„Keine Schmerzmittel beim Marathon“

Viele Läuferinnen und Läufer greifen beim Marathon am Sonntag in Wien ihre Bestzeiten an – einige vermutlich mit Hilfe von Schmerzmitteln. Experten warnen vorab: Diese Medikamente können beim Marathon lebensbedrohlich sein.

Wenn am Sonntag um neun Uhr der Startschuss fällt, beginnt für circa 40.000 Menschen ein stundenlanger Lauf, der sie bis ans Äußerste treiben wird. Wer die volle Distanz beim Vienna City Marathon rennt, hat 42,195 Kilometer vor sich.

Auf diesen Wettbewerb haben sie monatelang hingearbeitet, hingefiebert, hintrainiert. Umso ärgerlicher ist es, wenn man dann plötzlich eine Erkältung oder Gelenksschmerzen bekommt. „Wenn ich krank bin, wenn ich einen akuten Infekt habe, darf ich nicht laufen, punkt“, betont der Mediziner Robert Fritz, der in der Wiener Sportordination arbeitet und seit zehn Jahren nebenher das Medical Center beim Vienna City Marathon leitet.

Dort können kurzfristig erkrankte Athleten oder verletzte Athletinnen am Marathonwochende kostenlos abklären lassen, ob ein Start gesundheitlich möglich ist. „Und wenn mir dann ein erfahrener Marathonläufer sagt: ‚Na ich bin zwar verkühlt und habe Fieber, aber ich renne ja eh nicht den ganzen Marathon, sondern den halben.‘ Dann muss ich dem innerhalb von wenigen Minuten klarmachen, dass das eine ziemlich blöde Idee ist, wenn er das tut. Und das ist nicht immer einfach.“

Szenen des Vienna City Marathon

APA/Georg Hochmuth

Ärztliche Attests in einigen Ländern Pflicht

Zu groß ist der Ehrgeiz, zu unterschätzt wird die körperliche Anstrengung auch bei einem Halbmarathon. Geht man krank an den Start, können Herzmuskelentzündungen die Folge sein. Diese werden dann – genauso wie kardiologische Vorerkrankungen – von den Betroffenen oft nicht wahrgenommen. Im schlimmsten Fall kann das tödlich enden. Immer wieder sterben Menschen bei Marathonläufen – zuletzt Ende September 2018 beim Halbmarathon in Ulm. Der Läufer war 30 Jahre alt.

Ö1 Sendungshinweis:

„Unter zwei Stunden? Wie schnell kann ein Mensch Marathon laufen?“: Dimensionen, 4.4., 19:05 Uhr.

Genau aus diesem Grund müssen in Italien und Frankreich alle Teilnehmer bei Laufwettbewerben ein ärtzliches Attest vorweisen. „Wir verhandeln gerade mit dem Sportministerium, um solche verpflichtenden Voruntersuchungen auch in Österreich einzuführen. Die Signale sind postitiv“, sagt der Direktor des Österreichischen Instituts für Sportmedizin (ÖISM), Norbert Bachl.

Schmerzen sind Warnsignal des Körpers

Das sei auch höchste Zeit, meint die Allgemeinmedizinerin mit Sportarztdiplom, Margarete Wolner. Sie führt entsprechende Untersuchungen am Medizinzentrum Alserstraße (MZA) durch. „In meiner Ordination hatten wir allein in den letzten vier Wochen vier schwere Fälle. Ein Patient kam mit Verkalkungen der Herzkranzgefäße, der hatte auch schon einen Stent. Ein anderer hatte eine Ausbuchtung in der Kammermuskulatur. Heute habe ich einen Mann mit Vorhofflimmern und ein junges Mädchen mit Rhythmusstörungen, die auch bösartig werden können, zum Kardiologen schicken müssen.“ Sie alle wollten ursprünglich beim Vienna City Marathon starten.

Noch viel weniger ernst genommen werden Schmerzen im Bewegungsapparat. Zahlreiche Sportlerinnen und Sportler nehmen Medikamente, um nur ja weiter laufen zu können. „Ich kenne so viele Menschen – gerade 40- und 50-Jährige – die massive Kreuz- oder Knieprobleme haben. Und was machen die? Sie schlucken ein Schmerzmittel und … geht schon! Weil sie mit dabei sein wollen oder weil sie diesen Schmerz nicht mehr als das erkennen, was er ist, nämlich ein Warnsignal des Körpers. Denn der Schmerz sagt dem Gehirn: Hier gibt es etwas zu heilen“, berichtet die Sporttherapeutin Alexandra Knopp, die in der Salzburger Gemeinde Elixhausen die Praxis „Wendepunkt Gesundheit“ betreibt.

