Verschwundene Lager sichtbar machen

Ehemalige Internierungslager sind wichtige Orte des Gedenkens und der Reflexion. Von so mancher Stätte fehlen heute allerdings sichtbare Spuren. Auch diese verschwundenen Orte seien wichtig für die kollektive Erinnerung, betonen Experten bei einer Tagung.

Ein unsichtbarer Ort - das war zum Beispiel das ehemalige Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen in Melk. Auf dem Gelände befindet sich heute eine Kaserne. Dass hier einmal ein Konzentrationslager gewesen ist, war bis vor wenigen Jahren kein Thema, erzählt Christian Rabl, wissenschaftlicher Leiter des Zeithistorischen Zentrums Melk.

Die „Lagerstraße“ in Laa/Thaya trägt ihren Namen seit der NS-Zeit.

Judith Krainer

Die „Lagergasse“ in Laa/Thaya trägt ihren Namen seit der NS-Zeit. Damals befand sich dort ein RAD-Lager, später erfolgte eine zeitweise Nutzung als Anhaltelager für ehemalige Nationalsozialisten sowie für Vertriebene aus Südmähren.

Erst vor kurzem hat man begonnen, den Ort wieder „sichtbar“ zu machen: Der Verein Mauthausenkomitee bildete Außenlager-Guides aus, die regelmäßig Workshops und Begleitprogramme mit Grundwehrdienern durchführen, um sie über die Geschichte des ehemaligen Lagers zu informieren. Die Grundwehrdiener werden in dem ehemaligen Außenlager ausgebildet und sind teilweise sogar in denselben Gebäuden untergebracht wie die KZ-Häftlinge in den Jahren 1944 /45, berichtet Christan Rabl.

Orte statt Zeitzeugen

Im Fokus der Tagung stehen Lager in Niederösterreich, aus der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden vielerorts aus ganz unterschiedlichen Gründen temporäre Lager errichtet, für Kriegsgefangene oder Flüchtlinge. Manche sind abgerissen worden, andere zur Unkenntlichkeit umgebaut. Oftmals verweisen nur noch Straßenbezeichnungen wie „Lagergasse“ darauf.

Veranstaltungshinweis:

Die Tagung zu unsichtbaren Lagern findet vom 20. bis 21.11. statt. Am Mittwoch gibt es Diskussionen und Vorträge in der Niederöst. Landesbibliothek und am Donnerstag im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich in St. Pölten. Organisiert wurde die Tagung vom Forschungsnetzwerk Interdisziplinäre Regionalstudien (first), der Stabsbereich Digital Memory Studies der Donau-Universität Krems und das Zeithistorische Zentrum Melk in Kooperation mit dem Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich und der Niederösterreichischen Landesbibliothek.

Für Christian Rabl sind Erinnerungsorte wichtig für verschiedenste Gruppen: für die Nachkommen der Zwangsarbeiter und der ermordeten Opfer, aber auch für die lokale Bevölkerung, und die österreichische Gesellschaft insgesamt. Die Mechanismen und Strukturen totalitärer Regime zeigen sich an solchen Orten besonders deutlich, meint Rabl, und gleichzeitig lasse sich hier die Wichtigkeit demokratischer Werte vermitteln. Gerade in der heutigen Zeit sei das wichtig, meint er: „Wenn die letzten Zeitzeugen verschwunden sind, bedarf es dieser Orte, um auch Zeitgeschichte, insbesondere die NS-Vergangenheit, vermitteln und darstellen zu können.“

Kreative Vermittlungsarbeit

Es geht aber nicht nur darum, diese ehemaligen Orte der Folter und des Mordes zu identifizieren und sie archäologisch genau zu rekonstruieren, sondern auch darum, eine ideale Aufarbeitung und Vermittlung zu gestalten, die auch Bezüge zur Gegenwart herstellt. Wie kreativ manche Vermittlungsarbeit aussehen kann, zeigt das Beispiel des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers Viehofen aus dem Zweiten Weltkrieg. Dort hat die Künstlerin Tatiana Lecomte ein Postkartenprojekt initiiert. Sie verschickte die Karten an die St.Pöltner Bevölkerung und wies sie darauf hin, dass dort, wo heute ein beliebtes Freizeit- und Naherholungsgebiet ist, früher einmal ein Lager für ungarische Jüdinnen und Juden stand.

Überreste der Geschichte des KZ-Außenlagers Melk.

Christian Rabl

Überreste der Geschichte des KZ-Außenlagers Melk. Es handelt sich um einen Holzbalken, der sich im sogenannten Objekt X der Melker Birago-Pionierkaserne befindet und auf dem sich seit Sommer 1944 die Inschrift „Arbeit macht frei“ findet.

Dass Erinnerungsorte unsichtbar geworden sind, hat allerdings oft seinen Grund. Erinnerung kann nicht von oben herab verschrieben werden, warnt Christian Rabl. Der Wunsch nach Aufarbeitung muss auch aus der Bevölkerung kommen, und hier leisten kleine Initiativen große Arbeit, meint er: „Das ist auch ein ganz wesentlicher Aspekt, dass nämlich lokale und regionale Initiativen für wesentlich größere Akzeptanz sorgen, wenn es darum geht, die Geschichte solcher Lager aufzuarbeiten und auch eine Gedenkkultur zu etablieren.“

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 19.11. um 12:00

Auch internationale Best-Practice Beispiel werden auf der Konferenz vorgestellt, etwa die Aufarbeitung am ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg in Deutschland. In Flossenbürg war während des NS-Regimes einer der zentralen Konzentrationslager - Hauptstandorte, in der Nachkriegszeit geriet er jahrzehntelang in Vergessenheit. Heute gibt es dort einen Gedenk- und Begegnungsort, an dem zeithistorisches Wissen vermittelt wird.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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