Ein „Jahrhundert-Leben“

Für die „Frankfurter Küche“ wurde Margarete Schütte-Lihotzky weltberühmt. Den Entwurf hat die überzeugte Kommunistin manchmal öffentlich bereut. Vor 20 Jahren ist Österreichs erste erfolgreiche Architektin im Alter von 103 Jahren gestorben.

Zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 1997 tanzte Margarete Schütte-Lihotzky noch einen Walzer mit dem damaligen Bürgermeister Michael Häupl. Da war sie schon in den Rang der berühmtesten österreichischen Architekten aufgestiegen, wurde für ihre Arbeiten im Roten Wien, aber auch als Widerstandskämpferin im Nationalsozialismus interviewt und geehrt. Und sie gab gerne Auskunft, erzählt die Architekturhistorikerin Bernadette Reinhold, die gemeinsam mit dem Zeithistoriker Marcel Bois einen biografischen Sammelband über Margarete Schütte - Lihotzky herausgegeben hat.

In der Nachkriegszeit geschmäht

In der Nachkriegszeit sah das nämlich sehr anders aus: Die überzeugte Kommunistin bekam keine Aufträge mehr von der Stadt Wien und orientierte sich um so mehr nach Osten, in die Sowjetunion, nach China und Kuba. Dabei hätte sie als Heldin gefeiert werden sollen. 1940 kehrte sie von ihrem damaligen Wohnsitz in der Türkei nach Wien zurück, um gegen Hitler zu kämpfen, wurde verhaftet und entging nur knapp einer Todesstrafe. „Sie war immer erbost, wenn man sie gefragt hat, wie sie aus dem sicheren Ausland nach Wien gehen konnte und ihr Leben riskieren. Sie hat gemeint, sie versteht die Frage gar nicht, es war ihre Aufgabe, für ein freies Österreich zu kämpfen“, so Bernadette Reinhold.

Margarete Schütte-Lihotzky bei der Feier ihres 100. Geburtstag neben dem damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky

APA/PFARRHOFER H./JAE

Margarete Schütte-Lihotzky bei der Feier ihres 100. Geburtstag neben dem damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky

„Architektur. Politik. Geschlecht“, ist der Untertitel des vor kurzem erschienenen Sammelbandes. Mehr als ein Dutzend Wissenschaftlerinnen aus den unterschiedlichsten Disziplinen beschäftigen sich darin mit dem Erbe Schütte - Lihotzkys. Da geht es um Politikwissenschaften, um Architektur – und Zeitgeschichte, aber auch um Geschlechterforschung und Pädagogik. Erschienen ist die Biografie an der Universität für Angewandte Kunst, wo auch der Nachlass von Margarete Schütte-Lihotzky liegt. Ab 1914 studierte sie hier – an der damaligen Kunstgewerbeschule, Architektur.

Soziale Architektur

1897 in eine gutbürgerliche Familie in Wien geboren, interessierte sich Margarete Schütte - Lihotzky schon früh für soziale Fragen. In Wien baute sie in der Zwischenkriegszeit für die Siedlerbewegung, konzipierte Gemeindebauten. Ihr Schwerpunkt lag schon damals auf dem sozialen Bauen. Funktionale Architektur für das Wohnen der einfachen Leute auf kleinem Raum, darum ging es ihr von Anfang an.

Die berühmte "Frankfurter Küche" bei einer Ausstellung in Washington

AP Photo/Jacquelyn Martin

Die berühmte „Frankfurter Küche“ bei einer Ausstellung in Washington

Dieser Gedanke war auch Kernidee der Frankfurter Küche, jener Einbauküche, die sie 1926 in Frankfurt konzipierte und die in tausende Wohnungen eingebaut wurde. Schütte-Lihotzky ärgerte sich immer wieder darüber, dass diese Küche als ein „von einer Frau für die Frauen“ entworfenes Produkt gewesen sein sollte, wie es ihr damaliger Chef Ernst May, Leiter des Frankfurter Hochbauamtes, in der Öffentlichkeit präsentierte. Sie selbst habe nämlich nie in der Küche gestanden und gekocht, sagte Schütte – Lihotzky später in Interviews. Für die Einbauküche hatte sie viele Recherchen und genaueste Berechnungen vorgenommen, um die kürzesten Wege, die größte Zeitersparnis und die beste Materialtauglichkeit zu erreichen. Nur eines spielte keine Rolle: ihre eigene Erfahrung als Hausfrau.

Kindergartenexpertin und Kommunistin

Relativ unbekannt ist auch, dass sie in den 1930 er Jahren in der Sowjetunion und der Türkei Kindergärten und Dorfschulen errichtete. „Die Sowjetunion sollte ja zum Industriestaat ausgebaut werden, da hatte sie wirklich die Möglichkeit, von Null an Kinderkrippen und Kindergärten zu kreieren“, weiß Bernadette Reinhold. Im türkischen Staat unter Kemal Atatürk baute sie Dorfschulen, die nach dem „do-it yourself“-Prinzip errichtet werden konnten.

Schütte - Lihotzky blieb ihr Leben lang überzeugte Kommunistin und war auch geneigt, kritische Fragen in dieser Hinsicht eher auszublenden. Auch das ist Thema im biografischen Sammelband.

Margarete Schütte-Lihotzkys gesellschaftliches Engagement endete erst kurz vor ihrem Tod, mit fast 103 Jahren. Sie war Friedensaktivistin während des Kalten Kriegs, sie engagierte sich in der Frauenbewegung und war ab den 1970er Jahren eine gefragte Zeitzeugin und Interviewpartnerin. Nur, wenn es um die Frankfurter Küche ging, kam eine gewisse Müdigkeit auf. „Wenn ich gewusst hätte, dass alle immer nur davon reden, hätte ich diese verdammte Küche nie gebaut!“, soll sie einmal in einem Interview gesagt haben.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft