„Ich bin nicht nett zum Klima“

An der menschengemachten Klimakrise gebe es keine Zweifel, sagt Ranga Yogeshwar. Doch die Botschaft der Wissenschaft werde nicht gehört. Der deutsche TV-Journalist ortet in unserer Gesellschaft eine kollektive Verdrängung.

science.ORF.at: Herr Yogeshwar, Sie moderieren und konzipieren seit 25 Jahren das Wissensmagazin „Quarks“ im WDR. Gab es auch Sendungen, nach denen Sie sich eingestehen mussten: Da bin ich gescheitert?

Ranga Yogeshwar: Natürlich, ich erinnere mich noch mit einem gewissen Trauma an eine Sendung, in der es um die Kollision des Kometen Shoemaker-Levy 9 mit Jupiter ging. An sich ein großartiges Ereignis, der größte Knall im Sonnensystem für Jahrhunderte: Und weil es so wichtig war, erkämpfte ich bei den Kollegen von der ARD einen Live-Termin für die Übertragung. Wir hatten eine Schaltung nach Washington zur NASA, eine Schaltung zu einem Teleskop in Spanien und einen Internetserver im Studio. Als die Live-Sendung begann, sagte ich zu den Zuschauern: „Heute Abend sehen Sie was!“ Kurz darauf teilte die NASA mit, sie würde die Daten erst in drei Stunden bekommen. Der Himmel über dem Teleskop war bedeckt und die Verbindung ins Internet brach zusammen. Ich habe nach der Sendung schlecht geschlafen. Die Programmverantwortlichen sagten: „Siehste, wenn du die Wissenschaft in die Prime Time setzt, kommt das dabei raus.“ Aber es gab auch gute Geschichten.

Ranga Yogeshwar

Ranga Yogeshwar

Zur Person

Ranga Yogeshwar ist studierter Physiker und steht seit 30 Jahren als Moderator von Wissensformaten vor der Kamera. Er entwickelte und moderierte zahlreiche TV-Sendungen - u.a. „Kopfball“ (ARD), „Quarks&Co“ (WDR) und „Die große Show der Naturwunder“ (ARD).

Sendungshinweis

Am 10. September diskutierte Yogeshwar in Wien beim ORF-DialogForum über das Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit. Die Diskussion wird am 20. September um 23.10 Uhr in ORF III ausgestrahlt.

Zum Beispiel?

Einmal wurde ich von einer Mutter angerufen, die mir stolz folgende Geschichte erzählte: Ihr 15-jähriger Sohn bekam eine Auszeichnung in Berlin, weil er einem Mann auf dem Tennisplatz nach einem Herzinfarkt Erste Hilfe geleistet hatte. Ohne die Herzmassage hätte der Mann nicht überlebt. Als die Mutter ihren Sohn fragte, woher er weiß, wie das geht, sagte er zu ihr: „Das habe ich bei Yogeshwar in der Sendung gesehen.“ Das sind Momente, die unter die Haut gehen.

Wenn es um mediale Aufmerksamkeit geht, rangiert der Klimawandel ganz oben: Wie gehen Sie mit so einem brisanten Thema um? Nützt sich der Alarm nicht langsam ab?

Wissenschaftlich ist die Lage klar, die beschleunigte Veränderung des Klimas ist menschengemacht. Die Frage ist: Wie kommuniziere ich das? Da gibt es Leute, die den Klimawandel mit einer Industriekritik verbinden, manche sogar mit fast religiösem Eifer. Dann gibt es andere, die den Klimawandel technisch kommunizieren und sagen: Gut, wir haben den Klimawandel, vielleicht können wir ihn per Technik auch wieder verändern. Und dann gibt es Strömungen, die versuchen, diesen Befund über die Ökonomie zu kommunizieren. Der sogenannte Stern-Report ist im Grunde nichts anderes als der Versuch, an den Klimawandel sehr viele Preisschilder zu hängen. Und letztlich zu sagen: Das kostet dich so und so viel, also ändere das. Der nächste Schritt ist die Veränderung selbst.

Wie halten Sie es mit der Veränderung?

Ich bin sicher einer, der Dinge macht, die nicht unbedingt nett sind zum Klima. Das betrifft meine Reisen, meinen Ressourcenverbrauch und viele andere Aspekte auch: Ich lebe eigentlich gegen eine gewisse Erkenntnis. Und ich bin bedauerlicherweise damit nicht alleine. Wenn wir eine Veränderung erreichen wollen, müssen wir Alternativen finden. Das dauert - in Begriffen der Ökonomie - möglicherweise, bis sich Schaden und Nutzen die Waage halten. Irgendwann werden die wunderbaren Bergregionen in Österreich sagen: Stopp, unser Geschäft ist jetzt in Bedrängnis, weil der Tourismus kollabiert oder der Wintersport nicht mehr möglich ist.

Und wenn Sie das Problem global betrachten: Es gibt viele Länder, die sehr gut vom Erdöl leben und daher auch viel Geld zur Verfügung haben, um medial dagegenzuwirken. Wissenschaftlich gibt es keinen Zweifel am menschengemachten Klimawandel, aber es gibt sehr viele Lobbyisten, die Nebelbomben werfen. Die Aussage „Da gibt es noch Zweifel“ ist klar lanciert. Die Harvard-Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes hat ein wunderbares Buch über Mechanismen dieser Verunsicherung geschrieben: „Merchants of Doubt“, also die Händler des Zweifels.

