Hirntumoren zapfen Nervenströme an

Von einer bizarren Entdeckung berichten US-Forscherinnen in der Zeitschrift „Nature“: Hirntumoren klinken sich in die Kommunikation gesunder Nervenzellen ein – und kurbeln damit ihr eigenes Wachstum an. Die gute Nachricht: Es gibt ein Gegenmittel.

Hirntumoren gelten grundsätzlich als schwer heilbar, das gilt im Besonderen für bösartige Wucherungen der Gliazellen, auch Gliome („high grade gliomas“) genannt. Bei erwachsenen Patienten überlebt nur jeder Zwanzigste die ersten fünf Jahre nach der Diagnose, bei Kindern ist die Prognose sogar noch schlechter. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Gliome gleichsam im gesunden Gewebe verstecken. „Sie dringen diffus ins Gehirn ein und verflechten sich mit den normalen Nervenzellen. Das macht den Tumor so heimtückisch“, sagt Michelle Monje.

Tumor bildet Synapsen

In ihrer letzten Studie hat die Medizinerin von der Stanford University eine, wie sie selbst sagt, „beunruhigende“ Entdeckung gemacht. Sind die Gliome einmal im Hirngewebe integriert, bilden sie offenbar Synapsen aus und stellen damit einen Kontakt zu den Nervenzellen in ihrer Umgebung her.

Mikroskop-Aufnahmen der Neuronen produzierenden Stammzellen (grün) im Gehirn erwachsener Mäuse

Daniel A. Berg and Allison M. Bond

Wie Monje mit ihrem Team nachweist, ist der gesamte Tumor elektrisch aktiv, er leitet die Signale in sein Inneres – und kurbelt damit seine Zellteilung wie auch die Invasion in andere Hirnbereiche an. Die Gliome parasitieren also nicht nur am Energiehaushalt des Körpers, sondern auch an den Hirnströmen. Das sei ein Aspekt der Krankheit, den man bislang „völlig übersehen“ habe, sagt Monje.

Wie eine Behandlung aussehen könnte, zeigen sie und ihr Team in Versuchen mit Mäusen vor. Als die Forscher/innen krebskranken Versuchstieren das Epilepsie-Medikament Perampanel verabreichten (der Wirkstoff dämpft die elektrische Erregung von Neuronen), fiel die Vermehrung der Gliomzellen um 50 Prozent ab. Ähnlich war die Wirkung des Fieber- und Schmerzmittels Meclofenamat.

In der gleichen Ausgabe von „Nature“ sind noch zwei weitere Studien mit ganz ähnlichen Ergebnissen erschienen. Dass Hirntumoren Synapsen bilden können und somit noch heimtückischer sind als bisher gedacht, dürfte nun hinlänglich mit Daten belegt zu sein. Das Gute daran: Dadurch ergeben sich auch Ansatzstellen für neuartige Therapien.

Robert Czepel, science.ORF.at

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