Simulation zeigt Hochwasserrisiko an

Extremwetter wird mit der Klimaerwärmung häufiger, in manchen Regionen etwa Hochwasser. Computersimulationen könnten schon vor dem Ernstfall zeigen, welche Häuser und Straßen besonders betroffen sind - und sie somit vorab besser schützen.

Rot gekennzeichnete Gebäude sind besonders gefährdet, gelbe mittel, weiße nur minimal: So wird der digitale Wasser-Stadtplan aussehen, den Entwicklerinnen und Entwickler der Forschungs-GmbH „Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung“ - kurz VRVis - für alle Gemeinden in Österreich erstellen. „Eine Gefährdung bedeutet einfach, ich habe eine Beeinträchtigung durch Wasser – das kann aus dem Kanalnetz kommen oder durch ein Starkregenereignis und zu einer Überflutung oder Überschwemmung führen“, erklärt der VRVis-Geschäftsführer Gerd Hesina.

Beispiel: Simulation der Überschwemmung von Amstetten

Bedrohte Häuser, Hänge und Dämme

Das von VRVis entwickelte Computerprogramm soll genau vorhersagen, wie sich das Wasser in unterschiedlichen Situationen verhält und ab welchem Punkt Starkregen und Überschwemmungen einen Hang oder Damm destabilisieren bzw. ein Haus überfluten. Dafür sammelten die Informatiker sämtliche Informationen über das Kanalsystem, den umliegenden Flüssen, Straßen, Häuser, Hügeln und Böden. Nun wird daraus von allen Gemeinden ein dreidimensionaler, digitaler Zwilling gebaut. „Bis jetzt haben wir den Westen von Österreich erfasst, also Tirol, Vorarlberg, Salzburg.“ Amstetten, die Region Marchfeld sowie Gemeinden in der Steiermark sind ebenfalls fertig. Der Rest soll im kommenden Jahr durchsimuliert und ergänzt werden.

Hochwasser im Inn bei Schwaz im Juni 2019

APA/ZOOM.TIROL

Hochwasser im Inn bei Schwaz im Juni 2019

Ab Herbst 2020 kann sich dann jeder in Österreich auf der Website des Umweltministeriums hora.gv.at die Hochwasser-Risikozonen ansehen. Auch Gebiete, die von einem 100- oder 300-jährlichen Hochwasser bedroht sein könnten, werden ausgewiesen - und zwar so genau wie noch nie. „Ich kann dann für jedes Haus Aussagen treffen, und das war bis jetzt nicht möglich.“

Interessiert an diesen Erkenntnissen sind nicht nur Gemeinden und ihre Bewohner und Bewohnerinnen, sondern auch der Österreichische Versicherungsverband, der das Forschungsprojekt in Auftrag gegeben hat. Es geht um viel Geld. Den Schaden nach dem Donau-Hochwasser 2013 schätzt man insgesamt auf circa 277 Millionen Euro. Das vergleichsweise kleine Inn-Hochwasser in diesem Jahr wurde mit fünf bis sieben Millionen Euro beziffert.

Simulation für effektiver Schutzmaßnahmen

Wie eine Gemeinde Schäden minimieren kann, verrät das Computerprogramm als kostenpflichtiges Extraservice. Mithilfe von Simulationen kann man im digitalen Gemeinde-Zwilling unterschiedliche Schutzmaßnahmen setzen und die Gebiete dann digital überfluten bzw. anregnen lassen. „Man legt dann beispielsweise in dem Gebiet ein oder mehrere Rückhaltebecken an und kann sich anschauen, wo es am meisten nützt.“ Manchmal machen wenige Zentimeter den entscheidenden Unterschied – schon eine leicht erhöhte Straße oder Gehsteigkante kann das Wasser an einer kritischen Stelle abhalten oder umleiten, wie die Simulationen zeigen.

Die Salzach im Bereich Kraftwerk Lehen am 29. Juli 2019

APA - Barbara Gindl

Die Salzach im Bereich Kraftwerk Lehen am 29. Juli 2019

Um sicherzugehen, dass der Computer richtig rechnet, vergleichen die Entwickler ihre Simulation mit der Realität. „Es gibt ein Freiluftlabor im niederösterreichischen Petzenkirchen, wo Sensoren messen, wie sich das Wasser tatsächlich verhält, und das vergleichen wir.“

Erste Gemeinden in Niederösterreich und der Steiermark haben das Programm schon genutzt und Rückhaltebecken errichtet oder Hänge verbaut, um abschießendes Wasser aufzufangen und abzuleiten, erzählt Hesina - welche Gemeinden das sind, wollte er aus Datenschutzgründen nicht sagen.

Sandsackmanagement in Echtzeit

Abgesehen von Vorsorge kann das Computerprogramm auch akutes Krisenmanagement, so der Informatiker. „Beispielsweise kann ich ausrechnen, wie viele Sandsäcke ich wo brauche, welches Depot ich am schnellsten erreiche und wie lange es letztlich dauert, um die Säcke zu transportieren und dort aufzubauen.“

Möglich sind solche genauen Berechnungen nicht zuletzt, weil mehr Daten über den Verkehr, die Infrastruktur und die Vegetation verfügbar sind und Österreichs Landschaft in den vergangenen Jahren genauer vermessen wurde. „Damit wir beispielsweise realistisch vorhersagen können, wo sich bei Regen das Wasser am Berg sammelt und ins Tal schießt, müssen wir jede Rille erfassen. Das heißt, es reicht nicht, einen Berg grob alle paar Meter zu vermessen. Vielmehr braucht man Rasterabstände von 50 Zentimetern oder sogar weniger, damit man nichts übersieht.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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