Ein Seeboden erzählt Umweltgeschichte

Bergstürze, Schlammrutschungen, Murenabgänge und möglicherweise sogar Tsunamis - davon erzählt der Seeboden des Hallstätter Sees. Mit Schall versuchen Forscher nun, die Umweltgeschichte der Region zu rekonstruieren.

Die Schlammschichten auf dem Grund des Hallstätter Sees sind ein wertvolles Umweltarchiv, sie bergen jahrtausendealten Blütenstaub und Insektenreste. Doch auch die Form der Schichten - also das Relief der Oberfläche - birgt eine Fülle an Informationen.

Forschungsboot am Hallstätter See

Caroline Haidacher/ ORF

Forschungsboot der Uni Innsbruck auf dem Hallstätter See

Die Kartografierung des Seebodens findet gerade statt: Mit Hilfe eines hochpräzisen Multibeam-Echolots - befestigt an einem Forschungsboot vom Institut für Geologie der Uni Innsbruck - wird der Seeboden gescannt. Schall wird zum Boden des Sees gesendet und aus den Reflexionen ein hochauflösendes Höhenmodell errechnet. Daraus entsteht eine präzise Geländekarte, die den Seeboden zeigt, wie ihn noch niemand zuvor gesehen hat.

Bergstürze und Hochwasser

Die Unterwasserlandkarte zeigt jeden Felsbrocken, Schuttströme und Abrisskanten, die allesamt Hinweise auf vergangene Felsstürze, Massenbewegungen, Hochwasserereignisse oder Erdbeben geben.

Scan Detail vom Hallstätter See

Kerstin Kowarik/ NHM“

Detail des See-Scans

Zusammen mit den Daten aus den Analysen der Bohrkerne vom Seegrund lassen sich so Extremereignisse exakt datieren und rekonstruieren. Die erste digitalisierte Reliefkarte des Seegrunds hat schon einige Überraschungen geliefert.

Schlammrutschung samt Tsunami?

Eine sichtbar gemachte Abrisskante erzählt von einer prähistorischen Schlammrutschung in den See, einer regelrechten Schlammlawine. Flavio Anselmetti, Geologe von der Universität Bern, führt gemeinsam mit einem Team der Uni Innsbruck die Messungen durch: „Man kann sich das vorstellen wie bei einem Schneebrett. Eine Schlammlawine rutscht hundert Meter den Hang herunter in den See, ausgelöst vielleicht von einem Erdbeben. Die Schlammmassen verdrängen Millionen Kubikmeter Wasser, da kann sich an der Seeoberfläche ein richtiger Tsunami entwickeln.“

Gezielte Seekernbohrung

Die ersten Informationen der Seebodenvermessung liefern wertvolle Hinweise. Denn die nachgewiesenen Relikte prähistorischer Bergstürze ermöglichen es, ziel- und punktgenau Seekernbohrungen am Ort des Geschehens durchzuführen. Das verspreche wertvolle Informationen, so Stefan Lauterbach von der Uni Innsbruck.

Forschungsboot am Hallstätter See

Caroline Haidacher/ ORF

Das Forschungsboot vor Hallstatt

„Bislang haben wir nur zufällig punktuell Bohrkerne entnommen, nun wissen wir aber genau, in welchen Regionen es vielversprechende Aufschlüsse geben kann. Die Untersuchung der Sedimente exakt dort, wo die Extremereignisse ihre Spuren hinterlassen haben, ist natürlich äußert effizient", so der Geologe.

Beziehung zwischen Mensch und Umwelt

Die umfassende Untersuchung der Mensch-Umwelt-Beziehung der letzten 3.500 Jahre ist Ziel des Facealps-Projekts. Verschiedenste Forschungsdisziplinen arbeiten vernetzt an der Rekonstruktion der Lebensbedingungen der Menschen, um zu erfahren, wie sie in ihre Umwelt eingegriffen haben und wie sich Umweltereignisse wiederum auf die Menschen ausgewirkt haben.

Sendungshinweise

Dem Thema widmen sich auch Beiträge in der ZIB1 und in der ZIB24 am 23.10. sowie im Ö1-Journal am 24.10.

Kerstin Kowarik, Umweltarchäologin am Naturhistorischen Museum Wien und Facealps-Projektleiterin: „Die Vermessung des Seebodens ist von großer Bedeutung, weil sie uns detaillierte Informationen über vergangene Umwelteinflüsse liefert.“ Die Kartografierung des Seebodens ergänzt die umfangreiche Datenmenge, die schon aus der Analyse von Seekern- oder Moorbohrungen gewonnen wurde.

Die Gesamtschau hilft, ein Modell der komplexen Beziehung des Menschen und seiner Umwelt zu erstellen. Kerstin Kowarik: „Was die Interdisziplinarität des Facealps-Projekts anbelangt, sind wir führend in Europa. Die Rekonstruktion der Ereignisse von damals und die Reaktionen der menschlichen Gesellschaft liefern auch wichtige Erkenntnisse, wie heute mit den Folgen des Klimawandels umgegangen werden könnte.“

Josef Glanz, ORF-Wissenschaft

Mehr zum Thema