Wohin führt die CRISPR-Revolution?

CRISPR/Cas, die „Genschere“, hat eine wissenschaftliche Revolution ausgelöst. Dank ihr können Abschnitte der DNA gezielt durch andere Sequenzen ersetzt werden, bei Pflanze, Tier und Mensch. Ein Dokumentarfilm fragt jetzt, wohin diese Revolution führen wird.

Die Sichelzellenanämie ist eine monogenetische Erkrankung. Die Mutation eines einzigen Gens sorgt dafür, dass Blutkörperchen nicht rund, sondern sichelförmig sind. Das führt zu Blutarmut, mitunter zu einer schlechten Sauerstoffversorgung der Organe. Die Lebenserwartung liegt im Durchschnitt bei 40 Jahren. Könnte die „Genschere“ CRISPR dazu führen, das Menschen eine Sichelzellanämie wieder loswerden oder Kinder gar nicht damit geboren werden? Diese Frage stellt der Regisseur Adam Bolt an den Beginn seines Dokumentarfilms „Human Nature. Die CRISPR Revolution“, der am 15. November in die österreichischen Kinos kommt.

Genchirurgie aus der Natur

Dass die Sichelzellenanämie in „Human Nature“ eine größere Rolle spielt, liegt an einem der Protagonisten des Films. Der zwölfjährige David leidet an der Erkrankung. Eine Therapie mit der Genschere könnte ihm vielleicht helfen, dieses eine mutierte Gen in seiner DNA zu reparieren. Bevor das Publikum erfährt, ob das schon bald der Fall sein könnte, rollt Bolt die Geschichte der Gentechnologie CRISPR/Cas auf und lässt viele der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort kommen.

Filmausschnitt aus "Human Nature"

Polyfilm

Ein Bild aus „Human Nature“

Dieses Prinzip der „Genchirurgie“ stammt aus der Natur: Der spanischen Molekularbiologe Francisco Mojica beobachtete CRISPR bei Bakterien und gab der Genschere ihren Namen: CRISPR für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Dringt ein Virus in den Mikroorganismus ein, wird ein Teil der eigenen DNA gegen jene des Virus getauscht. Kehrt der Eindringling zurück, erkennt das Protein Cas 9 das fremde Erbgut, schneidet es durch und macht es dadurch unschädlich.

Schweizermesser der Gentechnik

Man entdeckte, dass Crispr so etwas wie das Immunsystem von Bakterien ist. Absurderweise dürften die Mitarbeiter einer Joghurtfirma die ersten gewesen sein, die ohne es zu wissen, mit CRISPR arbeiteten, um Milchsäurebakterienkulturen haltbarer zu machen. Doch die Molekularbiologie hat sich die Methode abgeschaut und weiterentwickelt.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichtete auch das Journal um acht, 15.11., 8:00 Uhr.

Die Herausforderung war also, eine Technik zu finden, die die DNA am gewünschten Platz durchtrennt und die Gensequenz gezielt verändert, erzählt die Molekularbiologin Jennifer Doudna, die CRISPR gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier zur Genschere machte: mit Hilfe des Proteins Cas 9.

Filmausschnitt aus "Human Nature"

Polyfilm

Mit ihrer Publikation lösten die beiden Wissenschaftlerinnen 2012 die CRISPR-Revolution aus und werden seitdem für den Nobelpreis gehandelt. Das Protein Cas 9 kann, mit der richtigen Information ausgestattet, eine ganz bestimmte Gensequenz ansteuern, ausschneiden und durch eine andere Abfolge der organischen Basen Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T) ersetzen. So können mutierte Gene repariert oder gesunde Gene durch andere, erwünschte Basenfolgen ersetzt werden. Ein universelles Werkzeug sei das, sagt Emmanuelle Charpentier in dem Film, oft als Schweizermesser der Gentechnik beschrieben.

Lebensretter oder Ende der Natur?

Adam Bolt erklärt in der Dokumentation „Human Nature“ nicht nur, wie dieses Schweizer Taschenmesser der Gentechnik funktioniert und wie es entstanden ist. Die zweite Hälfte des Films diskutiert potenzielle Anwendungsmöglichkeiten und zeigt die Chancen und Risiken der Genschere auf: Die reichen von einer Heilung der Sichelzellenanämie bis hin zu Designerbabys, deren Größe, Augenfarbe und Intelligenzquotient vorbestellt werden kann.

Einen Vorgeschmack darauf, gab es bereits. Vor einem Jahr gab ein chinesischer Forscher die Geburt von CRISPR-Zwillingen bekannt (science.ORF.at berichtete): Das Erbgut der Embryonen wurde so verändert, dass die Kinder gegen HIV immun wären. He Jiankui, der verantwortliche Molekularbiologe, kündigte bereits an, weiter an „gesunden“ Babys arbeiten zu wollen.

Einiges in „Human Nature“ mutet Science-Fiction-haft an, manches ist beängstigend. Ein Urteil, ob diese Entwicklung nun positiv ist oder die Menschheit bedroht, liefert „Human Nature“ dennoch nicht. Der Film will vielmehr eine Debatte über eine neue Technologie anstoßen: Alles sollen mitdiskutieren können, bevor die Genschere CRISPR/Cas die menschliche Evolution vielleicht für immer verändert.

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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