Sterben müssen nur die anderen

Zu Allerheiligen gedenken viele von uns der Verstorbenen, an den eigenen Tod denken die meisten aber nur ungern. Israelische Forscher haben nun sogar herausgefunden, dass uns das Gehirn davor schützt, zu sehr über das eigene Dahinscheiden nachzudenken.

Wie gehen wir mit Gedanken an den eigenen Tod um? Im Rahmen seiner Doktorarbeit setzte sich der Philosoph und Neurowissenschafter Yair Dor-Ziderman an der israelischen Bar-Ilan-Universität mit dieser Frage näher auseinander. Die daraus entstandene Studie wird Mitte November in der Fachzeitschrift „NeuroImage“ erscheinen.

Grab mit Kreuz, dahinter Blumen (Friedhof)

APA/ANNIEV KOSTA

Gemeinsam mit Abraham Goldstein, ebenfalls von der Bar-Ilan-Universität, und Antoine Lutz von der Claude Bernard University in Lyon entwickelte Dor-Ziderman ein Experiment, um die Gehirnaktivitäten bei Testpersonen zu überprüfen, wenn diese mit dem eigenen Tod konfrontiert werden.

Gehirnaktivitäten blockiert

Bei dem Experiment wurden 24 Testpersonen wiederholt Fotos von ihnen selbst und von Fremden gezeigt. Die Hälfte der Bilder wurde dabei mit Worten kombiniert, die in Verbindung mit dem Tod stehen – zum Beispiel „Begräbnis“ oder „Grabstein“.

Die Forscher stellten fest, dass das System, das im Gehirn quasi für Vorhersagen zuständig ist, in bestimmten Situationen abgeschaltet wurde – und zwar nur dann, wenn die Testpersonen ihr eigenes Gesicht zusammen mit einem Wort vor sich sahen, das in Verbindung mit dem Tod steht. Bei fremden Gesichtern funktionierte dieser Abblockmechanismus nicht.

Dor-Ziderman erklärte das Resultat des Experiments so: „Unser Gehirn nimmt die Information über den eigenen Tod nicht als vertrauenswürdig wahr und bringt diese daher nicht in Verbindung mit der eigenen Zukunft.“

Todesangst so groß wie nie?

Relevant sei das Abblocken von Gedanken an den eigenen Tod bereits seit der Zeit, als Menschen noch als Jäger und Sammler lebten, meinte Dor-Ziderman. Nur damit konnten damals nötige Risiken eingegangen werden, um zu überleben und sich fortzupflanzen.

Gerade für frühere Generationen sei dieser Mechanismus von großer Bedeutung gewesen, weil diese öfter mit dem Tod im Alltag zu tun hatten. Dor-Ziderman: „Heutige Generationen haben weniger direkten Kontakt mit dem Tod, weil Krankenhäuser und Altersheime existieren und die Menschen dort sterben.“ Diese Entwicklung führt laut dem israelischen Wissenschaftler dazu, dass im Allgemeinen die Angst vor dem Tod immer größer wird. Dor-Ziderman geht sogar so weit, von einer „Todesphobie“ bei aktuellen Generationen zu sprechen, die „noch nie zuvor so stark ausgeprägt war wie heute“.

Die an der Bar-Ilan-Universität durchgeführte Studie ist laut Dor-Ziderman wichtig, um komplexe Gehirnaktivitäten besser zu verstehen. In weiterführenden Studien möchte er erforschen, ob der Tod bei verschiedenen Altersgruppen unterschiedliche Reaktionen im Gehirn hervorruft und ob Faktoren wie Religiosität dabei eine Rolle spielen.

Raphael Krapscha, Ö1-Wissenschaft

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