Warum Löwen keine Könige sind

Die Mähne des Löwen sieht so flauschig aus, als sei sie echt - so realistisch ist die Neuverfilmung von Disneys “König der Löwen” animiert. Doch wie sieht es mit dem Verhalten der Tiere aus? Ein Gespräch mit dem amerikanischen Löwenforscher Craig Packer.

science.ORF.at: Als das Löwenkind Simba geboren wird, versammeln sich alle Tiere Afrikas, um es zu feiern. Schauen wirklich alle Tierarten so zu Löwen auf?

Craig Packer: Andere Tierarten haben keine Ehrfurcht gegenüber Löwen. Sie fürchten sich zu Tode vor ihnen. Der Löwe ist der dominante Fleischfresser. Wenn es irgendeinen Ort gibt, an dem es Essen gibt, werden die Löwen dort sein und den Platz als ihr Territorium beanspruchen. Sie sind definitiv ganz oben in der Futterkette und jagen selbst die Jungtiere der größten Tierarten. So schaffen sie eine Atmosphäre der Angst.

Löwenforscher Craig Packer

Craig Packer

Zur Person

Craig Packer erforscht seit mehr als 40 Jahren Löwen in Afrika. Er arbeitet als Professor an der Universität von Minnesota und leitet dort „The Lion Center“. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Ökologie, Evolution und Verhaltensbiologie.

Arbeiten Löwen denn manchmal mit anderen Tieren zusammen, so wie die Hyänen im Film angestiftet werden, den regierenden Löwen zu töten?

Nein. Wenn sich Hyänen versammeln, um einen Löwen zu töten, dann nur, weil er etwas wirklich Dummes getan hat, zum Beispiel wenn er rausgerannt ist und eine ganze Horde von Hyänen gejagt hat. Wobei Hyänen wenn eher Löwinnen töten und nicht Löwen.

Mit anderen Tieren machen sie also keine Deals, untereinander arbeiten Löwen aber schon zusammen. Wie kommt das? Katzen sind doch eher Einzelgänger.

Warum Löwen anders sind als alle anderen Katzen, hat mit den Weibchen zu tun. Die Löwinnen leben in einem Lebensraum, der einige wirklich kostbare Eigenschaften hat, die sie schützen müssen. Sie brauchen einen guten Platz, um Nahrung zu finden, um ihre Jungen zu schützen, und sie brauchen einen stetigen Zugang zu Wasser. Indem sie zusammenleben, können sie diese wichtigen Ressourcen kontrollieren.

Löwenweibchen und Hyänen: Film Still aus "König der Löwen"

The Walt Disney Company Germany

Die Herrscherinnen über das Land sind also die Löwinnen?

Absolut. Die Weibchen besitzen das Land. Ich denke, es ist nicht falsch, die Löwinnen Königinnen zu nennen und die Männchen Prinzgemahlen. Es sind aber keine individuellen Gefährten. In einem Löwenrudel gibt es viele Löwinnen und die Männchen begatten nahezu alle von ihnen. Im Auftrag der Weibchen verteidigen die das Territorium – wie ein Securityservice oder ein Escort-Service. Die Männchen kommen ins Rudel, sie gehen, und es sind die Weibchen, die bleiben.

Wie kommt es dann, dass im Film die Männchen die Anführer sind?

Der Fokus auf die Männchen ist, denke ich, beeinflusst von der westlichen Faszination für Löwen. Der männliche Löwe mit seiner Mähne sieht dem Menschen wesentlich ähnlicher als eine Löwin. Er steht wegen seiner Mähne für Heldentum, für etwas Majestätisches.

Wobei die Mähnen der Löwen im Film nicht ganz passend sind, richtig?

Wenn ein Männchen in sehr guter Form ist, wächst seine Mähne schwarz. Ist es krank und schwach, kann es das schwarze Pigment nicht produzieren. Die blonden Männchen haben nicht dieselbe Kraft wie die Männchen mit den schwarzen Mähnen. Die Filmemacher benutzen die Farben in der üblichen westlichen Art. Sie haben Scar die schwarze Mähne gegeben, weil er der Böse ist, aber in Realität ist ein schwarzhaariger Löwe ein anerkanntes Männchen.

Verstehen die Zuschauer denn, was am Film real ist und was nicht?

Ich bin überrascht, wie oft mich Leute fragen, ob Löwen wirklich so sind. Warum erwartet man Biologieunterricht in einem Disneyfilm? Es ist ein Cartoon, nur eine Geschichte. Die Tiere können sprechen, die Raubtiere ziehen mit ihrer Beute umher. Das ist Fantasie und das ist ok. Es geht inhaltlich darum, etwas an die nächste Generation weiterzugeben. Das betrifft uns alle. Wir haben die Verpflichtung, alle Arten mit Respekt zu behandeln. Es ist allerdings fast ironisch, als Sinnbild dafür einen Löwen zu benutzen, der die meisten Arten als Abendessen sieht.

