Die Wissenschaft im Jahr 2020

Vorschau auf das kommende Wissenschaftsjahr: Österreich wird sein selbst gesetztes Ziel, die Forschungsquote bis 2020 auf 3,76 Prozent zu erhöhen, nicht erreichen. Dafür kann die neue Regierung andere Baustellen im Wissenschaftsbereich angehen.

Das 3,76-Prozent-Ziel hat die Regierung in ihre 2011 verabschiedete Forschungsstrategie geschrieben. Schon länger ist klar, dass das nicht erreichbar sein wird, 2019 lagen die Forschungsausgaben bei 3,19 Prozent des BIP. Das ist dennoch so hoch wie nie zuvor und gemessen an der Wirtschaftsleistung am zweithöchsten in Europa hinter Schweden.

Kritischer gesehen wird die Tatsache, dass Österreich nicht wie geplant bis 2020 in die Gruppe der führenden Innovationsländer vorstoßen wird. All dies wird die neue Regierung wohl in ihrem Arbeitsprogramm ansprechen, spätestens jedoch in der anstehenden neuen Forschungsstrategie.

Wie wird Ministerium aussehen?

Mit der Regierungsbildung bringt das neue Jahr auch einen neuen Wissenschaftsminister. Fraglich ist, ob dieses Portefeuille wieder gemeinsam mit der Bildung ein Ressort bildet oder - genau 50 Jahre nach Gründung des Wissenschaftsministeriums (1970) - wieder ein eigenes Ressort wird. Von der Wissenschaft werden von der neuen Regierung zudem sehnlichst Aussagen zu bereits früher geplanten Vorhaben wie dem Forschungsfinanzierungsgesetz oder einer Exzellenzinitiative erwartet.

Von Türkis-Blau war auch eine Reform der Beratungsgremien im Wissenschafts- und Forschungsbereich geplant, ob das für die neue Regierung noch ein Thema ist, wird sich weisen. Die Funktionsperiode des Rats für Forschung und Technologieentwicklung unter der Leitung von Hannes Androsch endet jedenfalls Ende August.

EU nach dem Brexit

Nicht nur national wartet man gespannt auf ein neues (Wissenschafts-)Budget. Auch auf EU-Ebene wird noch um den Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 gerungen - und damit um die Frage, wie prall der Topf für das nächste EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon Europe“ gefüllt sein wird. Nach Plänen der EU-Kommission sollen es 100 Mrd. Euro werden - allerdings werden Kürzungen befürchtet.

Auch wenn mit dem Wahlsieg Boris Johnsons der Austritt Großbritanniens aus der EU mit 31. Jänner wahrscheinlicher geworden ist - die Auswirkungen des Brexit im Wissenschaftsbereich sind weiterhin unklar. Der britische Premierminister versprach nach seinem Wahlsieg jedenfalls „kolossale Neuinvestitionen in die Wissenschaft“.

Eine Bergwiese im Schweizer Nationalpark – auch die Alpenflora ist vom Klimawandel betroffen.

Sabine Rumpf

Jahr des Schalls und der Pflanzengesundheit

Viel Schall also derzeit in Großbritannien - passend zum „Jahr des Schalls“, das mehrere Akustik-Organisationen wie die Acoustical Society of America und die European Acoustics Association für 2020 ausgerufen haben. Sie wollen damit auch die 2017 beschlossene UNESCO-Resolution „The Importance of Sound in Today’s World: Promoting Best Practices“ umsetzen. Das Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beteiligt sich an dem globalen Aktionsjahr mit dem „Tag gegen Lärm“ am 29. April in Wien.

Die Vereinten Nationen haben 2020 zum Internationalen Jahr der Pflanzengesundheit erklärt. Sie wollen damit das Bewusstsein dafür schärfen, dass Pflanzengesundheit keine Selbstverständlichkeit ist, wie Schätzungen belegen, wonach jährlich bis zu 40 Prozent der Nahrungspflanzen durch Schädlinge und Krankheiten verloren gehen. Durch Bewusstseinsbildung soll die Einschleppung invasiver Arten reduziert und damit u.a. Hunger und Armut verringert und die Umwelt bewahrt werden.

2020 geht die von den Vereinten Nationen ausgerufene „Dekade der Biologischen Vielfalt 2011-2020“ zu Ende, deren Ziel der weltweite Erhalt der biologischen Vielfalt war. Sehr erfolgreich war die Initiative offensichtlich nicht: Im Mai 2019 warnte der Weltrat für Biodiversität (IPBES), dass rund eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. Vor wenigen Tagen forderte der Österreichische Biodiversitätsrat den Nationalrat angesichts der „drastischen Abnahme der Vielfalt der Arten und Lebensräume in Österreich“ auf, den „Biodiversität-Notstand“ auszurufen.

Suche nach Dunkler Materie

Am italienischen Laboratori Nazionali del Gran Sasso im gleichnamigen Gebirgsmassiv beginnt im Sommer 2020 der Aufbau des internationalen Experiments COSINUS, an dem das Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beteiligt ist. Ziel ist es, die Ergebnisse des bisher einzigen Experiments (DAMA/LIBRA) zu überprüfen, das Signale auf Dunkle Materie geliefert hat. Die rätselhafte Dunkle Materie kommt im Universum ungefähr fünfmal so häufig vor wie sichtbare Materie, entzog sich bisher aber allen Nachweismethoden. Der Aufbau von COSINUS wird mindestens ein Jahr dauern, Ende 2021 können die Messungen beginnen.

