Molière ist doch der Autor seiner Stücke

Molière gilt bis heute als der wichtigste Komödiendichter Frankreichs. Dabei gibt es seit 100 Jahren Zweifel daran, ob er überhaupt der Autor seiner Stücke ist. Eine sprachliche Analyse spricht nun klar für ihn.

Menschliche Schwächen standen im Mittelpunkt seiner meisten Werke, so auch bei „Le Malade imaginaire“ („Der eingebildet Kranke“), bei dem Molière wie so oft selbst die Hauptrolle spielte. Sein vielleicht berühmtestes Theaterstück war auch sein letztes, er starb kurz nach der vierten Vorstellung im Februar 1673. Der Dichter mit dem bürgerlichen Namen Jean-Baptiste Poquelin – er stammte aus einer einfachen Handwerkerfamilie - machte die Komödie in Frankreich salonfähig und ist heute fast so etwas wie ein französischer Nationalheld.

Joachim Meyerhoff als "Argan" im Molière-Stück "Der eingebildet Kranke" (Burgtheater 2015)

APA/GEORG HOCHMUTH

Joachim Meyerhoff als „Argan“ im Molière-Stück „Der eingebildet Kranke“ (Burgtheater 2015)

Umso größer war die Empörung, als vor hundert Jahren erstmals öffentliche Zweifel an seiner Autorschaft geäußert wurden. Im Oktober 1919 veröffentlichte der Lyriker und Romancier Pierre Louÿs einen Artikel, indem er die These vertritt, dass die Werke in Wahrheit von Pierre Corneille - ebenfalls ein französischer Bühnenautor und ein Zeitgenosse von Molière - verfasst worden sind. Laut Louÿs hätte Molière nicht die nötige Bildung gehabt und schon gar nicht die Zeit, um all seine Werke zu schreiben. Außerdem gebe es kein einziges Originalmanuskript. Handfeste Beweise für seine Zweifel lieferte Louÿs allerdings keine.

Schwierige Beweislage

Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts meinten Forscher, solche gefunden zu haben. Mit einer quantitativen Analyse vermaßen sie den „lexikalischen Abstand“ zwischen verschiedenen Texten. Demnach könnten die Texte von Molière und Corneille vom selben Autor stammen.

Sie führten auch noch andere Argumente ins Treffen: „Ghostwriting“ war im 17. Jahrhundert weit verbreitet und oft sind prominente Schauspieler als offizielle Autoren genannt worden, bei 90 Prozent aller Komödien soll das der Fall gewesen sein. Damit war die Debatte um die Autorenschaft von Molières Stücken erneut angefacht, aber trotz der nun möglichen Datenanalyse gab es bis heute keine wirklich stichhaltigen Belege für die eine oder die andere Seite der Kontoverse, schreiben Florian Cafiero von der Université Paris-Diderot und Jean-Baptiste Camps von der Université Paris Sciences et Lettres in ihrer soeben in „Science Advances“ veröffentlichten Studie.

Das liege auch an der Komplexität der Sachlage: Nachdem es einen allgemeinen Zweifel an den Komödienschreibern (d.h., an ihrer Urheberschaft) des 17. Jahrhunderts gibt, lässt sich für keinen ein typischer Stil identifizieren. Generell seien Themen und Stil bei allen damaligen Autoren in Frankreich recht ähnlich. Sie schrieben gern voneinander ab. Und die meisten Stücke waren Adaptionen von spanischen oder italienischen Vorlagen, oft basierten sie auch auf antiken Stoffen. Von den allermeisten gibt es keine Originalmanuskripte, deswegen kann man weder die Schreibweisen noch Satzzeichen als Hinweise auf den Autor verwenden.

Sprachliche Merkmale

Trotz all dieser Einschränkungen haben Cafiero und Camps nun erneut versucht, die Urheberschaft von Molières Stücken endgültig zu klären. Einer der wenigen Vorteile dabei sei, dass anders als bei Shakespeare - dessen Autorenschaft auch immer wieder angezweifelt wurde und wird - nicht so viele mögliche „Ghostwriter“ in Frage kommen. Nur der bereits erwähnte Pierre Corneille war dafür jemals in Gespräch, vielleicht mit Unterstützung seines Bruders Thomas.

Deswegen haben sich Cafiero und Camps nun vor allem auf den Vergleich der drei Autoren konzentriert, als Datengrundlage dienten ausschließlich in Versmaß verfasste Komödien. Analysiert wurden diese auf Basis von sechs Sprachmerkmalen. Unter anderem wurde gezählt, welches Vokabular, welche Reime, Wortformen, Präfixe und Suffixe oder welche grammatikalischen Anordnungen in den Texten häufig vorkommen.

Besonders aussagekräftig sei dabei die Verwendung von sogenannten Funktionswörtern. Dazu zählen etwa Artikel, Binde- und Vorwörter sowie Pronomen - also Wörter, die selbst keinen Inhalt transportieren, aber das sprachliche Gerüst bilden, d.h., für den grammatikalischen Satzbau wichtig sind. Sie werden meist völlig unbewusst oder automatisch eingesetzt und prägen dadurch den Stil ganz ohne Absicht. Es gibt insgesamt nicht sehr viele Funktionswörter, aber sie kommen in allen Textformen sehr häufig vor.

Ein Autor

Zuerst haben die Forscher ihre Methode mit einem größeren Sample von Komödien in Versmaß von insgesamt zwölf Autoren getestet. Anhand der Merkmale wurden die Texte automatisch gruppiert. Die meisten Stücke von Molière landeten in einer der drei, dabei entstandenen Gruppe, nicht aber die Werke der Corneille-Brüder. Bei der endgültigen Analyse von insgesamt 37 Stücken war die Einteilung den Forschern zufolge noch eindeutiger: Die Molière-Werke waren sprachlich klar von den Corneille-Werken zu trennen.

Auf dieser Basis lasse sich ausschließen, dass Pierre Corneille oder sein Bruder die Werke von Molière komplett verfasst oder auch nur vollendet haben. Die formalen und inhaltliche Unterschiede seien einfach zu groß. Es sei historisch auch nicht sehr wahrscheinlich, dass jemand ganz anderer die Stücke geschrieben hat, da es damals nicht so viele Bühnenautoren in Frankreich gab. Ziemlich sicher sei es hingegen nun, dass alle Stücke aus ein- und derselben Feder stammen. Das alles spreche letztlich dafür, dass Molière tatsächlich der Autor seiner Werke ist.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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