie das Gehirn aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel betrachtet. Beziehungsweise stellt sie einen Zusammenhang her, den man so nicht erwartet hätte: Die elektrischen Erregungen, die während des Tiefschlafes durch das Gehirn laufen und dort unter anderem für die Konsolidierung des Gedächtnisses sorgen, bringen offenbar die Gewebsflüssigkeit der Ventrikel in Wallung. Das Gehirn wird also in der Nacht quasi durchgespült – Lewis vermutet, dass dabei schädliche Stoffwechselprodukte aus dem Organ entfernt werden.

In einem Video der Forscher ist zu sehen, was während des Schlafes passiert: Wenn aktive Neuronen Sauerstoff verbrauchen (rot), gerät kurz darauf die sogenannte Zerebrospinalflüssigkeit in Bewegung (blau).

Dieser Zusammenhang ist gesichert. Offen bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Frage, was Ursache, was Wirkung ist. Lewis geht davon aus, dass die Nervenströme der direkte Auslöser sind. Bewiesen ist das zwar noch nicht, plausibel wäre es jedenfalls: Laut früheren Untersuchungen nimmt während des Tiefschlafes nämlich der Blutfluss im Gehirn ab - und schafft auf diese Weise Freiräume für das zirkulierende Hirnwasser, wie die US-Forscher/innen jetzt nachgewiesen haben.

Sollte sich Lewis‘ Deutung bestätigen, ließe sich auch erklären, warum es einen Zusammenhang zwischen Schlaf und neurodegenerativen Krankheiten gibt. Studien haben gezeigt, dass sich die Auslöser von Alzheimer, die sogenannten Amyloid-Beta-Proteine, im Fall von Schlafstörungen gehäuft im Gehirn ansammeln. Umgekehrt scheint ausreichender bzw. ungestörter Schlaf eben diesen Vorgang zu stoppen. Gut möglich, dass die nächtlichen „Gehirnspülungen“ etwas damit zu tun haben.

Robert Czepel, science.ORF.at

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