Sterne und Materiefilamente im Weltraum

NASA

Bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) bei Genf gehen die zweijährigen Wartungs- und Aufrüstungsarbeiten an der größten Maschine der Welt dem Ende zu: Im 27 Kilometer langen Teilchenbeschleuniger LHC sollen ab Mai 2021 Protonen mit noch höherer Energie als bisher zusammenstoßen. Das Hochfahren der Maschine und Kühlen der Magnete auf minus 270 Grad dauert mehrere Monate. Vom Upgrade erwarten sich die Physiker neue Erkenntnisse über das Higgs-Teilchen und vielleicht auch Hinweise auf eine neue Physik.

Im kommenden Jahr könnte auch eine wichtige Entscheidung für die Nachfolge des LHC fallen. Bis Mai wollen Wissenschaftler aus ganz Europa Empfehlungen abgeben, wie es mit der Teilchenphysik in Europa weitergehen soll. Derzeit gibt es zwei Design-Studien für Nachfolge-Projekte: ein Linearbeschleuniger und ein 100 Kilometer langer ringförmiger Beschleuniger.

Kernfusionsreaktor macht Fortschritte

Schön langsam wird es auch beim internationalen Kernfusionsreaktors ITER in Südfrankreich ernst: 2020 wird mit dem Zusammenbau des Reaktors begonnen, der Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoff-Atomen erzeugen und damit die Funktionsweise der Sonne imitieren soll. Konkret ist ab März die Installation der 1.250 Tonnen schweren Kryostatbasis geplant. In dieser wird sich das flüssige Helium befinden, mit dem die riesigen Magneten gekühlt werden, die ein 150 Millionen Grad Celsius heißes Wasserstoffplasma in Schwebe halten sollen. Das erste Plasma in ITER ist für Ende 2025 geplant.

Ein weiterer Schritt, der ITER zum Erfolg verhelfen soll, ist am europäischen Experimentalreaktor JET („Joint European Torus“) im englischen Culham geplant. Dort sollen erstmals Experimente mit Deuterium und Tritium geplant werden, jene beiden Wasserstoff-Isotope, die auch bei ITER zur Fusion gebracht werden sollen.

Riesenteleskop in China

Auch für ein weiteres wissenschaftliches Großgerät wird 2020 ein wichtiges Jahr: Das „Five-hundred-meter Aperture Spherical radio Telescope“ beendete kürzlich seine dreijährige Testphase und lauscht mit seinem 500-Meter-Teleskop nun im Vollbetrieb Signalen aus den Tiefen des Alls. Die Anlage befindet sich in der Provinz Guizhou im Südwesten Chinas und ist weltweit die größte ihrer Art.

"Fast"-Teleskop in China

Wu dongjun - Imaginechina/AP

Vom Projektvolumen her kleinere Brötchen werden im „Zentrum am Berg“ gebacken - die stillgelegten Stollen am Erzberg in der Obersteiermark bergen dennoch ein europaweit einzigartiges Tunnelforschungszentrum, das Ende Mai 2020 offiziell eröffnet wird. Dort sollen etwa Raucherkennungs- und Löschsysteme sowie Baustoffe erprobt, neue Lüftungskonzepte getestet oder auch die Ausbreitung von Gasen unter realen Bedingungen untersucht werden. Geplant sind in Zukunft auch Projekte zur unterirdischen Speicherung von Energie aus Solar- und Windkraftanlagen.

Ein Ende als eigenständige Einheiten dürfte 2020 für die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und die Geologische Bundesanstalt (GBA) bedeuten. Die beiden nachgeordneten Dienststellen des Wissenschaftsministeriums sollen in einer vollrechtsfähigen „Bundesagentur für Meteorologie und Geologie“ (Arbeitstitel) zusammengeführt werden - die entsprechende Gesetzesänderung steht allerdings noch aus.

Auf den Spuren von ältestem Eis

Seit Oktober driftet das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ mit dem arktischen Meereis. Ziel der rund ein Jahr lang dauernden Expedition ist die Erkundung des Klimasystems in der Zentralarktis. Rund 300 Wissenschaftler aus 16 Ländern werden in Schichten bis zur Schmelzperiode im Sommer 2020 an Bord sein.

Auf der Suche nach dem ältesten Eis der Erde hat ein europäisches Forscherteam im April bei der Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU) in Wien seine Pläne für eine 2,7 Kilometer tiefe Bohrung präsentiert. Damit soll die Geschichte des Erdklimas bis vor 1,5 Millionen Jahren enthüllt werden. 2020 soll das Camp für die ab 2021 geplante Bohrung etwa 40 Kilometer von der französisch-italienischen Antarktis-Forschungsstation „Dome Concordia“ entfernt aufgeschlagen werden.

Für die Österreicher gibt es 2020 wieder zahlreiche Möglichkeiten, mit Wissenschaftlern direkt in Kontakt zu treten und mehr über ihre Arbeit zu erfahren: Am 8. Mai gibt es in ganz Österreich wieder eine „Lange Nacht der Forschung“. Vom 20. bis 22. März lädt das Wiener Forschungsfest ins Rathaus ein und am 25. September ist EU-weit „European Researchers Night“, bei der es traditionell auch Veranstaltungen in Österreich gibt.

science.ORF.at/APA