Skitourismus von Fabriken inspiriert

Ingenieure perfektionierten den alpinen Skitourismus seit den Anfängen, damit er so effizient und gewinnbringend ist wie eine Fabrik, erklärt ein Umwelthistoriker in einem neuen Buch. Sie übernahmen sogar Methoden aus Schlachthöfen.

Nüchtern betrachtet sei ein Skigebiet ein auf Effizienz perfektioniertes Werk, so Robert Groß, der am Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur Wien und am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck lehrt und forscht. Heute präsentiert er in Wien sein Buch: „Die Beschleunigung der Berge“.

„Das Ganze fing damit an, dass der Schweizer Maschinenbauingenieur Ernst Constam in den 1930er-Jahren auf der Skipiste stand und die Vorgänge dort mit Methoden untersuchte, die man damals bei der Optimierung von Arbeitsabläufen in Fabriken intensiv angewendet hat“, sagt der Forscher. Dazu zählt etwa, die Arbeiter am Fließband zu beobachten und zu messen, wie viel Zeit sie für welche Arbeitsschritten benötigen, um die Abläufe zu optimieren und den Output der Fabrik zu erhöhen.

Fahrt mit dem Schlepplift

THOMAS COEX / AFP

Fahrt mit dem Schlepplift

Constam beobachtete die Teilnehmer von Skikursen mit der Stoppuhr in der Hand und fand dabei heraus, dass sie von einer Stunde im Schnitt 55 Minuten mit Aufsteigen und Herumstehen verbrachten, und nur fünf Minuten lang den Hang herunterwedelten oder -rutschten. Damit die Touristen mehr von der teuren Skilehrer-Zeit hatten, brachte er die Förderbänder auf die Piste, indem er den ersten Schlepplift entwickelte. „Sein Schlepplift wurde wahnsinnig populär und verbreitete sich sehr schnell in den Skigebieten“, so Groß. „Damit gab er den Startschuss für die infrastrukturelle Entwicklung des Wintertourismus.“

Förderkapazität entscheidend

Bis heute sei die Effizienz der Förderbänder vulgo Skilifte maßgeblich, wie einträglich ein Skigebiet für die Region ist. „Es gibt zwei zentrale Größen, um ein Skigebiet zu beschreiben: Die Förderkapazität der Lifte und die Skipistenfläche“, erklärt der Forscher. Die Förderkapazität ist abhängig von der Effizienz der Maschinen und technischen Innovationen.

Buchhinweis

„Die Beschleunigung der Berge. Eine Umweltgeschichte des Wintertourismus in Vorarlberg/Österreich, 1920-2010“, Robert Groß, Böhlau Verlag, ISBN: 978-3-412-51168-5

„Es fing mit dem Schlepplift an, dann kamen die ersten Einersessellifte, Doppelsessellifte, der Dreier, der Vierer, der Sechser und mittlerweile haben wir Achtersessellifte“, sagt Groß. Die Skipistenfläche wiederum ist von der natürlichen Umgebung aber auch durch konkurrierende Landnutzungsinteressen eingeschränkt. Bis zu den 1970er-Jahren stiegen beide Größen an, dann entkoppelten sie sich. Während die Förderkapazität insgesamt um das 23-fache wuchs, nahm die Skipistenfläche seitdem kaum mehr zu.

Anstellen wie im Schlachthof

Als dritte Ressource könne man die Körper der Touristen, also die Skiläufer selbst ansehen, meinte Groß. Auch sie standen bald im Fokus der optimierungsfreudigen Ingenieure. „Diese Körper mussten diszipliniert werden, um sie an die hohen Förderquoten anzupassen“, sagte er. Der zeitraubendste Abschnitt jeder Skiliftfahrt sei der Zustieg. „Auf Bildern alter Skigebiete sieht man, dass die Skiläufer bei den Talstationen sehr planlos in großen Menschentrauben zusammenstehen“, so der Forscher. Dadurch steigt die Wartezeit und Konflikte entstehen. „Man begann deshalb die Bereiche so abzuzäunen, dass die Skiläufer gezwungen waren, sich maximal in Zweierreihen aufzustellen, mit dem Blick zur Zustiegssituation, damit sie sich kognitiv schon mit dem Aufstieg befassten“. Die Zuläufe wurden abschüssig angelegt, damit es zu keinen Stockungen kam, und bei Bedarf Förderbänder eingebaut, um den Zustrom zum Skilift zu beschleunigen.

„Diese Disziplinierungsmaßnahmen wurden ursprünglich für die Schlachthöfe in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelt, um den Schlachtprozess effizienter zu gestalten und das Vieh vor sich selbst zu schützen“, erklärte Groß. Die Tiere wurden in Bahnen kanalisiert, damit sie sich einzeln oder maximal zu zweit auf das Schlachthaus zubewegte. Diese Technologie wurde auch im späten 19. Jahrhundert beim Bau der ersten U-Bahnen in New York eingesetzt, und fand später den Weg in die alpinen Räume.

Die sich immer rasanter drehende Spirale von Modernisierung, Ausweitung und Intensivierung zeichnet Groß in seinem Buch vor allem anhand von Beispielen in Vorarlberg nach. Es handelt sich dabei aber um kein lokales Phänomen, erklärt er: „Diese Mechanismen betreffen den Wintertourismus global und sind in Nordamerika nicht viel anders, als im hinteren Bregenzerwald“.

science.ORF.at/APA

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