Ein Bub schaut gelangweilt, weil er ein Buch lesen muss
triocean – stock.adobe.com
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Lesekompetenz

Buben leiden unter Klischee

Buben lesen schlechter als Mädchen, das zeigen Tests immer wieder. Laut einer aktuellen Studie könnten dabei Geschlechterklischees eine entscheidende Rolle spielen: Sie demotivieren Buben und verschlechtern ihre Leseleistung.

In der Schule lernt man nicht nur Rechnen, Lesen und Schreiben, man erfährt auch sukzessive, wo man im Vergleich mit anderen besser und schlechter ist und was andere über einen denken bzw. von einem erwarten. Zahlreiche Studien haben bereits gezeigt, wie sich hier Geschlechterklischees, mit denen die Kinder konfrontiert werden, auf deren Selbstverständnis und Lernerfolg auswirken können. Vor allem mit dem Vorurteil „Mädchen sind in Mathematik schlechter als Buben“ beschäftigten sich bereits viele Forscher und Forscherinnen. Obwohl Mädchen oft ähnlich gut rechnen können wie Buben, lassen sich einige mathematisch Begabte durch die Stereotype abschrecken.

Studie

Beware of Stereotypes: Are Classmates’ Stereotypes Associated With Students’ Reading Outcomes?, Child Development, 26.2.2020

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 26.2., 13:55 Uhr.

In einer aktuellen Studie haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Universität Hamburg nun mit dem Klischee „Buben können nicht so gut lesen wie Mädchen“ auseinandergesetzt. Seit Jahren ergibt der PISA-Test in fast allen Ländern, dass Mädchen gelesene Texte besser verstehen als Buben. Um herauszufinden, woran das liegen könnte, haben die Forscher nun Daten und Fragebögen von gut 1.500 Schülern und Schülerinnen aus 60 Schulklassen in Deutschland ausgewertet.

Je mehr Vorurteile, desto schlechter die Leistung

Sie fragten nicht nur, wie die Kinder ihre eigene Lesekompetenz einschätzen, sie klärten auch ab, ob die Kinder denken, dass Mädchen oder Buben besser lesen, mehr lesen und mehr Spaß haben am Lesen. Wie beim PISA-Test schnitten auch in dieser Studie die Buben bei den Leseverständnistests schlechter ab als ihre Schulkolleginnen. Erstaunlich ist aber: Vor allem in Klassen, wo das Geschlechterklischee weit verbreitet war und viele Kinder davon überzeugt waren, dass Mädchen besser lesen, schnitten Buben deutlich schlechter ab als in Klassen, wo das Klischee weniger dominant war. Darüber hinaus wollten sie auch weniger gern lesen und schätzten sich selbst schlechter im Lesen ein, je stärker das Vorurteil in der Klasse vertreten wurde.

Ein Bub liest ein Buch
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Klassenkameraden können also – bewusst oder unbewusst – ein Klima schaffen, in dem bestimmte Verhaltensweisen, Vorlieben oder auch Talente als typisch männlich oder weiblich angesehen werden, erläutert die Studienautorin Francesca Muntoni von der Universität Hamburg gegenüber science.ORF.at. „Das mehr oder weniger geschlechtstypische Verhalten der Schülerinnen und Schüler kann die Reaktionen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler entweder verstärken oder bestrafen.“ So erfahren Buben unter Umständen andere Reaktionen, wenn sie mit ihren Freunden über ein Buch sprechen wollen als Mädchen.

Erziehung ohne Stereotype

Die Psychologin appelliert vor allem an Lehrer und Lehrerinnen, auf ein Klassenklima zu achten, das frei von Geschlechterstereotypen ist. „Das bedeutet, sie müssen lernen, mit Heterogenität umzugehen – und das am besten schon in der Ausbildung.“ Das gilt auch für Eltern. Auch sie sollten auf die persönlichen Stärken der Kinder achten und möglichst geschlechtsneutral mit ihnen umzugehen, so Muntoni. „Stereotype zu ändern ist nicht leicht. Es ist auch ein normaler Informationsverarbeitungs-Prozess, der uns entlastet, da wir Dinge schneller einordnen und beurteilen können. Entscheidend ist allerdings, wie wir mit solchen Stereotypen umgehen“, ergänzt Co-Autor Jan Retelsdorf.

Die Forscher betonen, dass es sich hier nur um eine Korrelationsstudie handelt. Hier können Forscher Zusammenhänge beschreiben, dass Buben nur aufgrund des Klassenklimas weniger gern und schlechter lesen, ist damit aber nicht bewiesen.