Beschleuniger im Bleistiftformat

Teilchenbeschleuniger wie jener des Kernforschungszentrums CERN in Genf sind riesengroß. CERN-Physiker liefern nun den Beweis, dass man sie drastisch schrumpfen könnte. Für medizinische Anwendungen könnten sie einmal nur noch so groß sein wie ein Bleistift.

„Das betrifft aber nur den Teil, der tatsächlich die Teilchen beschleunigt. Zusammen mit den Magneten, Detektoren und anderen nötigen Teilen, werden sie aber doch einen Schreibtisch oder einen kleinen Raum füllen“, erklärt die Salzburger CERN-Physikerin Edda Gschwendtner gegenüber science.ORF.at.

Ein Schiff, Wellen und ein Surfer

Gschwendtner leitet an dem Kernforschungszentrum das Projekt AWAKE (Advanced Wakefield Experiment) und hat mit über 90 anderen Kolleginnen und Kollegen soeben neue Resultate in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht. Darin wird ein wichtiger Schritt beschrieben, der einmal zur Miniaturisierung von Teilchenbeschleunigern führen könnte.

Die Details der Arbeit sind recht kompliziert, um sie zu beschreiben hat sich aber ein recht einfaches Sprachbild eingebürgert: Die Forscher sehen demnach einem Surfer zu, der auf den Wellen hinter einem fahrenden Schiff surft. Wobei das Wasser am CERN kein Wasser ist, sondern Plasma – ein Gemisch aus positiv und negativ geladenen Teilchen. Das wellenerzeugende Schiff am CERN ist ein Protonenstrahl und der Surfer auf der Welle ein zweiter Teilchenstrahl, Elektronen. Wegen des Sprachbilds heißen Teilchenbeschleuniger dieses Typs auch Kielfeld-Beschleuniger (engl. Wakefield-Accelerator), benannt nach dem Rückgrat eines Schiffs.

Video der Forscher:

Das Prinzip solcher Beschleuniger ist seit Ende der 1970er Jahre bekannt, mit Erfolg realisiert werden sie aber erst seit einigen Jahren. Das CERN in der Schweiz ist ein guter Platz, um dazu zu forschen. Denn hier steht mit dem Large Hadron Collider (LHC) der größte Teilchenbeschleuniger der Welt. Damit sind schon bahnbrechende Entdeckungen gemacht worden, wie der Nachweis des Higgs-Bosons, wofür sein Entdecker Peter Higgs 2013 auch den Physiknobelpreis bekam. Das zentrale Element des LHC ist ein unterirdischer, fast 27 Kilometer langer Ringtunnel, in dem Protonen gegenläufig auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht werden. Am CERN wird auch eine Studie über einen länglichen, linearen Teilchenbeschleuniger (CLIC) gemacht, der vor allem mit Elektronen arbeitet und im Endausbau eine Länge von 48 Kilometern haben soll.

Erstmals Elektronen auf der Welle

Beide Beschleuniger sind also nicht gerade handlich. Physiker und Physikerinnen sind deshalb schon lange auf der Suche nach kleineren Beschleunigern, mit denen ähnlich hohe Geschwindigkeiten und Energien erzeugt werden können. Eine vielversprechende Alternative sind die Kielfeld-Beschleuniger.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 30.8., 13:55 Uhr.

Als wellenerzeugendes „Schiff“ im Plasma wurden bisher Laser- oder Elektronenstrahlen herangezogen. Vor zwei Jahren haben die Forscher um Edda Gschwendtner im Rahmen von AWAKE erstmals Plasmawellen mit einem Protonenstrahl erzeugt. Wie sie nun berichten, ist ihnen im Mai dieses Jahres eine weitere Premiere geglückt: Sie haben erstmals Elektronen auf dieser Plasmawelle „surfen“ lassen.

„Damit haben wir die Elektronen auf extrem hohe Energien beschleunigen können – nämlich von einem Ausgangswert von 19 Megaelektronenvolt auf zwei Gigaelektronenvolt in zehn Metern. Das heißt wir haben einen Beschleunigung von 200 Megaelektronenvolt pro Meter erreicht“, sagt Gschwendtner gegenüber science.ORF.at. „Das ist bereits jetzt doppelt so stark wie das, was für CLIC verwendet wird.“

Die Plasmazelle des AWAKE-Experiments

CERN

AWAKE-Experiment am CERN

Elektronen vs. Protonen

Und das sei noch nicht das Ende der Fahnenstange, das Ziel ist eine Beschleunigerstärke von einem Gigaelektronenvolt pro Meter, also eine Verfünffachung zu erreichen, und das über Hunderte von Metern. Die aktuell verwendete Plasmazelle ist zehn Meter lang, in Zukunft sollen die Zellen schrittweise verlängert werden, auf maximal 500 bis 1.000 Meter. Damit könnte man in Bereiche der Hochenergiephysik vorstoßen, in denen sich die deutlich größeren Teilchenbeschleuniger heute bereits befinden – allerdings nicht wie beim LHC bei Protonen, sondern bei Elektronen.

Sollten die Entwicklungsschritte wie erhofft gelingen, liegt ein Szenario am CERN nahe: „Wir könnten Elektronen mit AWAKE beschleunigen und diese mit Protonen kollidieren lassen, die vom LHC erzeugt werden“, sagt Gschwendtner. Damit ließe sich die Wechselwirkung von Elementarteilchen wie den Quarks und Gluonen untersuchen. Der Zeithorizont laut Gschwendtner: Das Design eines derartigen Kielfeld-Beschleunigers mit ausreichender Länge könnte 2035 fertig sein, die technische Umsetzung würde danach auch noch einige Jahre dauern.

Schon früher könnten sich Anwendungen in Medizin und Materialanalyse ergeben: etwa für die Bestrahlung von Tumoren oder zur Analyse molekularer Strukturen. Diese Beschleuniger im Schreibtischformat, die allerdings Laser- oder Elektronenstrahlen als „Schiffe“ verwenden, könnten schon in zehn bis zwanzig Jahren gebaut werden, glaubt Gschwendtner.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: