Die Sonne scheint hinter Wolken hervor
Prazis Images – stock.adobe.com
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Geoengineering

Klare Rahmenbedingungen gefordert

Geoengineering gehört zu den umstrittensten Ideen im Umgang mit der Klimaerhitzung. Die Auswirkungen wären unabsehbar, würde man etwa die Sonneneinstrahlung durch winzige Teilchen in der Atmosphäre verringern, so die Kritik. Genau deswegen müsse man forschen und experimentieren – mit klaren Rahmenbedingungen, was Zulassung und Anwendung betrifft, sagt der in Harvard tätige Chemiker Frank Keutsch im Interview mit science.ORF.at.

Keutsch gehört zu den international anerkanntesten Experten in diesem Bereich. Er hält es angesichts der steigenden Temperaturen für „realistisch“, dass die Verringerung der Sonneneinstrahlung nötig sein werde, auch wenn er sich das nicht wünsche. Sein Teilchenexperiment in der Stratosphäre wurde kürzlich endgültig abgesagt. science.ORF.at hat er ein ausführliches Interview gegeben.

Sie haben bis vor kurzem das „Stratospheric Controlled Perturbation Experiment“ geleitet. Es hat für viel Aufregung gesorgt, weil Sie Aerosole, also winzig kleine Teilchen, in die Stratosphäre der Erde bringen wollten. Sie könnten in weiterer Folge dazu verwendet werden, um die Sonneneinstrahlung auf die Erde zu verringern. Worum sollte es bei diesem Experiment genau gehen?

Frank Keutsch: Wir wollten verstehen, wie sich Teilchen verteilen, die man mit Flugzeugen in der Stratosphäre ausbringt. Wie entwickelt sich diese Teilchenfahne über die ersten Kilometer und dann weiter über eine weitere Distanz? Die Klimamodelle, die benutzt werden, um den Effekt dieser Teilcheninjektion in der Stratosphäre zu untersuchen, sind sehr grob. Sie haben eine Auflösung von ungefähr 100 Kilometern. Deshalb können Prozesse, die sich in kleineren Dimensionen abspielen wie eben die Ausbreitung dieser injizierten Aerosole, nicht in der nötigen Genauigkeit dargestellt werden.

Nun wurde das Experiment gestoppt bzw. abgesagt – warum? Gab es Sicherheitsbedenken?

Nein, die Absage hat nichts mit Sicherheitsbedenken zu tun. Ein Projekt in der Größenordnung, wie wir es konzipiert hatten, hätte keine Nebenwirkungen, weder in der Atmosphäre noch an der Erdoberfläche noch auf Ökosysteme. Die Menge an Teilchen, die wir injizieren wollten und hinsichtlich ihrer Verteilung beobachten wollten, entspricht ungefähr der, die ein Jet in einer Minute produziert. Das ist eine vernachlässigbare Menge, die keine Gefahr darstellt.

Trotzdem gab es laute Kritik am Vorhaben – Sicherheitsbedenken waren da ebenso zu hören wie der Vorwurf, Sie würden durch Ihre Forschung von der Hauptaufgabe im Klimaschutz, der Emissionsreduktion, ablenken.

Es wird immer klarer, dass wir die Emissionen viel zu langsam reduzieren, um die Ziele der Pariser Klimakonferenz zu erreichen und die Erwärmung auf 1,5 bzw. zwei Grad Celsius zu beschränken. Das wird tiefgreifende Herausforderungen mit sich bringen. Der Druck der Bevölkerung auf die Entscheidungsträger wird steigen, konkrete und schnell wirksame Maßnahmen zur Linderung der Auswirkungen zu ergreifen. Das Problem ist, dass es dafür kaum Optionen gibt, außer der Modifikation der Sonneneinstrahlung.

Der deutsche Chemiker Frank Keutsch
Eliza Grinnell
Der Chemiker Frank Keutsch von der Harvard University fordert mehr Forschung und Diskussion über Geoengineering

Gleichzeitig ist das ein höchst umstrittenes Thema, Sie selbst sehen „Solar Radiation Modification“ bzw. Geoengineering auch sehr kritisch – warum forschen Sie trotzdem daran?

