So wurden Rumäniens Jugendliche zu Rockern

Ausländische Einflüsse waren unter Nicolae Ceausescu verpönt. Konsumgüter gab es wenig. In diesem spätsozialistischen Grau entstand eine Jugendkultur. Wie eine Historikerin berichtet, verbreitete sie sich dank eines Radiosenders in ganz Rumänien und wurde geduldet.

Andra Cioltan-Draghiciu kommt aus dem rumänischen Siebenbürgen. Ihr Vater war einst selbst ein junger Rocker gewesen. Er brachte sie auf die Idee, diese frühere Subkultur zu untersuchen. Mit Bild- und Textrecherchen, aber auch Zeitzeugeninterviews. Trotz des Personenkults um Nicolae Ceausescu, weitreichender Armut und unterdrückter Meinungsfreiheit konnte sich in diesem Klima eine jugendliche Subkultur formieren, die den Mut aufbrachte, anders zu sein.

Rumänische Jugendliche in den 1980er Jahren in Verkleidung

privat

Rumänische Jugendliche, 1975

Die Rockfans waren kein Hauptstadtphänomen – es gab sie in ganz Rumänien, unter anderem dank des US-amerikanischen Senders Radio Free Europe, der im ganzen Land empfangen werden konnte. Wie viele es waren, kann man rückblickend nicht mehr sagen, meint Andra Cioltan-Draghiciu. Doch es müssen so viele gewesen sein, dass der rumänische Geheimdienst die Verfolgung dieser abtrünnigen Jugendlichen aufgab.

Die Historikerin Andra Cioltan-Draghiciu hat sich mit der Geschichte der „hybriden Subkultur“ beschäftigt. Sie ist derzeit an der Karl Franzens-Universität Graz beschäftigt Für einen Vortrag zu Thema war sie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu Gast. Zuletzt von ihr erschienen :"Gut gekämmt ist halb gestutzt." Jugendliche im sozialistischen Rumänien, LIT 2019

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 14.11., 13:55 Uhr.

Lange Haare, Jeans und Turnschuhe, das war nicht gern gesehen im sozialistischen Rumänien, weder in der Schule noch auf der Straße. Doch die wenigsten der rund 14- bis 30-Jährigen waren wirklich politisch aktiv, erklärt Andra Cioltan-Draghiciu. „Im Allgemeinen waren das einfach junge Leute, die ihr Leben, ihren Eigensinn, ihre Identität formen wollten und einen Weg in der Rockmusik dafür fanden.

Radio als Revolte

Die passende Musik kam vom Sender Radio Free Europe, der von München aus mit einem Format in rumänischer Sprache das Land beschallte. Jazz, Rock, Punk oder Psychedelische Musik, die Fans aus dem Osten nahmen alles, was der Sender ihnen bot, begeistert auf, erzählt Andra Cioltan-Draghiciu. Insofern kann man auch nicht von einer eindeutig abgrenzbaren Subkultur sprechen, sondern von einem wilden Eklektizismus, der sich zu einer alternativen Jugendkultur formte. Es gab auch rumänische Rockbands, die die englischen Lieder nachsangen – in einem Phantasie-Englisch, denn der Sprache war kaum jemand mächtig und schriftliche Textunterlagen gab es auch keine.

Missbilligung bei Lehrern, misstrauische Blicke der Geheimpolizei – das war alles, was die Jugendlichen der 1980er Jahre zu befürchten hatten, erfuhr Andra Cioltan–Draghiciu: „Manchmal wurden einige von ihnen zur Securitate (rumänischer Staatssicherheitsdienst, Anm.) ‚eingeladen‘ – wie man das nannte - und befragt, oder sie wurden fotografiert und somit eingeschüchtert, aber es gab keine wirklichen harten Konsequenzen.“

Eine Generation wird erwachsen

Auch wenn die Rocker-Subkultur nicht dezidiert politisch war: Es waren diese jungen Leute, die bei der rumänischen Revolution von 1989 besonders stark vertreten waren – und die für etwas kämpften, das sie zwar nicht kannten, von dem sie aber schon gehört hatten, meint Andra Cioltan-Draghiciu: „Diese Vorstellung vom Westen, die hat ihnen die Musik vermittelt.“

Bei der letzten Volkszählung im Jahr 2011 zeigte sich, dass die Altersgruppe der 40- bis 64-Jährigen die derzeit größte in Rumänien ist. Das waren die Jugendlichen von damals. Sie zu verstehen und damit auch die gegenwärtige politische und gesellschaftliche Situation in Rumänien zumindest teilweise nachzuvollziehen, ist die eigentliche Kernfrage von Andra Cioltan-Draghiciu: „Sie hatten die Aufgabe, die Gesellschaft nach 1989 zu demokratisieren, aber sie hatten überhaupt keine Erfahrung mit der Demokratie.“

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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