Wettbewerbsentwurf von Joseph Perthen und Michael Dobril für ein Kaiser Franz Joseph-Denkmal am Altan der Neuen Burg, 1936
Fotograf:in unbekannt /Österreichisches Staatsarchiv
Fotograf:in unbekannt /Österreichisches Staatsarchiv
Hakenkreuz statt Habsburg

Tauziehen um die Neue Burg

Heute befinden sich im jüngsten Bauteil der Hofburg unter anderem die Nationalbibliothek und das Haus der Geschichte (hdgö). Noch unfertig am Ende der Monarchie, war die Neue Burg jahrelang heiß umkämpft, wie eine neue Webausstellung des hdgö beleuchtet. Vor allem die Nationalsozialisten nutzten die wirkungsvolle Kulisse für ihre Inszenierungen, wie Kuratorin Anna Stuhlpfarrer in einem Gastbeitrag ausführt.

Ein riesiger innerstädtischer Bau, außen vollendet, innen jedoch über weite Bereiche noch mit unverputzten Wänden und Decken, ohne feste Böden und Türen, zudem auch ohne Zweckbestimmung. Wir schreiben das Jahr 1918, am 11. November verzichtete Kaiser Karl auf seinen Anteil an den Staatsgeschäften und tags darauf beschloss die Provisorische Nationalversammlung die Ausrufung der Republik. Bei dem beschriebenen Gebäude handelt es sich um die Wiener Hofburg, konkret um Teile der sogenannten Neuen Burg, den jüngsten Erweiterungsbau der jahrhundertealten Kaiserresidenz.

Über die Autorin

Anna Stuhlpfarrer ist Kunst- und Architekturhistorikerin und freie Kuratorin. Sie arbeitet derzeit an den ÖAW-Forschungsprojekten „Invisible Agents. Ministries and Architecture“ und „Der Dom der Republik“.

Der zwischen Heldenplatz und Burggarten liegende Bau wurde im Jahr 1881 als Teil des bekannten, nie vollendeten Wiener Kaiserforums von Gottfried Semper und Carl Hasenauer begonnen und sollte ursprünglich kaiserliche Appartements und kleinere Festräume beherbergen. Doch schon während des Planungsstadiums hatte sich das Ausbauprojekt für eine ideale Residenz überlebt, jeder Wechsel des Burgbauarchitekten führte zu einer weiteren Reduzierung, bis es während des Ersten Weltkriegs zu einem fast vollständigen Stillstand der Bautätigkeit kam.

Die unvollendete Residenz

Der für Wohnzwecke konzipierte Bauteil gegen die Ringstraße, das Corps de logis, wurde bereits im beginnenden 20. Jahrhundert als Museum umgewidmet und fertig ausgebaut. Neben der Weltreisesammlung und der Estensischen Sammlung Franz Ferdinands war hier unter anderem die Familien-Fideikommissbibliothek untergebracht. Ganz anders präsentierte sich der anschließende Mitteltrakt der Neuen Burg mit seiner heldenplatzseitig eingeschwungenen Fassade und den über zwei Geschoße reichenden Kolonnaden.

Veranstaltungshinweis

Webausstellung „Hakenkreuz statt Habsburg: Tauziehen um die Neue Burg“, Haus der Geschichte Österreich, ab 28. Februar 2024

Zahlreiche Räume, die heute Teile der Nationalbibliothek mit dem Haus der Geschichte Österreich und verschiedene Sammlungen des Kunsthistorischen Museums beherbergen, befanden sich am Ende der Monarchie innen noch im Rohbau. Die vorerst ungeklärten Eigentumsverhältnisse der hofärarischen Gebäude nach 1918 und dadurch ausstehende, dringend notwendige politische und juristische Weichenstellungen, aber auch steigende Lohn- und Materialkosten aufgrund der Inflation verzögerten zudem auch in den beginnenden 1920er-Jahren die wenigstens behelfsmäßige Fertigstellung dieses Hofburgtrakts.

Luftaufnahme der Neuen Burg aus dem Jahr 1958. Bezeichnung der einzelnen Trakte für die Webausstellung des Hauses der Geschichte Österreich.
Fotograf:in unbekannt, Markierungen: Lorenz Paulus/ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung
Luftaufnahme der Hofburg mit Traktbezeichnungen

Museum, Hotel oder Dachheuriger

Die Planungs-, Bau- und Funktionsgeschichte des weitläufigen Hofburgareals, das sich vom Michaelerplatz bis zum Museumsquartier, den ehemaligen Hofstallungen, erstreckt, wurde vor einigen Jahren im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufgearbeitet. Eine vom Haus der Geschichte Österreich präsentierte Webausstellung widmet sich nun erstmals detailliert der Nutzungsgeschichte des Mitteltrakts der Neuen Burg, in dem das Zeitgeschichtemuseum seit fünf Jahren seinen Standort hat.