Löwe und Jungtier: Film Still aus "König der Löwen"

The Walt Disney Company Germany

Im Film wollte der Löwe Scar sogar seinen Bruder Mufasa umbringen, um das Rudel anzuführen. Wie viel Konkurrenz gibt es innerhalb eines Rudels?

Ein Löwenrudel ist kein kleines Dorf, es ist eine Familie. Alle Löwinnen im Rudel sind näher verwandt. Die Männchen konkurrieren um bestimmte Weibchen, wenn deren Brunstzeit beginnt. Wenn ein Weibchen brünstig ist, wird es einen geben, der mit ihr für ungefähr vier Tage verkehrt. Dann wird er der Vater von allen Babys dieses Wurfs. Wenn zwei Männchen auf ein Weibchen stoßen, das brünstig sein könnte, wird zwischen ihnen ein Gerangel geben. Sie kämpfen miteinander, aber versuchen nicht, sich umzubringen.

Wie gehen die Weibchen miteinander um?

Sie sind ein Kollektiv. Es gibt keine Hierarchie, kein dominantes Weibchen. Jedes Weibchen hat in ihrem Leben so viele Junge wie jedes andere Weibchen. Und sie passen aufeinander auf, pflegen sogar gegenseitig die Babys. Es ist also ein sehr kooperatives System. Das heißt nicht, dass es immer harmonisch ist. Wenn ein Weibchen eine Gazelle fängt und es nicht genug ist für das gesamte Rudel, dann rangeln sie darum, aber sie versuchen nicht sich gegenseitig zu verletzen. Löwen sind ein wundervolles und seltenes Beispiel für eine egalitäre Gesellschaft.

Wenn fremde Löwen auf ein Rudel treffen, ist das weniger friedlich, oder?

Ja, wenn andere Löwen ein Rudel mit kleinen Babys finden, und keine Männchen, die die Jungen verteidigen, dann bringen sie die Babys um, weil sie sie durch ihre eigenen biologischen Kinder ersetzen möchten.

Wenn ein Rudel von einer neuen Löwengruppe übernommen wird, endet das also in Flucht oder Tod?

Ja, das ist richtig. Manchmal ist die größere Gruppe zufrieden, wenn die kleinere Gruppe einfach wegläuft. Aber wenn sie einem Mitglied aus einem Nachbarrudel begegnen und das Verhältnis zum Beispiel 3:1 ist, dann kreisen sie den Löwen ein und versuchen ihn zu töten. Wobei es meistens reicht, wenn sie ihn zum Krüppel machen. Aber ja, das ist sehr grausam, sehr gewaltsam.

Löwenweibchen und Löwenmännchenn: Film Still aus "König der Löwen"

The Walt Disney Company Germany

Macht es für Simba Sinn, in das Rudel zurückzukehren, in dem er geboren ist?

In der echten Welt wäre Simba nicht zurückgekommen, wenn er ein anderes Rudel hätte übernehmen können. Löwen passen sehr stark auf, sich nicht mit ihren nahen Verwandten zu vermehren. Ich habe Tiere beobachtet, die ihr zuhause verlassen haben und dann sehr aufgeregt waren, als sie mit Löwinnen interagieren konnten, die nicht ihre Mutter oder ihre Schwester waren. Es ist sexuell erregend für sie, wenn sie in ein neues Rudel gehen. Aber angenommen, ihre Familie wäre das letzte Löwenrudel auf der ganzen Welt – und in manchen Regionen mag das sogar der Fall sein – dann haben die jungen Löwen keine andere Wahl als zurückzukommen. Das kann also passieren, aber nur, wenn es keine andere Wahl gibt.

Hätte Simba sich denn weiter von Insekten ernähren können?

Nein. Menschen können Käfer essen, aber für ein Tier so groß wie ein Löwe, ist es nichts. Nahezu alle Säugetiere, deren Gewicht weniger als 20 Kilogramm ist, können sehr gut von kleiner Nahrung wie Insekten leben. Wenn eine Art aber mehr als 20 Kilogramm wiegt, muss sie anfangen, größere Dinge zu essen. Das größte Tier, dass sich nur von Insekten ernährt, ist der Armeisenbär. Er hat eine Zunge, mit der er 400 Ameisen auf einmal fangen kann. Simba hat aber keine lange, klebrige Zunge, nicht wahr?

Gibt es irgendetwas, das in der Neuverfilmung realistisch ist?

Die Art, wie sich die Tiere bewegen, die Animation, erscheint sehr realistisch. Und dass sie ihre Köpfe aneinander reiben, um Zuneigung zu zeigen, passiert so auch in der Natur.

Interview: Marie Eickhoff, science.ORF.at

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