Die besten Demokratien der Welt

Was zeichnet eine gute Demokratie aus? Neun Jahre hat der Politikwissenschaftler David Campbell nach einer Antwort gesucht - nun präsentiert er das Ergebnis seiner Studien: eine Rangliste der besten Demokratien weltweit.

Norwegen ist laut Campbell die Vorzeigedemokratie Nummer eins, Österreich steht im internationalen Vergleich mit Rang zwölf nicht so schlecht da. Gleichwohl sieht der Forscher hierzulande einige Defizite. Er fordert eine Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler und Landeshauptleute. Denn: „Macht erzeugt eine Logik der Machterhaltung.“

science.ORF.at: Herr Campbell, kann man die Qualität einer Demokratie messen?

David Campbell: Das ist möglich, das Ergebnis ist natürlich modellabhängig. Der traditionelle Kanon, an dem sich Messungen von Demokratien orientieren, beinhaltet drei Dimensionen: nämlich Freiheit, Gleichheit und Kontrolle. In jüngerer Zeit ist noch die nachhaltige Entwicklung als Faktor hinzugekommen. Damit ist gemeint: Politische, ökonomische und ökologische Entwicklungen müssen in einer gewissen Balance stehen.

Zur Person

David F. J. Campbell lehrt und forscht u.a. an der Uni Wien, der Universität für Angewandte Kunst und der Donau-Uni Krems. Im Jahr 2014 habilitierte er sich mit einer 500 Seiten starken Analyse demokratischer und autoritärer Systeme.

„Es ist ein Weltmodell“, sagt der Politikwissenschaftler über seine Habilitationsschrift, die kürzlich in aktualisierter Fassung als Buch erscheinen ist: „Global Quality of Democracy as Innovation Enabler“

Sie haben in ihrer Habilitationsschrift 160 Staaten untersucht und eine Rangliste der Demokratiequalität erstellt. Welche Länder liegen an der Spitze?

Auf Platz eins liegt Norwegen, dann folgen Irland und Schweden. Unter den Top Ten befinden sich die nordischen Länder, die Schweiz, die Benelux-Staaten sowie Australien und Kanada. Österreich liegt hinter Deutschland auf Rang zwölf.

Was funktioniert in Österreich gut, was schlecht?

Was die Basics der Demokratie betrifft, schneidet Österreich in allen Belangen gut ab, der Wahlprozess ist gut aufgesetzt, der Rechtsstaat funktioniert etc. Problematisch finde ich zum Beispiel: Der Erhalt der Staatsbürgerschaft ist automatisch an die Staatbürgerschaft der Eltern gekoppelt, das ist der sogenannte Jus sanguinis. Es wäre notwendig, dass hier geborene Menschen auch automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten. Diesen Weg ist auch Deutschland gegangen. Und ich fände auch mehr direkte Demokratie wünschenswert. Wenn Petitionen mit einer Mindestzahl von Unterschriften automatisch zu einem Referendum führen würden – ich denke, das könnte zu einer großen Belebung führen. Verfassungsrecht und EU-Recht sollten allerdings so einem Petitionsautomatismus nicht unterliegen.

Balkendiagramm: Demokratien im weltweiten Vergleich

David Campbell

Demokratiequalität als Rangliste: Platz 1 - 20 (Norwegen bis Frankreich), sowie ausgewählte Großstaaten von hinteren Rängen

Was ist das Spezifikum der besonders gut entwickelten Demokratien?

Was zunächst auffällt: Es handelt sich fast nur um Kleinstaaten. Kanada und Australien sind zwar territorial sehr groß, aber nicht bevölkerungsmäßig. Warum vor allem Kleinstaaten? Weil sie, wenn sie sich gegenüber den Großstaaten und Giganten bewähren wollen, auf ein funktionierendes demokratisches System angewiesen sind. Sie sind im globalen Gefüge gewissermaßen verurteilt, hier eine gute Leistung zu bringen. Deutschland ist eine Ausnahme. Ich würde das so interpretieren: Dort hat nach 1945 ein Lernprozess stattgefunden - in Reflexion der tragischen Ereignisse der Diktatur des Nationalsozialismus.

Vielleicht sollte man spezifizieren: wohlhabende Kleinstaaten.

Die bisher Genannten sind allesamt OECD-Länder, also sozioökonomisch entwickelt, das stimmt. Dennoch bin ich der Meinung, dass Demokratien nicht unbedingt vom Wohlstand abhängig sind. Es ist nicht so, dass mit zunehmendem Einkommen auch die Einkommensgleichheit steigen würde - das Gegenteil ist der Fall. Nehmen wir die Mongolei als Beispiel einer demokratischen Erfolgsstory: Das Land ist bekanntlich eingebettet zwischen Russland und China und weder reich noch wohlhabend. Doch was die politische Freiheit betrifft, ist die Mongolei mittlerweile viel, viel weiter als China. Nach Einwohnern übrigens wieder ein Kleinstaat, die Mongolei hat drei Millionen Einwohner.

Lebenswerte Gesellschaften und krisenfeste Demokratien sind sicher von Bildung und Gesetzen abhängig, aber nicht nur: Letztlich geht es doch um eine Kultur des Miteinander, wie sie eben die nordischen Länder vorleben. Wie bekommt man das in die Köpfe der Menschen?

