Tendenz in Osteuropa schlechter als in Afrika

Die HIV-Infektionen in Afrika gehen seit Jahren zurück, in Europa steigen sie. Das liegt vor allem an Osteuropa. Dabei hätte man medizinisch alle Mittel in der Hand, um die HIV-Epidemie zu beenden.

Es gibt Medikamente, die verhindern, dass das HI-Virus weiter auf andere Menschen übertragen wird; außerdem Prophylaxen, die man vor bzw. nach einem Risikokontakt einnehmen kann, um ein Anstecken zu verhindern; und unterschiedliche Tests – von Heimtests bis hin zu medizinischen PCR-Tests -, dank derer Betroffene schnell über ihren Status aufgeklärt und behandelt werden können.

Demonstrantinnen in Kiew halten leere Verpackungen von HIV-Medikamenten

SERGEI SUPINSKY / AFP

Demonstrantinnen in Kiew halten leere Verpackungen von HIV-Medikamenten

Dennoch scheint das internationale Ziel, die weltweite Epidemie bis 2030 zu beenden, in weiter Ferne und das liegt nicht zuletzt an der WHO-Region Europa, zu der auch zentralasiatische Länder wie Kirgistan, Georgien und Armenien zählen. Während sich in der EU zwar in den letzten Jahren immer weniger Menschen mit dem HI-Virus infiziert haben, wurden in Osteuropa und Zentralasien um 60 Prozent mehr Fälle gemeldet; der Großteil davon in Russland und der Ukraine (84 Prozent). Gründe dafür gibt es viele, wie der Präsident der Europäischen HIV/Aids-Gesellschaft, Jürgen Rockstroh erklärt: „Der wichtigste ist sicherlich die Stigmatisierung sowie natürlich auch die Kriminalisierung von bestimmten Gruppen.“

Mehr Infektionen: Die Gründe

Durch den kriminalisierten Drogenkonsum in Russland und anderen osteuropäischen Ländern haben es Drogenabhängige schwer, an Ersatzdrogen und saubere Spritzen zu kommen. „Dabei wissen wir, dass es dort, wo es Methadon-Substitution und Zugang zu sauberen Spritzen gibt, keine Neuinfektionen gibt.“ Problematisch ist auch, wenn der illegale Drogengebrauch schnell ins Gefängnis führt, wo sich Infektionen wie HIV schneller ausbreiten. Drogenkonsum zählt deshalb in Russland und den angrenzenden Ländern zu den Hauptübertragungswegen, berichtet Rockstroh. Anders als in Deutschland und Österreich, wo HIV allen voran durch Sex zwischen Männern übertragen wird.

Darüber hinaus erschweren Diskriminierungen von homosexuellen Menschen den Kampf gegen die HIV-Epidemie im Osten Europas. „In manchen Bezirken in Polen wirbt man stolz damit, LGBT-frei zu sein. Das ist nicht wirklich die Umgebung, wo man sagt, ich hatte Sex mit einem Mann und möchte mich testen lassen.“

HIV-Infizierte in Kiew

SERGEI SUPINSKY / AFP

HIV-Infizierte in Kiew

Das hat nicht nur zufolge, dass viele Betroffene erst Jahre nach ihrer Infektion - wenn bereits das Immunsystem geschädigt ist - die Diagnose HIV bekommen. Auch bei den bereits behandelten bleibt der Therapieerfolg weitgehend aus, wenn es kaum Zugang zu einer vertrauensvollen Betreuung und Beratung gibt. Experten schätzen demnach, dass nur 23 Prozent aller in Osteuropa HIV-infizierten Menschen richtig therapiert werden – das heißt, dass die HI-Viren so gehemmt werden, dass sie sich nur noch langsam in den menschlichen Zellen vermehren können und auf sexuellem Wege nicht auf andere übertragen werden. (Anm.: Das schließt auch die Dunkelziffer mit ein, die nicht wissen, dass sie HIV haben.)

„Nimmt man alle Kontinente zusammen, scheint es so zu sein, dass die HIV-Versorgung am Kontinent Afrika viel besser funktioniert als in Europa", so Rockstroh. Zumindest was die Entwicklung hinsichtlich Neuinfektionen angeht. Auf die gesamte europäische Region gerechnet haben die Infektionen in den letzten zehn Jahren nämlich um 45 Prozent zugenommen. Dass der Westen das 90-90-90-Ziel der Vereinten Nationen in einigen Ländern schon erreicht hat, kann die europäische Gesamtstatistik nur wenig verbessern. „90-90-90“ heißt, dass 90 Prozent der HIV-Infizierten über ihre Erkrankung Bescheid wissen. 90 Prozent davon therapiert werden, wovon 90 Prozent ihre Viren erfolgreich hemmen können. Der aktuelle Status quo liegt in Westeuropa hier bei 87-91-93, Osteuropa hält laut UNAIDS-Zahlen bei etwa 76-46-78.

Vorbilder Südafrika und China

In Afrika hingegen nahm die Zahl der Neuinfektionen seit 2010 immer ab: In West- und Zentralafrika um acht Prozent (64–79-76), in Süd- und Ostafrika sogar um 30 Prozent (85-79–87). Nicht zuletzt die Region rund um Südafrika macht deutlich: „Es kann sich nur etwas ändern, wenn ein politischer Wille da ist", betont Rockstroh. Nachdem man hier lange ignoriert hatte, dass HIV durch Sex übertragen werden kann und sich somit fast jeder Dritte in Südafrika mangels Verhütung und Medikamenten mit dem Virus infiziert hatte, reagierte die Regierung Anfang der 2000er Jahre mit Intensivprogrammen und riss das Ruder herum, berichtet Rockstroh. Zwischen 2010 und 2017 sind die Neuinfektionen dadurch um gut 40 Prozent zurück gegangen, so UNAIDS.

HIV-Kampagne in China

AFP PHOTO STR

HIV-Kampagne in China

„China wiederum hatte eine ähnliche Drogenpolitik wie Russland. Auch hier infizierten sich Menschen vor allem beim Drogenkonsum. Man hat dann aber gesehen, was in anderen Ländern gemacht wird, von heute auf morgen 200 Substitutionskliniken eingerichtet und somit noch das Ruder herumreißen können.“

Projekte gibt es aktuell auch in der Ukraine, Kirgistan sowie Georgien, die bereits mit Prophylaxen- und Test-Programmen etwas verändern konnten, berichtet Rockstroh. „Man hat zum Teil schon das Gefühl, dass es hier eine größere Bereitschaft gibt, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Es sind nun aber alle AIDS-Fachgesellschaften gefragt, Überzeugungsarbeit zu leisten und auf Positivbeispiele und deren Erfolge hinzuweisen. Ob das gelingt, weiß ich nicht.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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