Mittel gegen den Populismus

Francis Fukuyama ist einer der bekanntesten politischen Diagnostiker der Gegenwart. Zuletzt beschäftigte er sich mit Identität. Im ORF-Interview skizziert er Mittel gegen den wachsenden Populismus – und rüttelt an rechten wie linken Glaubensbekenntnissen.

Wohl kaum ein anderer Denker der Gegenwart ist derart mit einer These verknüpft wie Fukuyama. Sein „Ende der Geschichte“, 1989 erstmals in der Zeitschrift “The National Interest“ erschienen, wird seit damals von vielen Seiten kritisiert.

Dabei passte der Befund zur Situation vor 30 Jahren: Der Westen hatte den Kalten Krieg gewonnen, die Sowjetunion war implodiert, und der liberale, kapitalistische Staat schien zum Sehnsuchtsort für alle Regionen der Erde zu werden. Einen nicht unwesentlichen Teil seiner Zeit verbrachte Fukuyama seither damit, seinen Kritikern zu entgegnen.

Zum einen verweist der Politikwissenschaftler von der Stanford-Universität auf das Fragezeichen, das in der Erstversion seiner These („The End of History?“) noch vorhanden war. Zum anderen habe er schon damals geschrieben, dass die Geschichte – selbst an ihrem Ende im Hegel’schen Sinne – nicht langweilig werden würde. Nationalismus und Religion würden als wesentliche Kräfte der Weltpolitik nicht verschwinden, und zwar weil die liberalen Demokratien das Problem des „Thymos“ nicht vollständig gelöst hätten. Mit „Thymos“ hat Platon jenen Teil der menschlichen Seele genannt, der sich nach Anerkennung und Würde sehnt.

Francis Fukuyama beim Interview in Wien

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In seinem vor Kurzem auf Deutsch erschienenen Buch „Identität“ geht Fukuyama der Frage nach, wie der „Verlust der Würde unserer Demokratie gefährdet“. Die zentrale These darin: Oft sind es nicht ökonomische Motive, die Menschen handeln lassen, sondern die Sehnsucht nach Respekt und Würde. Diese Sehnsucht wird heute weltweit bedient, vor allem von Nationalisten und Populisten. Die liberalen Demokratien stehen deshalb fast überall unter dem Druck. Was Fukuyama davon hält, ist Donnerstagabend bei einer Veranstaltung der Erste Stiftung in Wien zu hören, vorab hat der Politologe ein Interview gegeben.

science.ORF.at: Wie oft, schätzen Sie, haben Sie das schon erklären müssen, dass das mit dem „Ende der Geschichte“ so nicht gemeint war?

Francis Fukuyama: (lacht) Das ist schwer zu sagen, aber es passiert seit 30 Jahren fast täglich, auch jetzt bei meinem Aufenthalt in Wien.

science.ORF.at: Apropos. Wie schätzen Sie die österreichische Regierung ein?

Fukuyama: Ich weiß darüber zu wenig und mag nicht die Politik eines Landes beurteilen, die ich zu wenig kenne. Im Prinzip finde ich die Regierung von (Bundeskanzler Sebastian, Anm.) Kurz interessant, weil er anders als etwa in Frankreich oder Deutschland bereit war, eine Koalition mit einer sehr weit rechts gerichteten Partei einzugehen. Man könnte argumentieren, dass das ein Weg sei, die extreme Rechte zu entschärfen. Es gibt dafür einige Vorläufer, etwa die Partei der Wahren Finnen in Finnland. Aber ob der Versuch gelingt und die extreme Rechte wirklich moderater wird oder ob im Gegenteil die konservative Partei radikaler wird – dieses Risiko besteht –, das wird man noch sehen.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 8.3., 12:00 Uhr.

Zu Ihrem Buch: Wie hängen Populismus und Identität zusammen?

Fukuyama: Das Einzige, was populistischen Parteien verbindet, ist die Frage der Migration. Viele meinen, dass Ausländer ihre nationale Identität bedrohen, und das öffnet die Debatte, was Identität sein sollte. Dieses Thema steht im Zentrum des Populismus. Es gibt ökonomische Faktoren, die ihn befeuern, das hat mit Globalisierung zu tun, mit Outsourcing und dem Anwachsen von Ungleichheit. Die Frage ist aber, warum das nicht sozialistische und kommunistische Parteien gestärkt hat, die üblicherweise Einkommen von den Armen zu den Reichen umverteilen. Warum profitiert der rechte Populismus derart? Der Grund hat meines Erachtens mit Identität zu tun. Den rechten Parteien ist es gelungen, den wirtschaftlichen Abstieg der Mittelklassen kulturell und nicht wirtschaftlich zu interpretieren. Sie haben dort politisch profitiert, wo die linken Parteien Schwächen haben. Linke Parteien haben ein Problem mit Identität, sie wollen nicht über „Nation“ sprechen. Sie sind internationaler und globaler, glauben an universelle Menschenrechte etc. Die Rechten sind da viel erfolgreicher, sie sagen: Die Linken kümmern sich nicht wirklich um euch, sondern um das, was in Afrika oder sonstwo geschieht.

