Mangroven auf Wanderschaft

Die Klimaerwärmung macht sich nicht nur an den Polen bemerkbar, sondern auch in den Tropen. Etwa bei Mangroven: Die salztoleranten Bäume breiten sich aus und wandern in die nächsthöhere Klimazone. Das freut Viele, aber nicht Alle.

Ort der Handlung: die Sümpfe der Everglades, der größte Nationalpark in den östlichen Vereinigten Staaten. John Kominoski vom Institut für Wasser und Umwelt der Florida International University steht mit seinen Gummistiefeln im Wasser – genauso wie die Bäume um ihn herum.

„Mangroven stehen mit ihren Füßen – oder besser: mit ihren Wurzeln – im Boden. Aber eben unter Wasser“, schmunzelt der US-Biologe. Denn im Gegensatz zu den meisten Pflanzen vertragen Mangroven Salzwasser. Das Salz des Atlantiks macht ihnen nichts aus. Und auch das viele Salz im Meeresboden kann den Bäumen nichts anhaben. Ihre Wurzeln holen sich den Sauerstoff aus der Atmosphäre. Deswegen ragen sie immer ein Stück über den Meeresspiegel hinaus, in die Luft, was Mangroven ihr typisches Aussehen verleiht: Bäume auf Stelzen.

Außerhalb des Everglades-Nationalparks dehnen sich die Mangroven in Richtung Norden aus, die Atlantikküste hinauf. „Sie mögen warme Temperaturen - und auch weiter nördlich ist es nun wärmer“, sagt Kominoski.

Mangroven in den Everglades

John Kominoski

John Kominoski bei der Arbeit

Die effektivsten Kohlendioxidspeicher der Welt

Bäume auf Wanderschaft – und alle freut’s. Zwar werden die Mangroven so weiter nördlich zu einer Pflanzenart, die dort eigentlich gar nicht beheimatet ist. Aber die Ausdehnung ihres Territoriums scheint für alle nur Vorteile zu bringen. „Mangroven sind nützlich, einfach weil sie so produktiv sind“, betont John Kominoski.

Wie alle Pflanzen betreiben sie Photosynthese. Sie filtern Kohlendioxid aus der Atmosphäre und wandeln das CO2 um in Biomasse. Die Bäume speichern es, und zwar so effektiv wie keine andere Pflanzenart. „Und damit tun sie uns natürlich einen großen Gefallen“, findet der Everglades-Experte. Denn Kohlendioxid ist eines der Treibhausgase, die die Erdatmosphäre erwärmen. Der steigende Meeresspiegel ist ebenfalls eine Folge des Klimawandels. Auch hier erweisen sich Mangroven als nützlich.

John Kominoski schreitet durch das Wasser und steht auf einmal etwas erhöht. „Unter Mangroven entstehen mit der Zeit kleine Anhöhen“, sagt er und zeigt nach unten. „Im Laufe der Jahre sorgt die Biomasse, die im Boden gespeichert wird, dafür, dass er sich etwas hebt.“ Das könne zwar Wellen nicht stoppen, die sich auf das Land zubewegten. Diese Anhöhen würden aber die Geschwindigkeit und die Wucht der Wellen abschwächen, so wie eine Art Filter.

Standfeste Bäume

„Damit schützen sie auch das Festland vor Hurrikans“, ergänzt Andreina Contreras von der Biologieabteilung der Florida International University. „Durch ihre Wurzeln im Wasser und im Meeresboden haben Mangroven einen sehr festen Stand. Sie bleiben auch bei starken Winden stehen“, so die Biologin. Dadurch wirken sie wie ein Schutzschild, der weiter landeinwärts stehende Bäume vor dem Wind abschirmt. „Sonst würden sie während eines Hurricanes vielleicht umstürzen.“

Contreras fand heraus: Auch die Fische freuen sich. Manche verbringen ihr ganzes Leben zwischen den Wurzeln der Bäume. Sie bieten ihnen Schutz vor größeren Fressfeinden.

Alles eitel Sonnenschein also? Gibt es wirklich keine Tier- oder Pflanzenart, die unter der Ausdehnung der Bäume leidet? „Es gibt Wettbewerb“, schränkt John Kominoski ein. „Mangroven werfen Schatten.“ Das hindere andere Pflanzen an ihrem Wachstum. Einige Vögel mögen sie ebenfalls nicht, weil sie im Sumpf nach Nahrung suchen. Und wo bisher eine flache Moorlandschaft war, stehen nun Bäume.

Mangroven in den Everglades

John Kominoski

Der Kanarienvogel in der Kohlemine

Satellitenaufnahmen belegen, dass zwischen 2003 und 2010 das von Mangroven bewachsene Gebiet Floridas um 70 Prozent gewachsen ist. Und es ist kein Ende in Sicht. Je wärmer es nördlich der Everglades wird, desto weiter dehnen die Bäume sich aus. „Mangroven sind der Kanarienvogel in der Kohlemine“, sagt Kominoski. Sie seien das erste Anzeichen einer Veränderung.

„Weil sie so sensibel auf Temperaturveränderungen reagieren, sind sie der Indikator dafür, dass es wärmer wird.“ Sie wandern derzeit in die subtropische Klimazone hinein, bis nach Georgia, nördlich von Florida. Die Everglades liegen auf 23 Grad nördlicher Breite. Georgia beginnt bei 30 Grad. Mangroven haben ihren Lebensraum also um bis zu acht Breitengrade nach Norden erweitert, und das binnen weniger Jahrzehnte.

Und hier, im US-Bundesstaat Georgia, steht dann auch die nördlichste Mangrove, die jemals beobachtet wurde. Gefunden hat sie vor einigen Jahren Ilka Feller vom Smithsonian Environmental Research Center in Maryland. Heute ist die Wissenschaftlerin emeritiert und lebt in Florida. „Da hinten der Baum steht seit ungefähr 15 Jahren hier“, sagt sie und zeigt auf eine einsame Mangrove in der Ferne. „Wahrscheinlich sind seine Samen von einem Hurrikan 2004 hierhin geweht worden.“ Und da mehr und stärkere Hurrikans vorhergesagt werden, werden Mangroven wohl weiter und weiter nach Norden getrieben. Ilka Feller glaubt: „Ihre Standorte werden so zu einem biologischen Mahnmal für die Folgen des Klimawandels.“

Guido Meyer, Ö1-Wissenschaft

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