Freier Wille: Die Atmung entscheidet mit

Luft holen, ausatmen – und dann entscheiden: Schweizer Forscher haben herausgefunden, dass der freie Wille einem körperlichen Rhythmus folgt. Eine Schlüsselrolle spielt offenbar die Atmung.

Haben wir überhaupt einen freien Willen? Kommt darauf an, was man unter „frei“ versteht: Im Jahr 1965 machten die Neurologen Hans Helmut Kornhuber und Lüder Deeke eine Entdeckung, die der Freiheit ihre Grenzen aufzeigte. Wenn Menschen eine Entscheidung treffen – zum Beispiel: Ich esse jetzt dieses Stück Schokolade -, dann entsteht kurz vor diesem Entschluss ein Signal im Gehirn. Und dieses Signal, Bereitschaftspotenzial genannt, ist dem Bewusstsein nicht zugänglich. Das Gehirn bereitet also im Stillen vor, was das Ich dann offiziell machen darf: Ja, bitte Schokolade!

Das war einerseits nicht überraschend, denn auch Hirnströme halten sich an die Physik und schweben somit nicht über dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Andererseits: Die Entscheidung für die Schokolade fühlt sich jedenfalls so an, als wäre sie frei. Schließlich wurde hier niemand gezwungen, Schokolade zu essen. Und die unbewussten Hirnströme gehören ja auch irgendwie zum Ich. Oder etwa nicht?

Bitte drücken Sie diesen Knopf

Laut einem Experiment an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne sind derartige Grenzziehungen gar nicht so einfach. „Wir haben nachgewiesen, dass Willensentscheidungen in Verbindung mit dem inneren Zustand des Körpers stehen, vor allem mit der Atmung“, sagt Studienleiter Olaf Blanke.

Forscher Olaf Blanke und Hyeongdong Park mit einer EEG-Haube

EPFL

Olaf Blanke (rechts) und Studien-Coautor Hyeongdong Park

Der Neurowissenschaftler hat sich in seiner letzten Studie auf die Suche nach den Hintergründen des Bereitschaftspotenzials (also quasi die Ur-Ursache des freien Willens) gemacht – und zwar so: Blanke lud 52 Probanden in sein Labor ein und bat sie dort, eine EEG-Haube sowie ein Puls- und Atemessgerät anzulegen. Dann folgte die einfache Aufforderung: Bitte drücken sie zu einem beliebigen Zeitpunkt auf diesen Knopf.

Das Resultat: Wenn die Probanden den Entschluss fassten, den Knopf zu drücken, dann taten sie das meistens während des Ausatmens – dies freilich völlig unbewusst. Das Bereitschaftspotenzial folgt also einem Rhythmus, der von automatischen Abläufen der inneren Organe gesteuert wird. Und der Geist wandert mit diesen Ergebnissen ein Stück weit(er) in den Körper ein, im Gehirn allein sitzt er jedenfalls nicht. Ob das nun für oder gegen die Freiheit des Willens spricht, lassen die Forscher in ihrer Studie offen - und delegieren diese Frage an die Philosophen. Für den Privatgebrauch könnte die Studie zumindest Anlass sein, der eigenen Atmung etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Etwa dann, wenn Schokolade in Reichweite liegt.

Robert Czepel, science.ORF.at

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