Knopp über die Mentalität, ständig über Grenzen hinauszugehen:

Szenen des Vienna City Marathon

APA/Georg Hochmuth

Schmerzmittel können Nieren schädigen

Kurz vor oder während eines Marathons sind Schmerzmittel tabu, erklärt Christoph Triska vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien. „Diese Medikamente werden über die Niere und Leber ausgeschieden. Die Leber, als zentrale Entgiftungsstation, muss bei einem Marathon ohnehin schon viel arbeiten, weil ein kilometerlanger Lauf natürlich ein ziemlicher Stress für den ganzen Körper ist. Und dann kommt noch zusätzlich das Schmerzmittel dazu. Das kann leicht zu einer Überlastung im ganzen Organismus führen.“ Schmerzmittel unterdrücken auch das Durstgefühl und begünstigen dadurch eine Dehydrierung. Im schlimmsten Fall könne es dann zu einem tödlichen Herz-Kreislauf-Versagen kommen, so Triska.

Die Folgeschäden sind nicht immer direkt im oder sofort nach dem Wettbewerb erkennbar. „Durch diese Substanzen kann eine akute Niereninsuffizienz – also eine akute Nierenfunktionsstörung – eintreten. Schmerzmittel während eines Marathons sind eine ganz gefährliche Sache“, sagt der Sportkardiologe Herbert Löllgen, der auch Vorstandsmitglied bei der „European Federation of Sports Medicine Associations“ (EFSMA) ist. Aufgrund derartiger Gesundheitsschäden bleibt man viel länger sportlich eingeschränkt, kann vielleicht nie wieder hart trainieren. Eine Pause ist also langfristig gesehen die bessere Wahl – sowohl gesundheitlich als auch leistungstechnisch. „Nach dem Marathon kann man aber ruhig eine Schmerztablette nehmen, wenn der Muskelkater zu stark ist“, fügt Löllgen hinzu.

EPO im Spitzensport

Im Leistungssport, wenn es auch um viel Geld geht, können sich viele Athletinnen und Athleten weder Wettkampfpausen noch Fehltritte leisten. Bei der ständigen Jagd nach dem 2-Stunden-Rekordbruch beim Marathon sind einige bereit, auch zu unerlaubten Dopingmitteln zu greifen. Im Laufsport ist besonders das Glycoprotein-Hormon Erythropoetin – besser bekannt unter dem Namen EPO – ein Problem. Zuletzt wurde etwa der Sieger des Athenmarathons 2017 Samuel Kalalei positiv darauf getestet.

EPO regt die Produktion roter Blutkörperchen an und lässt einen länger schneller laufen – allerdings mit erheblichen Nebenwirkungen. „Ich habe dann eben sehr viele rote Blutkörperchen. Das heißt, das Blut ist nicht mehr sehr flüssig, es ist relativ dick. Und dann kann es relativ leicht zu einer Thrombose kommen. Wenn sich dieser Thrombus dann in einer tiefen Beinvene löst, können eine Lungenembolie oder ein Schlaganfall die Folge sein. Bei einem verstopften Herzkranzgefäß ist auch ein Herzinfarkt möglich“, erklärt Triska, der auch bei der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) engagiert ist.

Verschwommene Läufer beim Marathon

APA/Georg Hochmuth

Gendoping in Reichweite

Die Dopingmethoden werden immer ausgefeilter. Auch das neue CRISPR/Cas-Verfahren – eine Art Genschere, mit der bestimmte Gene eingefügt oder entfernt werden können – ließe sich in Zukunft zur Leistungssteigerung missbrauchen, so die Befürchtung einiger Fachleute. Viel mehr Sorgen bereitet Norbert Bachl vom ÖISM aber das indirekte Gendoping. Hier werde nicht ein Gen manipuliert, sondern in den Expressionsablauf und damit in die biochemische Wirkungsweise eingegriffen. „Wenn ein Gen arbeitet – etwa über sportliche Aktivität – dann wird über komplizierte Prozesse die DNA abgelesen und es entsteht eine messenger-Ribonukleinsäure (mRNA). Die produziert dann Proteine. In diesen unglaublich komplizierten Prozess kann man mit relativ harmlosen chemischen und biologischen Substanzen eingreifen.“ Die möglichen Nebenwirkungen dieser Präparate sind sehr breit und zugleich aufgrund geringer Erfahrungswerte kaum abschätzbar.

Bachl erklärt ein Gendoping-Beispiel für Muskelwachstum:

Neue, bisher unbekannte Methoden im Gendoping lassen sich auch sehr schwer nachweisen. „Doping ist und bleibt ein Katz-und-Maus-Spiel. Nach wie vor gilt das elfte Gebot: du darfst dich nicht erwischen lassen.“

Aber greifen im Spitzensport wirklich alle auf gewisse Dopingmittel zurück? Nein, sagt Triska. Es gäbe viel gesündere und auch langfristig wirkungsvollere Methoden, die Leistung zu verbessern. „Sei es über Ernährung, Trainingssteuerung oder Traningsanpassung. Novak Đoković ist ein typisches Beispiel dafür. Er hat mit Boris Becker trainiert und durch eine Technikumstellung einen riesen Leistungssprung gemacht. Das hätte er mit Dopingmitteln auf gar keinen Fall erreichen können“, unternimmt Triska einen kurzen Ausflug in die Tenniswelt. Genau dasselbe gelte aber auch für den Laufsport.

Daphne Hruby, Ö1-Wissenschaft

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