Wohnen auf und unter dem Wasser

Wenn mit der Klimaerwärmung der Meeresspiegel steigt, werden Küstenregionen verschwinden und Inseln versinken. Städte auf dem Meer und unter Wasser könnten zum Zufluchtsort werden – weltweit wird an Projekten für ein Leben mit der Flut gearbeitet.

Die Visionäre vom Seasteading Institute hatten Tahiti für ihr Pionierprojekt ausgewählt: Sie wollten eine schwimmende Stadt - eine künstliche Insel vor der Insel bauen. Die Behörden auf Tahiti waren zunächst von dem zukunftsweisenden Projekt begeistert, die Verhandlungen waren erfolgreich und am Ende stand ein „Memorandum of Understanding“.

Das Seasteading Institute hat seinen Namen von sogenannten Seasteads, dauerhaften Wohnungen auf dem Meer. Der Gründer und Aktivist Patri Friedman hatte im Jahr 2008 die Idee schwimmende Städte auf dem Meer zu gründen. Der Enkel des Nobelpreisträgers Milton Friedman sah darin auch seine politische Agenda, er wollte völlig autonome Freistaaten auf hoher See gründen.

Visualisierung einer künstlichen Stadt am Meer

Seasteading Institute

Visualisierung einer künstlichen Stadt am Meer

Damit ist der junge Friedman ganz in der Tradition des großen liberalen Ökonomen, der stets gegen staatliche Regulierung auftrat. Auch sein Vater David Friedman kämpft gegen den Staat, er gilt als Vordenker des Anarchokapitalismus. Kein Wunder also, dass nun eine konkrete Umsetzung der Familienidee folgen sollte.

Sendungshinweis:

Die ORF-Koproduktion „Erde unter Wasser. Wohnen im Klima-Chaos“ wird am 4. Dezember auf 3sat im Hauptabendprogramm um 20:15 ausgestrahlt und ist danach in der 3sat-Mediathek eine Woche lang zu sehen.

An finanzstarken Kontakten mangelte es nicht, Peter Thiel, einer der Gründer von Pay Pal, finanzierte die Planung der schwimmenden Stadt vor Tahiti. Die Stadt sollte zunächst auf hoher See treiben, dann erschien die stürmische See allerdings zu gefährlich und die Stadt wurde in Küstennähe angedacht. Seasteading plante mehrstöckige Gebäude auf vernetzten Plattformen- eigentlich sieht es wie eine schwimmende Vorstadt mit wenig inspirierten Hochhäusern aus. Designpreis gewinnt man damit wohl keinen.

Einwohner dagegen

Interessant ist, dass gerade Tahiti ausgesucht wurde. Tahiti selbst wird nicht so schnell untergehen, die Insel besteht aus zwei erloschenen Vulkanen und ist gebirgig. Der steilste Gipfel der Doppelinsel ist 2.241 Meter hoch. Die Dörfer allerdings sind an den schmalen Küsten angelegt. Und die versinken - jedes Jahr um 0,25 Millimeter. Flacheren Inseln wie den Malediven steht das Wasser weit schneller bis zum Hals.

Das Projekt wurde vollmundig der Presse angekündigt, dann auf 2020 verschoben und im Vorjahr auf Eis gelegt. Denn hunderte Einwohner protestierten gegen die Pläne der Superreichen. Sie wehrten sich gegen den Tech-Kolonialismus aus Silicon-Valley. Tahiti sollte nicht noch einmal Opfer des Kolonialismus werden. Wie es weitergeht, ist also offen.

Leben unter Wasser

Die Amerikaner sind nicht die einzigen, die schwimmende Städte planen. Auch der Franzose Jacques Rougerie will das Meer urbanisieren. Er hat ebenfalls eine urbane Vision für Tahiti. Allerdings gestalterisch ausgefeilter und ohne politische Idee dahinter. Ihm geht es darum Möglichkeiten aufzuzeigen. Jacques Rougerie plant seit Jahrzehnten für ein Leben auf und im Meer.

Modell von Wohneinheit auf und unter dem Wasser, dem Seepferdchen nachempfunden

Rougerie Architectes Associes

Modell von Wohneinheit auf und unter dem Wasser, dem Seepferdchen nachempfunden

Der Pariser war einer der ersten, der Unterwasserhäuser und ganze Unterwassersiedlungen plante. Er arbeitete dafür mit dem großen Pionier der Meeresforschung Jacques Piccard zusammen. „Es gibt zwei große Abenteuer der Menschheit: das Abenteuer im All, und das Abenteuer unter dem Meer. Das ist die Zukunft der Menschheit“, meint er. Er sah schon in den 1960er Jahren voraus, dass es einmal Unterwasserhotels geben wird. Und tatsächlich werden gerade jetzt erste Unterwasserhotels und Unterwasserrestaurants wie das „Under“ von dem norwegischen Architekturbüro Snohetta errichtet.

Hotel unter Wasser, Speisesaal

Snohetta

Speisesaal unter Wasser

Rougerie ist kein Prophet des Untergangs, er sieht den Wandel positiv. Er liebt das Meer und all seine Geheimnisse. Sein Lebensprojekt ist deshalb auch der „Sea Orbiter“- eine im Meer treibende Forschungsstation, mit der die unbekannte Tiefsee erforscht werden soll. Er betrachtet den Klimawandel allerdings mit Sorge. „Es wird 200 bis 300 Millionen Klimaflüchtlinge geben, was werden wir machen? Wir können es schaffen, wenn wir in mehreren Generationen denken.“ Der Franzose erinnert an die Kathedralen, auch sie wurden über Generationen hinweg erbaut. Diesen großen Zeithorizont brauchen wir jetzt wieder, wenn wir das Meer als neuen Lebensraum erobern, meint er.

Zeit drängt

Zeit bleibt nicht viel. Der Meeresspiegel steigt rasant, schneller als vorhergesagt und es ist nicht klar, wie es weitergehen wird. „Wir führen im Moment ein gigantisches Experiment an unserem Planeten aus“, meint der Klimaforscher Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Es wird nicht nur die Inseln, sondern alle Küstenregionen treffen. Neun von zehn der weltweit größten Metropolen werden schon 2050 vom Meeresspiegelanstieg betroffen sein, schätzen die Vereinten Nationen. Die Mehrheit der Küstenregionen wird von den Fluten zerstört und Millionen von Menschen obdachlos machen.

Visualisierung von Oceanix City von oben

BIG Bjarke Ingels Group

Visualisierung von Oceanix City von oben

Schwimmende Städte werden nicht mehr als futuristische Spinnerei abgetan, sondern als eine mögliche Lösung für die Zukunft. Sogar die Vereinten Nationen denken schon über eine Zukunft auf dem Wasser nach. UNO-Habitat präsentierte ein eigenes Konzept. „Oceanix City“ soll die weltweit erste nachhaltige schwimmende Stadt für 10.000 Einwohner werden. Es soll keine Arche nur für Reiche werden, sondern in ferner Zukunft allen bedrohten Küstenbewohnern als Zufluchtsort zur Verfügung stehen. So zumindest das hehre Ziel. Die Technologie gibt es bereits für ein Leben auf dem Wasser, jetzt muss die Utopie nur noch umgesetzt werden.

Matthias Widter, Ulrike Schmitzer, 3-sat, Ö1-Wissenschaft

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