Forscher bauen lebendige Roboter

Wissenschaftler aus den USA beschreiten einen völlig neuen Weg in der Robotik: Ihre Roboter, bestehend aus Froschzellen, können selbständig durch die Petrischale kriechen - in Zukunft vielleicht auch durch die Blutbahn von Menschen.

Es ist schon ein bisschen frankensteinesk, was Josh Bongard und seine Mitarbeiter da in ihrem Labor kreiert haben. Oder, je nach Perspektive, ein spektakuläres Stück Grundlagenforschung. Der Computerwissenschaftler und Robotiker von der University of Vermont hat die bisher übliche Strategie seines Faches quasi auf den Kopf gestellt: Während man sich in der Roboterforschung bisher von der Natur inspirieren ließ und Eigenschaften von Lebewesen mit Kunststoffen und Mikrochips nachgebaut hat, bedient sich Bongard bei den Baustoffen in der Natur und absolviert die Evolution in einem Supercomputer.

Wie man programmierbare Organismen baut

(c) Sam Kriegman, Josh Bongard, UVM

Die Wesen, die auf diese Weise entstehen, sagt Bongard gegenüber science.ORF.at, „sind weder traditionelle Roboter noch eine bekannte Tierart. Es handelt sich vielmehr um neuartige Artefakte: um lebendige, programmierbare Organismen.“

Die Maschine lebt

Wie die Wissenschaftler im Fachblatt „PNAS“ berichten, besteht ihr Organismus aus zwei Sorten von Zellen, nämlich aus Haut- und Herzmuskelzellen des Krallenfrosches Xenopus laevis. Der Krallenforsch ist schon seit Langem ein beliebter Modellorganismus, vor allem in der Entwicklungsbiologie, nur läuft die Entwicklung der rund einen Millimeter großen Roboter in diesem Fall nach völlig neuartigen Gesetzen ab.

Der Bauplan bzw. die Anatomie dieser „Xenobots“ (abgeleitet von Xenopus) stammt aus dem Supercomputer und ist Ergebnis von Simulationen nach dem Evolutionsprinzip. Der Körper wiederum ist feinmechanische Handarbeit. Aus einem Froschembryo gewonnene Stammzellen werden nach ihrer Differenzierung zunächst zu einer Kugel vereinigt, dann per Mikroskalpell zurechtgeschnitzt und schließlich durch chemische Behandlung an der Teilung gehindert.

Lebendiger Miniroboter aus Froschzellen

Douglas Blackiston

„Xenobot“ der University of Vermont

Der folgende Praxistest verlief erfolgreich: Die „Xenobots“ können sich mit Hilfe von Kontraktionen der Muskelzellen selbständig in der Petrischale fortbewegen, mit bestimmten Bauplänen ist es sogar möglich, kleine Objekte von A nach B zu transportieren. Das ließe viele Anwendungen zu, von Mikrorobotern, die in der Blutbahn Medikamente punktgenau abliefern, bis hin zu Schwärmen, die Mikroplastik im Meer aufspüren und für den Abtransport bereitmachen.

Bemerkenswert daran ist, dass die lebendigen Roboter – sie können tage- bis wochenlang ohne Nahrung überleben – ausschließlich aus Froschzellen inklusive Frosch-DNA bestehen, „aber dennoch sind die Xenobots keine Frösche“, sagt Co-Autor Michael Levin. „Das wirft die Frage auf: Was kann man mit diesen Zellen noch alles bauen?“ Die möglichen Antworten auf diese Frage müssen erst im Labor gefunden werden, die Studie eröffnet jedenfalls ungeahnte Perspektiven an der Schnittstelle von Robotik und Biotechnologie.

“Kein Bauplan in der DNA“

Dass die DNA keine Blaupause ist, sondern eher so etwas wie ein Kochrezept für die Entwicklung von Lebewesen, wusste man schon bisher. Bongard und sein Team weisen nun in der Praxis nach, welche gestalterischen Möglichkeiten stromabwärts der Genetik liegen. „Guided self-assembly“ heißt das im Fachjargon: Hat man eine passende Anatomie gefunden und die Zellen an den richtigen Ort gesetzt, ist die Arbeit getan.

Den Rest erledigen die Zellen von alleine, sie vereinigen sich zu einem funktionierenden Ganzen – so wie in „echten“ Lebewesen. „Der Bauplan von Lebewesen ist nicht in der DNA festgeschrieben“, betont Bongard im ORF-Interview. „In der DNA stehen nur Regeln, wie sich Zellen in ihrer Umgebung verhalten. Diesen Umstand machen wir uns zunutze.“

Gewinnung von Stammzellen aus einem Froschembryo

(c) Douglas Blackiston, Tufts University

Nebst Anwendungen in der Medizin oder Umweltforschung wären freilich auch Missbräuche der Technologie vorstellbar. Wäre es möglich, auf diese Weise Biowaffen herzustellen? „Im Prinzip ja“, sagt Bongard. „So etwas können wir nur durch strenge Vorschriften verhindern. Ich gehe davon aus, dass es zu solchen Regelungen kommen wird“. Langfristig könnten selbst Tierschutzgesetze relevant werden. Momentan sind die „Xenobots“ bloß Anhäufungen von Muskel- und Hautgewebe. Wenn es den Forschern und Forscherinnen gelingen sollte, auch Nervenzellen hinzuzufügen und die Anatomie immer ausgefeilter zu gestalten, dann stellt sich wohl irgendwann die Frage: Ist das noch Gewebe oder schon ein Wesen?

Robert Czepel, science.ORF.at

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