„Liebe“ ist nur ein Wort

Sind „Liebe“, „love“ und „amore“ womöglich nur drei Wörter, die gar nicht (genau) dasselbe meinen? Das legt zumindest eine Analyse von Begriffen aus 2.500 Sprachen nahe. Gefühle seien nicht so allgemeingültig, wie oft angenommen wird.

Schon Charles Darwin dachte, dass manche Gefühle wie etwa Angst, Trauer und Freude so grundlegend sind, dass sie angeboren sein müssen und daher allen Menschen – egal woher sie kommen - vertraut sind. Diese Universalität soll sich unter anderem in einer ähnlichen Mimik spiegeln. Mittlerweile häufen sich Zweifel an dieser These. So zeigen etwa Experimente, dass emotionale Gesichtsausdrücke auch das Produkt der jeweiligen Kultur und daher gar nicht so allgemeingültig sind.

Vielleicht sind auch die zugrunde liegenden Gefühle weitaus variabler und weniger universell als Darwin dachte. Und vielleicht bedeuten Zorn, Hass oder Liebe nicht überall dasselbe, wiewohl die meisten Sprachen dafür Worte besitzen. Wer weiß schon, ob eine Engländerin, ein Türke und eine Ungarin tatsächlich dasselbe meinen, wenn sie von „love“, „sevgi“ und „szerelem“ sprechen? Endgültig werden sich Fragen wie diese wohl nie beantworten lassen, die Forscher um Joshua Conrad Jackson von der University of North Carolina at Chapel Hill haben in einer umfassenden Studie nun dennoch versucht, möglichen Unterschieden auf die Spur zu kommen.

Mehrfachbedeutungen

Fast 2.500 Sprachen hat das Team systematisch nach über 2.400 Konzepten durchsucht, darunter 24 Gefühlsbegriffe wie Liebe, Angst und Trauer, und zwar nach Mehrfachbedeutungen („Kolexifizierung“) von Wörtern. Ein Beispiel dafür ist das Wort „Leiter“, das sowohl eine Leiter zum Klettern als auch den Leiter einer Gruppe bezeichnen kann. Oder das Wort „Erde“, das sowohl den Boden als auch den Planeten meint.

Solche Mehrdeutigkeiten gibt es in vielen Sprachen auch bei Gefühlsbezeichnungen, so kennt man etwa im Persischen nur ein Wort für Trauer und Bedauern. In Dargwa gibt es hingegen ein- und dieselbe Bezeichnung für Trauer und Angst. Aus dem gesamten in der Datenbank CLICS gesammelten Material haben die Forscher Begriffslandkarten erstellt, die sichtbar machen, welche Begriff sich nahestehen. Bei den Gefühlsausdrücken zeigten sich von Sprache zu Sprache sowie zwischen Sprachfamilien große Unterschiede. So ist z. B. der Begriff „Überraschung“ in den austronesischen Sprachen eng verbunden mit „Angst“, in vielen anderen Sprachen ist er viel positiver besetzt und näher an „Hoffnung“ und „Wünschen“. In den Indoeuropäischen Sprachen sind z. B. „Angst“ und Wut“ recht nahe beieinander, bei den austroasiatischen hängt „Angst“ hingegen mehr mit „Trauer“ und „Bedauern“ zusammen.

Keine rein zufällige Variation

Ein Teil der Variation lässt sich laut den Studienautoren mit dem geografischen Ursprung der Sprachen erklären. Kulturen, die historisch durch Handel oder Migration verbunden waren, teilen demnach eher einen ähnlichen Gefühlskosmos, zumindest in ihrer Sprache.

Auch abgesehen davon seien die begrifflichen Variationen nicht völlig zufällig, und in gewisser Weise doch universell bzw. von der menschlichen Natur geprägt. Denn überall gruppieren sich die begrifflichen Gefühlswelten danach, wie intensiv ein Gefühl auch körperlich erlebbar ist. Außerdem gibt es kaum begriffliche Überschneidungen von angenehmen oder unangenehmen Gefühlen. Wobei es zu dieser Regel auch ein paar bemerkenswerte Ausnahmen gibt: Beispielsweise gibt es austronesische Sprachen, die für „Liebe“ und „Bedauern“ ein- und dasselbe Wort verwenden.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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