Auch Wettermoderatoren thematisieren den Klimawandel immer häufiger bei ihren Auftritten im TV. Das wird von den Zusehern allerdings nicht immer goutiert.

Das kann man auch gut erklären. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen nach einem harten Arbeitstag im Wohnzimmer, nach den Nachrichten kommt der Wetterbericht und da hören Sie: Dieses Jahr war eines der heißtesten seit es Wetteraufzeichnungen gibt. Und möglicherweise hören Sie auch, dass der Rückgang des Polareises mittlerweile sichtbar ist. Da stellt man sich die Frage: Was machen wir jetzt? Der Laie bekommt keine konkreten Optionen. Man wird mit dem beklemmenden Gefühl zurückgelassen, dass wir den Planeten ruinieren. Es wäre an dieser Stelle auch Verantwortung der Politik zu sagen: Wir können an der und der Stelle etwas ändern, wir müssen nur konsequent sein. Wir müssen Maßnahmen implementieren, die nicht vom vierjährigen Turnus der Wahlen abhängig sind.

Wenn sich zwischen der Diagnose und dem Handeln so eine große Kluft auftut, stellt sich die Frage: Hat die Wissenschaft gesellschaftlich betrachtet eine zu geringe Argumentationsmacht?

Ja, wir sehen das auch bei anderen Themen. Wenn sie heute Mineralwasser in der Plastikflasche kaufen, dann lassen sich in 90 Prozent aller Wasserproben Mikroplastikpartikel nachweisen. Fragen Sie einmal einen normalen Menschen, ob er das ok findet. Die Antwort wird lauten: Nein, das will ich nicht. Eine aktuelle Studie der Fraunhofer-Gesellschaft kommt zu dem Fazit: Die Menge an nicht recycelbarem Kunststoff ist viel zu groß, sie müsste um das 26-Fache reduziert werden. Eigentlich eine klare Aussage. Das 26-Fache heißt: eine massive Veränderung von Verhalten. Tun wir das? Nein, nicht so richtig. Wir tun es nur, wenn die Betroffenheit so groß ist, dass es nicht mehr anders geht. Konkretes Beispiel: In Deutschland haben wir kein Plastiktütenverbot, in Bangladesch hingegen gibt es seit über zehn Jahren ein solches. Warum? Weil die Plastiktüten bei den starken Regenfällen im Monsun die Abwasserkanäle verstopft haben - und es dadurch zu zusätzlichen Überschwemmungen kam. Die Lernfähigkeit ist gering, vielleicht braucht es die Betroffenheit.

Wer ist schuld daran, dass die Trägheit das rationale Argument übertrumpft?

Wir selbst. Es gibt nicht den bösen Buben da oben, der uns alle betrügen will. Wir sind alle bequem, holen uns einen Coffee to go und rühren mit einem kleinen Plastiklöffel um, den wir danach sofort wegschmeißen. Ich habe genauso einen weißen Plastiklöffel an der Westküste von Costa Rica gesehen - und zwar bei einem Wissenschaftler, der ihn einer Schildkröte aus der Nase gezogen hat. Ein blöder kleiner Löffel führt irgendwo anders dazu, dass ein Lebewesen, das wir alle mögen, zugrunde geht: Wenn wir so etwas erkennen, dann bauen sich die verdrängten Kausalketten auf. Und dann ändert sich vielleicht etwas.

Brauchen wir eine neue Aufklärung - nicht der Erkenntnis, sondern des Konsums?

Gesellschaft wird immer mehr nach ökonomischen Kriterien gesteuert, die anderen Perspektiven sind in den letzten Jahrzehnten in den Hintergrund getreten. Die Rolle der Kirchen, die ja für eine nicht-ökonomische Welt stehen, schwindet in allen Industrieländern. Die Universitäten sind auch nicht mehr Räume, in denen kritisch diskutiert wird. Sie werden immer mehr zu Arbeitsvorbereitungsstätten, in den Studenten Credit Points sammeln, um möglichst schnell fertig zu werden und einen Job zu bekommen. Wir haben uns irgendwann daran gewöhnt, dass das Ökonomische dominant wird. Und wir wissen alle: Eigentlich ist das falsch. Wenn wir eine offene und ehrliche Debatte darüber führen, werden wir feststellen, dass die Preisgestaltung nicht stimmt.

In den 1,30 Euro für einen Liter Diesel ist vieles nicht eingepreist: etwa die militärischen Ausgaben, die notwendig sind, um überhaupt an diesen Stoff zu kommen. Denn fast überall, wo Erdöl aus der Erde sprudelt, gibt es auch Konfliktherde. Der Preis ist auch falsch, weil wir die Konsequenzen des Verbrennens nicht berücksichtigen. Hätten wir wahrhaftige Preise, würde sich etwas ändern. Wir blenden unglaublich vieles aus, wir wollen gar nicht wissen, woher ihr Hemd stammt oder meines. In der Digitalisierung sehe ich in diesem Zusammenhang eine Chance: Wir stehen erstmals vor der Möglichkeit, diese Prozessketten sichtbar zu machen - und den Leuten zu zeigen: Von hier stammt die Baumwolle, hier wurde sie gefärbt und von dieser Person wurde der Stoff zusammengenäht. Was wir brauchen, ist Transparenz.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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