Friedhof offenbart unbekannte Geschichte

Ausgrabungen eines Friedhofs im Elisabethinen-Kloster in Wien offenbaren einen unbekannteren Teil des 18. Jahrhunderts: Sie geben Einblick in das Leben von Frauen aus der Unterschicht. Ernährung, Arbeit und Erkrankungen haben sich in die Skelette eingeschrieben.

Wird in Wien gebaut, wird meist auch gegraben: Bevor die Bagger anrücken, kommen Archäologinnen und Archäologen zum Zug, um etwaige Überreste früherer Generationen sicherzustellen. So war das vor Kurzem auch im Innenhof des Elisabethinen-Klosters im 3. Bezirk in Wien. 1715 hatte der Elisabethinen-Orden dort das erste Frauenspital Wien eingerichtet, samt Friedhof im Innenhof. Mehr als 300 Bestattungen von Patientinnen des Elisabethinen-Spitals konnten die Archäologinnen und Archäologen der Firma Novetus dort freilegen.

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Den Ausgrabungen im Elisabethinen-Kloster widmet sich auch das Mittagsjournal am 6.2.

Sterbebücher erleichtern Spurensuche

Bis zu sechs Skelette pro Grabstelle wurden bei den Ausgrabungen gefunden. Es handelte sich um einfache Frauen, wie Verkäuferinnen, Hausmädchen oder Handwerkerinnen, berichtet die am Projekt beteiligte Anthropologin Michaela Binder. Spannend seien die Funde, weil sie Einblick in eine gesellschaftliche Schicht zuließen, die in den schriftlichen Quellen kaum vorkommen, so Binder.

Grabungen im Elisabethinen-Kloster: 3D-Rekonstruktion einer Grabstätte mit sechs aufeinanderfolgenden Bestattungen

Crazy Eye/ Novetus

3D-Rekonstruktion einer Grabstätte mit sechs aufeinanderfolgenden Bestattungen

Wer die Frauen waren, können die Anthropologin und ihr Team anhand der Sterbebücher rekonstruieren, die im Archiv des Elisabethinen-Ordens erhalten sind. Dort sind Todesursache, Beruf, Geburts- und Sterbedaten sowie der Geburtsort verzeichnet. Die Aufzeichnungen zeigen, dass die wenigsten Patientinnen aus Wien stammten. „Arbeitsmigration war gerade im 18. Jahrhundert weit verbreitet in der gesamten Habsburger Monarchie“, so Binder. Die Frauen, die im Spital verstarben, kamen aus allen Teilen des Reiches nach Wien, um hier nach Arbeit zu suchen.

Eingeschrieben in die Knochen

Hier fanden die Frauen katastrophale hygienische Bedingungen vor. Im barocken Wien gab es keine Kanalisation, keine Desinfektionsmittel oder Antibiotika, um Wunden zu behandeln. Auch im Elisabethinen-Spital starben die meisten Patientinnen an Infektionen, viele wurden keine 25 Jahre alt. Anhand der Skelette können Binder und ihr Team nun herausfinden, welche Erkrankungen die Frauen zu Lebzeiten plagten.

Patientin mit einer stark gekrümmten Wirbelsäule, die wahrscheinlich auf eine Rachitis im Kindesalter zurückzuführen ist

Novetus

Patientin mit einer stark gekrümmten Wirbelsäule, die wahrscheinlich auf eine Rachitis im Kindesalter zurückzuführen ist

Die haben sich gewissermaßen in die Knochen eingeschrieben, wie chronische Lungenentzündungen, Tuberkulose oder Krebs. „Wir sehen am Skelett starke Anzeichen für eine hohe körperliche Belastung, die natürlich mit dem Arbeitsumfeld der Frauen zusammenhängt“, so Binder. Die Anthropologin fand auch zahlreiche Hinweise auf Rachitis im Kindesalter, also einen chronischen Vitamin-D-Mangel.

Seltene Erkrankungen konserviert

Auch eine seltene Bandwurmzyste konnte im Labor an einem Skelett identifiziert werden. Auch das ist ein Hinweis auf mehr als mangelhafte Hygiene im barocken Wien. Die Wurmerkrankung hatte bei der Patientin zu einer eigroßen Zyste im Bauchraum geführt, die schließlich am Brustkorb verknöcherte.

Eine genaue wissenschaftliche Auswertung der Ausgrabung bei den Elisabethinen soll das Folgeprojekt bringen: Gemeinsam mit dem Wien Museum und dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung wollen die Archäologen der Firma Novetus alle Skelette beleuchten und die Funde historisch auswerten.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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