Das Regierungsprogramm und die Wissenschaft

Elf von 326 Seiten des aktuellen Regierungsprogramms sind den Themen Wissenschaft und Forschung gewidmet. Demnach soll Österreich Zentren für Klimaforschung und Mikrodaten bekommen. Auch eine Lücke fällt auf.

„Wissenschaft und Forschung sind die Basis für gesellschaftlichen Fortschritt und Innovation.“ Der erste Satz des Kapitels „Wissenschaft und Forschung“ im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen ist nicht unbedingt überraschend. Auch auf den folgenden elf Seiten finden sich einige Punkte, die bereits die Vorgängerregierung aus ÖVP und FPÖ vorangetrieben hat: Eine Exzellenzinitiative sollte schon in Vor-Ibiza-Zeiten herausragende Forschung fördern, wurde aber nicht mehr umgesetzt – ebenso wie ein Forschungsförderungsgesetz dem Vernehmen nach seit Juni 2019 fertig ausgearbeitet in den Schubladen des Ministeriums liegt.

Ö1-Sendungshinweis:

Über das Regierungsprogramm zu Wissenschaft und Forschung berichteten auch die Journale und „Wissen Aktuell“.

Mehr Geld für Grundlagen- und angewandte Forschung haben sich Schwarz/Grün ebenso vorgenommen wie eine Strategie für Forschung und Innovation, um langfristig Schwerpunkte zu definieren. An den Universitäten plant man, Strukturen und Dienstverträge weiter zu modernisieren bzw. Kettenverträge zu sanieren. Weiter ausbauen möchte man den internationalen Austausch von Studierenden und die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wirtschaft - so weit, so erwartbar. Doch es gibt auch einzelne Vorhaben, die überraschen:

Austrian Center for Micro Data

Schon in der jüngsten Legislaturperiode hat die Plattform Registerforschung immer wieder Zugang zu Rohdaten gefordert, die von Statistik Austria und diversen Ministerien und Behörden gesammelt werden. Harald Oberhofer, Forscher an der Wirtschaftsuniversität Wien und dem Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO: „Wenn wir mit besseren Daten arbeiten, entstehen bessere Studien. Auf dieser Basis kann Politik evidenzbasiert handeln.“

Eine E-Card, im Hintergrund das "elga"-Logo

APA/Helmut Fohringer

Bessere Daten für Studien soll das neue Zentrum für Mikrodaten bringen. Ob auch Gesundheitsdaten für die Forschung freigegeben werden, muss Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) entscheiden.

Es geht zum Beispiel um Unternehmensdaten, die die Statistik Austria sammelt, um die Steuerstatistik, die das Finanzministerium führt, um Informationen über Innovationstätigkeiten von Unternehmen, um Arbeitsmarktzahlen und um Bildungsdaten. Nur wenn die Wissenschaft auf diese Informationen in einer möglichst rohen, nicht aggregierten Form zugreifen kann, wird es möglich, langfristige Entwicklungen zu untersuchen. Mit einem eigenen Zentrum für Mikrodaten würde Österreich zum europäischen Standard aufschließen: Als Vorbild gilt Dänemark, wo jedes Jahr rund 100 Studien mit Registerdaten erschienen – zuletzt etwa eine Untersuchung, ob Luftverschmutzung depressiv macht. Derzeit wird über die Finanzierung des Zentrums verhandelt, eingerichtet wird es höchstwahrscheinlich bei der Statistik Austria.

Zentrum für Klimaforschung und Daseinsvorsorge

Aufhorchen lässt auch der Plan der Regierung, die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) sowie die Geologische Bundesanstalt zusammenzulegen und unter dem Titel „Nationales Zentrum für Klimaforschung und Daseinsvorsorge“ eine Anstalt öffentlichen Rechts zu gründen. ZAMG-Direktor Michael Staudinger sieht die Aufgabe der neuen Einrichtung darin, den Klimawandel zu dokumentieren – durch Aufzeichnung von Temperatur und Niederschlag, von Wetterströmungen und Extremwetterereignissen. Außerdem verfüge man über die Schnittstelle zu den staatlichen Krisen- und Katastropheneinrichtungen und könnte entsprechend beraten, wenn ein Extremereignis bevorsteht.

Abweichung der Temperatur 2018 vom vieljährigen Mittel 1981-2010

ZAMG

Eine Karte der ZAMG: Die Temperatur 2018 ist vom vieljährigen Mittel 1981-2010 teilweise stark abgewichen

Was das für das von der Wissenschaft getragene Center for Climate Change Austria (CCCA) bedeutet, das sich im letzten Jahr deutlich in der Klimadebatte zu Wort gemeldet hat, ist derzeit unklar. Der ZAMG-Direktor spricht ebenso wie das Wissenschaftsministerium auf Anfrage von enger Zusammenarbeit, die aber erst definiert werden müsse. Vieles sei noch unklar, heißt es auch aus der Wissenschaft, man sehe das neue Zentrum aber nicht als Konkurrenz, eher als Ergänzung. Der Klimaökonom und langjährige CCCA-Obmann Karl Steininger sagt: „Die guten und etablierten Forschungseinheiten in Österreich sollen weiterhin so gut zusammenarbeiten können wie bisher.“ Klar ist: Allein vom Personal her wird das Zentrum für Klimaforschung und Daseinsvorsorge ein mächtiger Player in der Klimadebatte. ZAMG und Geologische Bundesanstalt haben gemeinsam immerhin rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die verschwundene Transparenzdatenbank

Ein weiterer Punkt im Regierungsprogramm fällt auf, weil er nicht mehr vorhanden ist: Die Transparenzdatenbank für Forschungsförderung ist aus der Liste der Vorhaben verschwunden, und das, obwohl sie vom Rechnungshof 2005, 2011 und 2016 gefordert und vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung empfohlen und vorbereitet wurde. Mit dieser Datenbank sollte mehr Licht ins Dickicht heimischer Forschungsförderung kommen, wo mitunter drei Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – bei Projekten mitzahlen. Durch mehr Transparenz könnte man auch überprüfen, ob das Geld derzeit sinnvoll verteilt ist oder es eine bessere Abstimmung braucht.

ÖVP und Grüne haben im Kapitel „Wissenschaft und Forschung“ einiges vom Programm der ÖVP-FPÖ-Vorgänger übernommen, aber die Transparenzdatenbank zur Forschungsförderung fehlt. Zum Grund dafür gibt es seitens des Wissenschaftsministeriums keine Stellungnahme. Unbestätigten Gerüchten zufolge war die Industriellenvereinigung (IV) strikt gegen die Datenbank. Ihre Befürchtung: Unternehmen könnte es schaden, wenn ihre Forschungsprojekte öffentlich aufscheinen.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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