Übung und Begabung bestimmen die Leistung

Macht die Übung den Meister, wie das Sprichwort sagt, oder ist es doch die Begabung? Zumindest beim Schachspiel ist es eine Mischung von beidem, wie nun Grazer Forscher berichten.

Das überrascht beim Schach nicht wirklich. Für eine neue Studie haben der Psychologe Roland Grabner von der Universität Graz und ein internationales Team aber nun erstmals das Zusammenspiel von beiden Faktoren untersucht und quantifiziert. „Rund 50 Prozent der Leistung von Schachspielern erklären sich durch die Kombination von Übung und Intelligenz“, so Grabner gegenüber science.ORF.at.

Die andere Hälfte liegt laut dem Psychologen an Persönlichkeitsunterschieden, etwa an Ausdauerfähigkeit und Motivation, und an der emotionalen Kompetenz. „Wenn Sie einen schlechten Zug gemacht haben, ist ein Pokerface von Vorteil“, so ein Beispiel von Grabner. Und auch das Alter, ab dem man mit dem Schachspiel beginnt, ist wichtig, um ein Schachmeister oder eine Schachmeisterin zu werden. Das Motto: je früher, desto besser.

Anzahl von Spielen mit IQ-Test kombiniert

Schachspiel ist ein besonders gutes Beispiel, um der Frage nachzugehen, wie herausragende Leistungen zustande kommen. Denn wie kaum eine andere Tätigkeit kennt es ein objektives System der Überprüfung: die „Elo-Zahl“, die angibt, wie stark ein individueller Spieler ist. Genau diese haben die Forscher bei 90 österreichischen Turnierschachspielern - von Anfängern bis zum Großmeister - unterschiedlichen Alters und Geschlechts untersucht.

Mit der Elo-Zahl ließ sich die Entwicklung der Spielstärke verfolgen. Kombiniert haben die Psychologen dies mit zwei Werten, die für Übung bzw. Begabung stehen: die Anzahl von Turnierspielen pro Halbjahr (Übung) und die Resultate eines Intelligenztests, den die Spieler vor rund 15 Jahren gemacht hatten (Begabung). Mit diesen Daten konnten die Forscher erstmals die Entwicklung der Spielstärke über die gesamte Lebensspanne untersuchen – der jüngste Teilnehmer war zu (rückgerechnetem) Studienbeginn zehn Jahre alt, der älteste 77.

Schüler und Schülerinnen spielen Schach

APA/dpa/Daniel Reinhardt

Resultat: Intelligenz und Übung sind in allen Lebensabschnitten zentral. „Intelligentere Spielerinnen und Spieler profitieren aber mehr vom gleichen Ausmaß an Übung als weniger intelligente“, so Grabner. Übung ist speziell zu Beginn einer Schachkarriere von Vorteil – wenn das Fachwissen angehäuft wird – und am Ende, im höheren Spielalter. „Im Bereich der Spitzenleistung, wenn die Spieler um die 35 Jahre alt sind, spielt hingegen die Intelligenz eine starke Rolle“, sagt der Psychologe. „Denn selbst wenn man schon enorm viel weiß über Schachkombinationen, Eröffnungen etc., kommt man immer noch in Situationen, wo man aktiv über neue Zugmöglichkeiten nachdenken muss. Das hängt stark mit schlussfolgerndem Denken zusammen, und hier haben intelligentere Personen einen Vorteil.“

Numerische Intelligenz

Wobei nicht alle Formen der Intelligenz gleich wichtig sind, wie Grabner betont. Wer bei verbalen und räumlich-visuellen IQ-Tests gut abschneidet, spielt noch lange nicht gut Schach. „Oft wird angenommen, dass das räumliche Vorstellungsvermögen eine wichtige Rolle spielt, weil man sich das Schachbrett für weitere Zugmöglichkeiten vorstellt. Das ist aber nicht der Fall“, so Grabner. „Schachexperten und -expertinnen stellen sich die Folgezüge nicht auf einem dreidimensionalen Schachbrett vor. Ihre Repräsentationen sind abstrakt, sie haben eher ein zweidimensionales Kräfteverhältnis vor dem inneren Auge.“

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 27.8., 13:55 Uhr.

Dementsprechend wichtig ist die numerische Intelligenz, also das zahlengebundene Denken. „Je besser man rechnen kann, desto größer scheint der Vorteil bei Schach zu sein“, so der Psychologe. Das liegt zum einen am Koordinatensystem mit den 64 Feldern, zum anderen haben die einzelnen Spielfiguren auch einen bestimmten Wert, der sich aus ihren Zugmöglichkeiten ergibt. „Ein Springer hat etwa den Wert von drei Bauern, ein Turm einen Wert von fünf Bauern. Wenn man nun verschiedene Zugkombinationen in Erwägung zieht, kann man sich ausrechnen, ob man im Ergebnis an Punkten gewinnt oder verliert. Wer hier besser rechnet, hat beim Vorausplanen von Zügen einen Vorteil.“

Ergebnisse gelten auch in anderen Bereichen

Die Ergebnisse zur Schachstudie sind laut Grabner prinzipiell auch auf andere Fertigkeiten übertragbar, von Geigenspielen bis Spitzentanz. Von der weitverbreiteten 10.000 Stunden-Regel, wonach man alles erlernen kann, wenn man nur ausreichend übt, hält er hingegen weniger. „Begabung plus Übung erklären einen Hauptteil individueller Leistungen. Bei Musikinstrumenten kommt noch eine musikalische Begabung dazu, beim Tanz etwa psychomotorische Fähigkeiten, die klassische Intelligenztests nicht erfassen.“

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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