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Ein Spezifikum der nordischen Länder ist es, dass es dort relativ häufig Minderheitsregierungen gab und gibt. Dort sind Minderheitsregierungen kein Ausnahmezustand. Das heißt, die Opposition stimmt nicht automatisch gegen die Regierung, auch wenn sie die Mehrheit hat. Es geht darum, die Arbeit im Parlament sachpolitisch auszulegen. Und die Parlamentarier akzeptieren dort Entscheidungen des Rechtssystems – das ist auch eine Kulturfrage.

Bei uns hingegen war von einem Regierungsmitglied kürzlich der Satz zu hören: „Das Recht hat der Politik zu folgen.“ Was sagen Sie dazu?

Der Satz hat zu lauten: Die Politik findet immer auf einer Rechtsbasis statt.

Politikwissenschaftler David Campbell im Ö1-Studio

ORF/Czepel

David Campbell im Ö1-Studio

Kommen wir von Vorzeigedemokratien zum anderen Ende der Skala. Ich nenne fünf Namen: Orban, Erdogan, Trump, Putin, Bolsonaro. Sehen Sie da Gemeinsamkeiten, bildet sich gegenwärtig ein neuer, antidemokratischer Politikertypus?

Das Gemeinsame sehe ich in Begriffen wie Provokation, Populismus oder Rechtspopulismus. Diese fünf Namen zeigen jedenfalls, wie wichtig Kontrollen in demokratischen Systemen sind. Es braucht „Checks and Balances“, also Überprüfung und Ausgleich. Dazu ein berühmter Satz: Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut.

Wie lässt sich die Korrumpierung verhindern?

Das ist letztlich eine Frage des Rechtssystems, eine Verfassung sollte nicht mit einfachen Mehrheiten willkürlich verändert werden können. Und es ist auch wichtig, dass es eine Begrenzung von Amtszeiten in politischen Spitzenfunktionen gibt. Das ist zum Beispiel in den USA der Fall. Falls Trump wiedergewählt wird, hat er insgesamt acht Jahre, dann ist es vorbei. Das war nicht immer so: George Washington war der erste, der nach zwei Amtszeiten freiwillig auf eine dritte Kandidatur verzichtet hat. Im Gegensatz zu Roosevelt, der während seiner insgesamt vierten Amtsperiode - also als aktiver Präsident der USA - gestorben ist. Die Folge war, dass sich ein überparteilicher Konsens gebildet hat, so etwas in Zukunft nicht mehr zuzulassen. So wurde nach dem zweiten Weltkrieg die Amtsseitbegrenzung als Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung eingeführt.

In Österreich gibt es so etwas nur für den Präsidenten.

Genau. Kanzler, Kanzlerinnen und Landeshauptleute könnten hingegen unbegrenzt regieren. Das Argument lautet: So eine Begrenzung gilt nur für ein von der Bevölkerung gewähltes Mandat, also nicht für einen Kanzler, der einem Parlament Rechenschaft schuldig ist. Ich halte das für eine völlig falsche Begründung. In Indien gibt es beispielsweise sehr wohl eine Amtszeitbegrenzung für den Kanzler - und der wird auch nicht direkt gewählt.

Sie plädieren dafür, so eine Regelung auch hierzulande einzuführen?

Was Kanzler und Kanzlerin betrifft, auf jeden Fall. Und ich würde das auch auf Landeshauptleute ausdehnen. Österreich hat derzeit einen sehr jungen Bundeskanzler, es wäre durchaus denkbar, dass Kurz Jahrzehnte regieren könnte. Politiker sollten so eine Begrenzung auch als Selbstschutz sehen. Denken Sie etwa an Helmut Kohl: Er hat den Zeitpunkt des richtigen Abgangs versäumt - und das hat letztlich auch seinem Vermächtnis geschadet. Davon abgesehen: Amtszeitbegrenzung bedeutet ja nicht, dass man aus der Politik ausscheiden muss. Man muss sich eben ein anderes Amt suchen.

Im Gegensatz zu den USA wurde in Russland die bestehende Amtszeitbegrenzung vor ein paar Jahren aufgehoben. Wie auch immer man zu Putin stehen mag: Man kann einem Staat ja nicht verbieten, seine Regeln zu ändern.

Das stimmt grundsätzlich. Putins Argument war, dass sich die Beschränkung nur auf zwei direkt aufeinander folgende Amtsperioden bezieht. Das war - hart formuliert - ein ziviler Staatsstreich, weil dadurch ein Grundgedanke der russischen Verfassung verletzt wurde. Und was Erdogan in der Türkei betrifft: Man wird sehen, ob es dort nicht auch eine Verfassungsänderung geben wird. Derzeit gilt für den türkischen Präsidenten eine Beschränkung auf zwei Amtsperioden. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass Erdogan von sich aus auf eine dritte Periode verzichten wird. Es kommt gar nicht so sehr auf die Frage an, wie rechts oder links eine Person ist. Macht produziert eine eigene Logik der Machterhaltung - und das ist per se negativ behaftet. Zu lange Machtperioden behindern die Elastizität der Demokratie.

Kann man das auch empirisch festmachen?

Diese Frage wurde mehrfach politikwissenschaftlich untersucht. Bei den spanischen Sozialisten der 70er und 80er Jahre hat man zum Beispiel festgestellt: Je länger diese Partei an der Macht war, desto stärker verschob sich der Fokus von den politischen Inhalten zum Machterhalt.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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