Francis Fukuyama beim Interview in Wien

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Nach Lektüre Ihres Buchs entsteht der Eindruck, dass Sie eine gewisse Sehnsucht nach sozialdemokratischen Werten hegen. Stimmt das?

Fukuyama: Ja, ich denke, die Sozialdemokratie war historisch sehr wichtig, um Demokratie zu stabilisieren. Die Wahrheit ist: Ein Kapitalismus, der nicht begleitet wird von einem umverteilenden und regulierenden Staat, produziert immer mehr und mehr Ungleichheit, die irgendwann die Legitimität des Systems untergräbt. Erfolgreiche Demokratien sind Wohlfahrtsstaaten, die Leute mit Krankenversicherung, Pension und andere sozialen Maßnahmen schützen. In den 1980er Jahren wurden mit dem Erfolg von Liberalen wie (der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret, Anm.) Thatcher und (Ex-US-Präsident Ronald, Anm.) Reagan viele dieser Schutzmaßnahmen gekappt. Ehrlicherweise muss man ergänzen, dass viele Sozialdemokraten ihre eigene Politik untergraben haben, weil sie riesige Defizite aufgetürmt haben. Fakt ist aber, dass die Ungleichheit speziell in Großbritannien und den USA auf schockierende Weise gestiegen ist. Deshalb sollten wir wieder zu einer stärkeren Umverteilungspolitik zurückkehren. Ich bin allerdings besorgt, dass einige der US-Demokraten zu weit in die Richtung gehen – etwa Alexandria Ocasio-Cortez. Denn auch die Umverteilung muss nachhaltig sein und darf Anreize für Investitionen und Wachstum nicht unterminieren. Aber die Steuern für Reiche etwa könnten viel höher sein, als sie es heute sind.

Sie sind kein Fan des Green New Deal, wie er u. a. von Ocasio-Cortez propagiert wird?

Fukuyama: Die Details werden nicht funktionieren, so müsste etwa jeder Hauseigentümer innerhalb eines Jahrzehnts mehrere tausend Dollar investieren. Das ist politisch nicht realistisch.

Ist das eine Reaktion auf den rechten Populismus von Trump?

Fukuyama: Trump war sehr erfolgreich darin, jeden auf der linken Seite so zur verärgern, dass es jetzt einen Wettbewerb gibt, wer der beste Anti-Trump ist. Das ist im Übrigen Teil seiner Strategie. Er will, dass die Demokraten so weit nach links rücken, dass durchschnittliche Wähler sie nicht mehr unterstützen. Das ist eine Falle, die sie vermeiden sollten – ansonsten wird Trump wiedergewählt.

Francis Fukuyama beim Interview in Wien

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Das letzte Kapitel Ihres Buchs lautet „Was tun?“ – ich nehme an, in Anspielung auf Lenin …

Fukuyama: … ja, so ist es …

… was also sollen die USA und Europa heute tun?

Fukuyama: Ich plädiere in Europa für eine Art nationale Bekenntnisidentität. Das wäre für Rechte wie Linke eine Herausforderung. Rechte müssten ihre populistische Annahme beenden, dass Nationalität auf ethnischer Herkunft und traditionellen Werten beruht. Denn die europäische Gesellschaft ist zu divers, um so zu funktionieren. Auf der Linken gibt es keine Bereitschaft, den Bedarf von so etwas wie einer nationalen Identität überhaupt zu akzeptieren. Für sie löst schon der Begriff „Nation“ Erinnerungen an den Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts aus. Aus verständlichen Gründen ist man da dagegen, aber ich denke, man braucht eine nationale Identität, die auf universalen demokratischen Ideen basiert. Denn wir brauchen eine Grundlage, die ein Land zusammenhält.

Wie halten Sie es mit Grenzen?

Fukuyama: Wenn man offene Grenzen in Europa will, muss man die Außengrenzen schützen. Da hat die EU bisher versagt. Nachdem die Balkan-Route geschlossen wurde, sind die Leute über Griechenland und Italien nach Europa gekommen und haben sich an der Mittelmeer-Küste angehäuft. Es ist kein Wunder, dass das Ergebnis jemand wie Matteo Salvini ist, wenn die gesamte Last von den schwächeren Ländern getragen wird. Generell halte ich es für wichtig, Flüchtlinge aufzunehmen, reiche Länder haben eine Verpflichtung, sie zu retten. Aber es kann keine Einladung ohne Ende sein, das wäre politisch nicht nahhaltig. Jedes Land muss seine eigenen Wege finden, wie sie Flüchtlinge integrieren.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

Links:

Buch

Francis Fukuyama, „Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet“, Verlag Hoffmann und Campe 2019.

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