Menschenrechte: Schlechte Bilanz aus Rio

Mitte September haben die letzten Olympioniken ihre Zelte in Rio de Janeiro abgebrochen. Sozialwissenschaftler ziehen Bilanz: Die Bevölkerung hat großteils nicht profitiert. In Zukunft brauche es vertraglich abgesicherte Menschenrechtsstandards.

Einer Mutter wurden mehrere Millionen Real geboten, damit sie mit ihrer Familie das gemeinsame Haus in Rio de Janeiro verlässt. In ihrer Nachbarschaft sollte das Olympische Dorf gebaut werden. Sie verweigerte das Geld und wurde schließlich gewaltsam umgesiedelt. Bis heute gibt es keine Entschädigung für sie oder ihre Nachbarn.

Aufarbeitung hat noch nicht begonnen

Das sei ein typisches Beispiel für die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, die bereits im Vorfeld der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro begonnen haben und bis heute nicht aufgearbeitet wurden, sagt der Sozialwissenschaftler Martin Kainz vom Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit, VIDC. Zahlreiche Versprechen, wie jenes, den neu entstandenen Wohnraum günstig an die Bevölkerung weiterzugeben, wurden bis dato nicht erfüllt.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 11.11. um 12:00.

Und insgesamt kommen die Beobachter zu dem Schluss, dass in Rio ein bereits bekanntes Phänomen abermals aufgetreten ist: Gibt es in einem Land menschenrechtliche Probleme, werden die durch Olympische Spiele oder andere sportliche Großereignisse nicht aufgearbeitet oder gar gelöst. „Das Gegenteil ist der Fall“, so Kainz. „Solche Herausforderungen und Probleme werden dadurch nur verstärkt.“

Spiele auf Kosten der Bevölkerung

Denn neben den Zwangsumsiedlungen kam es auch zu einem dramatischen Anstieg der Polizeigewalt in der brasilianischen Hauptstadt. Viele der Gewalttaten und Morde, die von Polizisten verübt wurden, werden behördlich nicht untersucht. Hinzu kommt, dass die Olympischen und Paraolympischen Spiele in Rio mehr als 10 Milliarden Euro gekostet haben. Einen großen Teil dieser Ausgaben mussten die Steuerzahler tragen. „Von der versprochenen Umwegrentabilität ist in Brasilien allerdings nichts zu spüren, zumindest nicht in der breiten Bevölkerung“, sagt Martin Kainz.

Deswegen sei es wichtig, die Planung zukünftiger Sportgroßveranstaltung bereits jetzt genau zu verfolgen, so der Sozialwissenschaftler weiter. Das wolle man - gemeinsam mit Nosso Jogo, der Initiative für globales Fair Play - beispielsweise bei der Fußballweltmeisterschaft 2018 machen, die in Russland stattfinden wird. „Dass es hier vor, während und nach der Veranstaltung zu menschenrechtlichen Problemen kommen wird, ist sehr wahrscheinlich“, sagt Kainz. Es gibt entsprechende Erfahrungswerte aus dem Jahr 2014, als die Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi stattgefunden haben.

Menschenrechtsstandards vertraglich absichern

Die größten Probleme in Russland werden nach Ansicht von Martin Kainz die Presse- und Meinungsfreiheit betreffen, sowie diskriminierende Gesetzgebungen, etwa gegen Homosexuelle. „Was Zwangsumsiedlungen oder Polizeigewalt betrifft, dazu gibt es schlichtweg noch keine Daten und auch keine medialen Berichte“, erläutert Kainz. Dass solche Daten noch vor Beginn der Spiele vorliegen werden, sei jedoch fraglich. Denn das sei für Menschenrechtsorganisation im Land schlicht zu gefährlich, sagt der Sozialwissenschaftler. „Bzw. läuft man auch Gefahr, einfach aus dem Land rausgeschmissen zu werden, wenn man Daten publik macht“.

Mehr Transparenz, gerade im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen, könne es bei solchen Großveranstaltungen nur geben, wenn entsprechende Standards bereits im Rahmen der Ausschreibung festgehalten und in Folge vertraglich abgesichert würden. In diesem Punkt sind sich Nosso Jogo und andere Menschenrechtsorganisationen einig. Ob das Olympische Komitee oder der Weltfußballverband FIFA auf diese Forderungen reagieren, wird sich erst zeigen. Vertragsklauseln zu Menschenrechtsstandards könnten erstmals bei den Olympischen Sommerspielen 2024 eine Rolle spielen.

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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