Arzt und Patient im Gespräch
©goodluz – stock.adobe.com
©goodluz – stock.adobe.com
Seltene Krankheiten

Medizin sucht „verlorene Generation“

Phenylketonurie ist eine seltene Stoffwechselkrankheit. Wer daran leidet, muss lebenslang strenge Diät halten. Doch nicht alle heute erwachsenen Patienten wissen das. Ein neues Projekt der MedUni Wien will jetzt nach dieser „verlorenen Generation“ suchen.

Bei vielen Erkrankungen haben sich die Behandlungsrichtlinien in den vergangen 50 Jahren stark verändert, so auch bei der Phenylketonurie, kurz PKU. Betroffene dieser seltenen Stoffwechselerkrankung sollen möglichst wenig Phenylalanin zu sich nehmen. Denn sie können diese Aminosäure, die in besonders großen Mengen in eiweißhaltigen Nahrungsmitteln vorkommt, nicht abbauen. Sie reichert sich im Körper an und führt zu schweren neuronalen Entwicklungsstörungen. Deswegen müssen die Betroffenen eine strenge Diät einhalten, ohne jegliches Eiweiß. Und sie müssen andere Aminosäuren medikamentös zuführen.

Lebenslange Diät und Therapie notwendig

Heute weiß man, dass diese Diät und Therapie lebenslang einzuhalten sind. Wird die Behandlung unmittelbar nach der Geburt begonnen, ist eine normale Entwicklung möglich. Es kommt dann nicht zu Symptomen wie motorischen Störungen, Epilepsie, einer Beeinträchtigung bei Gehirnentwicklung oder Apathie. Doch diese Behandlungsrichtlinien gebe es erst seit einigen Jahren, sagt Miriam Hufgard-Leitner von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der Medizinischen Universität Wien.

Sie ist an dem Projekt „Back to clinic“ beteiligt, das eben nach jenen Menschen mit PKU sucht, die heute erwachsen sind und vor Jahrzehnten als „gesund“ aus der Behandlung entlassen wurden. „Vor rund 50 Jahren ging die Medizin noch davon aus, dass man die Diät nur bis zum Abschluss der Gehirnentwicklung einhalten müsse“, so Hufgard-Leitner. Erst empfahl man die Diät bis zum sechsten Lebensjahr, dann bis zum zwölften, später bis zum 18. Geburtstag. „Heute wissen wir, dass die Diät lebenslang strikt einzuhalten ist“, so Hufgard-Leitner weiter.

Zurück in die Betreuung führen

Betroffene, die als Erwachsene die PKU-Diät nicht mehr einhalten, leiden unter Symptomen wie schweren Depressionen, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen oder Konzentrationsschwäche. Der Leidensdruck sei groß, oft auch mit einer Berufsunfähigkeit verbunden. Viele von ihnen wüssten aber gar nicht, dass diese Symptome die Folge ihrer Stoffwechselerkrankung sind, sagt Hufgard-Leitner. Sie wurden als Jugendliche aus der Betreuung ihres Zentrums für angeborene Stoffwechselerkrankungen entlassen.

Das Projekt „Back to clinic“ möchte nach dieser, für die Medizin „verlorenen Generation“ suchen, um die Patientinnen und Patienten aufzuklären und sie beim Wiedereinstieg in die PKU-Diät zu begleiten. Laut Schätzungen müssten in Österreich 700 Menschen mit PKU leben, 200 davon ohne medizinische Betreuung. Darunter dürften sich mehr Männer als Frauen befinden. Denn Frauen würden oft im Rahmen einer Schwangerschaft wieder als PKU-Patientinnen entdeckt und erneut in die medizinische Betreuung aufgenommen, sagt Hufgard-Leitner.

Diagnose unmittelbar nach der Geburt

In Österreich gibt es vier Zentren für angeborene Stoffwechselerkrankunegn: im LKH Salzburg, im LKH Graz, an der Universitätsklinik Innsbruck und am Wiener AKH. Ob ein Neugeborenes von PKU oder einer anderen angeborenen Stoffwechselerkrankung betroffen ist, wird in Österreich im Rahmen des Neugeborenenscreenings untersucht. In Österreich ist eines von 10.000 Neugeborenen betroffen. Wegen der niedrigen Verbreitung zählt PKU zu den Seltenen Erkrankungen.