Bereits wenige Tage nach dem Ende der Monarchie hatten Diskussionen über die künftige Verwendung der leerstehende Raumfluchten eingesetzt. Zu den ersten Bewerbern zählten mit dem Kunst- und Naturhistorischen Museum und der Nationalbibliothek die seit Jahren mit extremer Raumnot kämpfenden Anrainerinstitutionen. Interesse bekundeten aber auch die Gemeinde Wien, nationale und internationale Unternehmen sowie Privatpersonen. Die Pläne reichten dabei von einem Hotel, über ein Kasino, Restaurants, ein Kino bis zu einem Dachheurigen.

Projekt zur Umgestaltung des Mitteltrakts der Neuen Burg in ein Hotel aus dem Jahr 1921. Der Planausschnitt zeigt die Zimmer im 1. Stock mit Blick in den Burggarten.
Entwurf: Ludwig Baumann/Österreichisches Staatsarchiv
Hotelplan (Ausschnitt)

Im November 1921, also erst drei Jahre nach Gründung der Republik, fand die Übergabe der bisher unter hofärarischer Verwaltung stehenden Hofburg an das Bundesministerium für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten statt. Erst jetzt konnte der Staat konkrete Entscheidungen über die zukünftige Nutzung des Gebäudekomplexes treffen. Trotzdem dauerte es nochmals drei Jahre, bis die Neue Burg schließlich 1924 per Ministerratsbeschluss ihre noch heute gültige Bestimmung als Museums- und Bibliotheksbau erfuhr. Doch damit hatte das Tauziehen um die begehrten Räume in bester innerstädtischer Lage erst so richtig begonnen…

Projektionsfläche und Stätte politischer Legitimation

Als ehemalige Kaiserresidenz diente die Hofburg sowohl der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur als auch den nationalsozialistischen Machthabern als Stätte der politischen Legitimation. Die Neue Burg als Teil eines über Jahrhunderte gewachsenen Gebäudekomplexes sowie der Heldenplatz als großer innerstädtischer Freiraum wurden in beiden Regimen bewusst als Schauplatz repräsentativer Staatsöffentlichkeit instrumentalisiert.

Aufnahme zweier NS-Gedenktafeln an die „Anschluss“-Rede Adolf Hitlers am Altan der Neuen Burg, 1940er Jahre.
Foto: Bruno Reiffenstein/ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung
Aufnahme zweier NS-Gedenktafeln an die „Anschluss“-Rede Adolf Hitlers am Altan der Neuen Burg, 1940er

Ab 1934 setzte eine gezielt gesteuerte Medienkampagne ein, um das Heeresmuseum vom Arsenal in die Neue Burg zu verlegen. Den Planungen für ein Weltkriegsmuseum im 1. Stock setzte erst der „Anschluss“ im März 1938 ein Ende. Ebenfalls in die Jahre der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur fallen die drei Wettbewerbe für ein Kaiser Franz Joseph-Denkmal mit dem Altan der Neuen Burg als einem möglichen Standort für die Kaiserstatue. Es ist dies als bewusster Rückgriff auf die „glorreichen Zeiten“ (Habsburger-Mythos) und eine Verortung in der Geschichte zur Schaffung einer eigenen, österreichischen Identität zu sehen.

Das Foto mit der Gedenkplatte an die „Anschluss“-Rede Adolf Hitlers am Boden des Altans entstand anlässlich der deutschen Schachmeisterschaften in der Wiener Hofburg im Jahr 1943.
Foto: Lothar Rübelt/ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung
Das Foto mit der Gedenkplatte an die „Anschluss“-Rede Adolf Hitlers am Boden des Altans entstand anlässlich der deutschen Schachmeisterschaften in der Wiener Hofburg im Jahr 1943

Noch stärker als in den Jahren 1933/34–1938 kam es während der NS-Herrschaft zu einer Aneignung der Hofburg zur Legitimierung der politischen Macht. Nicht zufällig hielt Adolf Hitler am 15. März 1938 seine „Anschluss“-Rede vom Altan der Neuen Burg. Die Webausstellung gibt zudem Einblick in die unterschiedlichen Nutzungen und Einschreibungen während der NS-Zeit, die maßgeblich für die weitere Zukunft des jüngsten Hofburgtraktes waren und bis heute ihre Spuren hinterlassen haben.

Facettenreiche Genese

Die vielfältige und wechselvolle Geschichte der Neuen Burg, die sowohl als Privatatelier der jungen Architektin Margarete Lihotzky, als Messestandort aber auch als Sitz des NS-Raubkunstdepots gedient hatte, setzte sich auch nach 1945 fort. Bis zur tatsächlichen Nutzung als reiner Museums- und Bibliothekscluster, wie im Jahr 1924 beschlossen, sollte es aber noch einmal über zwei Jahrzehnte dauern.

Die in 16 Kapitel gegliederte Webausstellung taucht tief in die Geschichte des bis heute politisch konnotierten Baus ein und spiegelt dessen facettenreiche Genese anhand von umfassendem Bildmaterial wider.