Wo der (un)freie Wille im Hirn sitzt

Fremdgesteuert und ausgeliefert, so fühlen sich Menschen, die am „Alien-Hand-Syndrom“ leiden. US-Forscher haben die Ursache dieser seltsamen Empfindung lokalisiert - und schließen daraus: Hier entsteht der menschliche Wille.

Gerade noch hat uns die Neurobiologie erklärt, der freie Wille sei eine Illusion, und jetzt erfahren wir, wo der Willensakt entsteht. Was nun? Die bis heute andauernde Debatte angestoßen hat einst der US-amerikanische Neurobiologe Benjamin Libet. Er wies nach, dass dem Willensakt immer eine Erregungswelle im Gehirn vorangeht, das sogenannte Bereitschaftspotenzial.

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Benjamin Libet hat seine Argumente zusammengefasst in: „Mind time: Wie das Gehirn Bewusstsein produziert“ (Suhrkamp).

Erstmals beschrieben wurde das Bereitschaftspotenzial von den beiden Neurologen Hans Kornhuber und Lüder Deecke. Ihre Ansichten über den freien Willen sind nachzulesen in: „The Will and its Brain: An Appraisal of Reasoned Free Will“ (University Press of America).

Und weil dieses Signal vom bewussten Ich nicht registriert wird, schlossen manche seiner Kollegen: Der Wille ist determiniert, also unfrei. Libet indes blieb vorsichtig - und erachtete die Willensfreiheit keineswegs als widerlegt.

Krankheitsbild: „Alien-Hand“

Auf dieses heikle Terrain will sich Ryan Darby nicht begeben. Der Neurobiologe von der Vanderbilt University geht die Frage rein empirisch an. Ausgangspunkt seiner Experimente waren Patienten mit zwei sonderbaren Störungen der Selbstwahrnehmung. Menschen, die am „akinetischen Mutismus“ leiden, sind antriebslos, sprechen und bewegen sich nicht, obwohl sie keinerlei Lähmungen haben. Am „Alien-Hand-Syndrom“ Erkrankte haben wiederum das Gefühl, ihre Hände würden von jemand anderem gesteuert. So, als wären sie nur Beifahrer im eigenen Körper.

Regionen im menschlichen Gehirn, die mit Störungen des Willens einhergehen

PNAS

Fremdgesteuert und antriebslos: Hirnbilder zeigen die Ursachen

Die Ursachen für beide Symptome hat Darby nun im Gehirn lokalisiert: „Unser Ansatz widerlegt die Ansicht, dass die Ursachen nur in einer Gehirnregion liegen würden. Sie liegen vielmehr in miteinander verbundenen Netzwerken.“ Wie Darby und sein Team im Fachblatt „PNAS“ schreiben, bestehen diese Netzwerke aus Nervengeflechten rund um zwei wohlbekannte Hirnregionen: die hintere Gürtelwindung, ein Teil des limbischen Systems, sowie der Precuneus, gelegen im hinteren Teil der Hirnrinde.

Experiment: Magnet macht willensschwach

Mit diesem Befund ausgestattet versuchten die US-Forscher die Probe aufs Exempel. Als sie die neuronalen Netzwerke von gesunden Freiwilligen mit magnetischen Pulsen aus dem Takt brachten, berichteten diese von seltsamen Empfindungen: Ihr Wille schien sich plötzlich aufzulösen, ähnlich wie bei den Erkrankten. Darby glaubt, dass auch der gegenteilige Effekt möglich ist. „Wir hoffen, dass man diese Netzwerke therapeutisch nutzen kann“, sagt der Neurowissenschaftler im ORF-Interview.

Über die Freiheit des Willens äußern sich die US-Forscher in ihrer Studie nur am Rande. Immerhin deuten sie eine salomonische Lösung an, die da lautet: Wenn man sich nicht einigen kann, was Freiheit bedeutet, bleibt der Verweis auf die Wahrnehmung. Die ist im Grunde recht simpel: Wer sich als Urheber der eigenen Handlungen empfindet, fühlt sich zumindest frei. Das ist experimentell überprüfbar - und möglicherweise bald Ansatzstelle für neue Behandlungen.

Robert Czepel , science.ORF.at

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