Das ist eine gute Frage. Es ist völlig klar, dass Geoengineering bzw. die Reduktion der Sonneneinstrahlung bestenfalls Symptome bekämpft. Und wir müssen die Ursache bekämpfen, also die Emissionen von Treibhausgasen reduzieren. Als ich mit meiner Forschung angefangen habe, habe ich gedacht, dass das wirklich ein Randthema ist. Inzwischen glaube ich, dass die Wahrscheinlichkeit steigt – leider. Forschung braucht Zeit. Das heißt, wenn wir die Risiken und die Effektivität verschiedener Ansätze der Modifikation erforschen wollen, dann müssen wir das jetzt tun.

Für wie realistisch halten Sie es, dass Geoengineering in den nächsten Jahren, zum Beispiel bis 2050, eingesetzt wird?

Ich halte es inzwischen für nicht mehr ausgeschlossen, dass bis 2050 Maßnahmen in diese Richtung ergriffen werden. Und das ist ehrlich gesagt erschreckend. Ich vergleiche diese Methoden des Geoengineering gerne mit starken Schmerzmitteln, Opiaten etwa. Es gibt Situationen, da ist es nötig, sie zu nehmen, weil es nicht anders geht. Gleichzeitig braucht man aber meist noch einen stärkeren Eingriff, eine Operation zum Beispiel. Bei der Modifikation der Sonnenstrahlung ist es ähnlich. Sie kann die Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, nicht ersetzen, nur kurzfristig die Schmerzen lindern.

Starke Schmerzmittel haben ja immer auch Nebenwirkungen…

Und so ist es auch bei der Modifikation der Sonneneinstrahlung. Das ist eine Methode, die Risiken haben wird. Das stellt eine große Herausforderung dar. Das zweite ist: Man könnte auch davon abhängig werden, ähnlich wie von Opiaten. Etwa dass man immer mehr Teilchen in der Atmosphäre ausbringt, weil man die Emissionen nicht ausreichend reduziert. Und es kann auch Entzugssymptome geben, im Geoengineering nennt man das „Terminationsschock“. Das heißt: Wenn man diese Maßnahme zur Reduktion der Sonneneinstrahlung plötzlich abbricht, dann würde man innerhalb von ein bis zwei Jahren zu einem Klima zurückkehren, als hätte man das nie gemacht. Man hätte dann eine viel schnellere Veränderung des Klimas innerhalb weniger Jahre, die Temperaturen würden abrupt steigen.

Was bedeutet das für die weitere Forschung, wie werden Sie weiterforschen?

Ich forsche derzeit an Alternativen zu Partikeln auf Schwefelbasis, die fürs „Solar Radiation Management“ bisher meist in Betracht gezogen wurden. Sie können starke „Nebenwirkungen“ haben, indem sie die Erde zwar abkühlen, aber die Stratosphäre aufheizen. Die Stratosphäre ist ein Fluid, eine Flüssigkeit, und wenn man sie aufheizen würde, würde sie beginnen, sich anders zu bewegen. Das wiederum könnte weitreichende Auswirkungen auf die Troposphäre haben, in der wir leben, und auch auf die Ozeane. Wenn man die Stratosphärendynamik verändert, dreht man an einer Schraube, die sehr komplex ist und die wir meiner Meinung nach nicht besonders gut verstehen. Ich suche nach Materialien, die weniger Risiken und Nebenwirkungen haben.

Was ist denn Ihr Vorschlag, wie man mit der Debatte über Geoengineering weiter umgehen sollte?

Sie sollte vor allem mal geführt werden. Es reicht aus meiner Sicht nicht, immer nur zu sagen, dass sie von der Reduktion der Treibhausgase ablenkt. Diese Reduktion ist zweifellos nötig und muss schneller gehen. Aber wie bei Schmerzmitteln brauchen wir auch beim Geoengineering klare Rahmenbedingen, was Zulassung und Anwendung betrifft. Wer darf diese Methoden entwickeln, wer entscheidet über ihren Einsatz? Was wollen wir damit erreichen und wie lange dürfen sie angewendet werden? Das sollten wir international und gesamtgesellschaftlich diskutieren, in einem kontrollierten und transparenten Prozess.