Szene einer Geburt: Aausschnitt aus Universum History „Ein Leben als Hebamme – Geburtshilfe im 17. Jahrhundert“
ORF/ZDF/Raimonds Birkenfelds
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Hebammen

Verehrt, verteufelt und verfolgt

Jahrtausendelang sind Hebammen hochgeachtete Mitglieder menschlicher Gesellschaften gewesen. Im Mittelalter jedoch wurden sie von der katholischen Kirche als Hexen diffamiert und verfolgt. Danach beanspruchten die Männer mehr und mehr die Geburtshilfe für sich.

Im antiken Mittelmeer-Raum genossen Hebammen und heilkundige Frauen hohe Wertschätzung. Die Geburt wurde nicht als Krankheit verstanden, sondern als normaler natürlicher Akt, der von erfahrenen Hebammen begleitet wurde. Für Sokrates, dessen Mutter Hebamme gewesen ist, besteht die Aufgabe der Geburtshelferinnen in der Reduktion der Wehen, der Entbindung, der Ehevermittlung und auch der Abtreibung. Vor allem im antiken Ägypten und Griechenland verfügte man schon über hohes, medizinisches Wissen, der menschliche Körper wurde durch Sezieren auch von innen erforscht.

Im christlichen Teil Europas war das bis ins 16. Jahrhundert seitens der katholischen Kirche untersagt. Neben Hebammen gab es auch höher qualifizierte Geburtshelferinnen, die auch kleine, operative Eingriffe vornahmen. An der Medizinschule von Salerno in Süditalien waren Frauen zugelassen. Herausragende Persönlichkeit war die Ärztin und Chirurgin Trotula oder Trota, die das später auch für Ärzte wegweisende Buch „De passionibus mulierum“ verfasste.

Römische Reliefschnitzerei: Eine Schwangere bereitet sich mit einer Hebamme auf die Geburt vor
Römische Reliefschnitzerei: Gebärdende mit Hebamme und Baby

Christliches Europa – Wissenschaft und Weiberkunst

Während antike Ärztinnen und Hebammen die Kunst des Dammschnitts beherrschten, mit Opiaten zur Schmerzbekämpfung während der Geburt experimentierten, „verharrte das übrige Europa nördlich der Alpen in Aberglaube und Unwissenheit, gefangen in der Enge der Vorschriften einer alles überwachenden katholischen Kirche“, so die Historikerin Susanne Dieterich in ihrem Buch „Weise Frau. Hebamme, Hexe und Doktorin“, einer Kulturgeschichte weiblicher Heilkunst. Frauen waren von Bildung weitgehend ausgeschlossen, männlichen Medizinern verboten die kirchlichen Moralvorstellungen den Anblick und das Berühren des weiblichen Geschlechts.

„So hat sich im christlichen Kulturraum rund um den Bereich von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ein autonomer weiblicher Handlungsraum ausgebildet: Frauen waren unter sich, die Geburt schuf einen intimen und rituellen Erfahrungsbereich zwischen Gebärenden und ihren Helferinnen. Daraus hat sich der Beruf der Hebamme entwickelt“, schreibt die Historikerin Alexandra Schmidt in ihrem Buch „Das Mystische wird bleiben – zur Kulturgeschichte der Geburt in Kärnten“.

Darstellung einer Heilerin aus dem 14. Jahrhundert, die Trotula sein könnte
Darstellung einer Heilerin aus dem 14. Jahrhundert, die Trotula sein könnte

Mittelalter – Eiszeit des Geistes

Diese Monopolstellung verlieh Hebammen eine Form der Macht und Anerkennung, die den kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten ein Dorn im Auge war. Denn die gesellschaftlich hochgeachteten Frauen leisteten über Jahrhunderte nicht nur Geburtshilfe, sondern verfügten auch über Wissen und Fähigkeiten zu Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbruch.

„Die Hebammen gerieten ins Visier der Kirche, da sie sich mit ihren Fähigkeiten in der Grauzone zwischen gynäkologischem Wissen und dem Vertrauen auf magische Rituale bewegten. Im Volksglauben waren sie Mittlerinnen zwischen guten und bösen Geistern und galten als Eingeweihte in die Geheimnisse der Natur“, so die Historikerin Schmidt. Das sah die katholische Kirche als Bedrohung: In einer päpstlichen Bulle und dem 1486 erschienenen Hexenhammer Malleus Malleficarum hieß es schließlich, niemand schade dem katholischen Glauben mehr als die Hebammen-Hexen.

Hildegard von Bingen beschrieb im 13. Jahrhundert die Sexualität noch als zum ehrenvollen Urzustand der Frau und des Mannes gehörig, als „genitura mystica“. Doch katholische Theologen wie Thomas von Aquin predigten ein offen frauenfeindliches Bild, beschrieben „das Weib als eine Missgeburt der Natur“, anfällig für Zauber, Hexerei und schwarze Magie. Den Hexen wurde sexuelles Treiben mit Dämonen und dem Teufel selbst vorgeworfen. Auch der Reformator Martin Luther schrieb über die Hexen, er „hätte sie selber gern verbrennt“.

Rennaissance – Blütezeit der Frauenfeindlichkeit

Pest, Hungersnöte, Seuchen und der Dreißigjährige Krieg erschütterten das Europa des Spätmittelalters und dezimierten die Bevölkerung dramatisch. Das „christliche Abendland“ schlitterte in eine Identitätskrise. Der Zorn entlud sich auf dem Rücken von Männern und Frauen, die man mit ihrem angeblich schädigenden Zauber für alles Leid verantwortlich machte: Zauberer und Hexen. Die katholische Frauenfeindlichkeit löste die über drei Jahrhunderte dauernden Hexenverfolgungen aus, ein besonders dunkles Kapitel europäischer Geschichte.

Die Hebammen rückten gleich doppelt ins Visier der Obrigkeit. Der durch die Kirche angestachelte Zorn der Menschen, die Sündenböcke für ihr Leid benötigten, war nicht die einzige Gefahr. Den absolutistischen Herrschern waren durch Kriege und Seuchen auch ihr wichtigstes Kapital abhandengekommen: Menschen, und zwar Männer: Steuerzahler, Soldaten, Arbeitskräfte.

Eine Frau wird 1447 vor den Mauern von Willisau, einer kleinen Stadt in der Schweit, als angebliche Hexe verbrannt.
Eine Frau wird 1447 vor den Mauern von Willisau, einer kleinen Stadt in der Schweiz, als angebliche Hexe verbrannt

Für die feministische Sozialwissenschafterin und Käthe-Leichter-Preisträgerin Lisbeth N. Trallori kam es in diesen 300 Jahren zu einer unheilvollen Allianz zwischen Kirche und weltlicher Obrigkeit gegen die Frauen. „Es gab die Angst, dass sich die Menschen gegen die Feudalherrschaft und die Herrschaft der Kirche auflehnen könnten, und so wurden Gesetze geschaffen, die den Grundstein legten für einen Vernichtungsfeldzug gegen Frauen. Denn sie wussten Bescheid über Geburtenkontrolle, Abtreibung und Verhütung.“

In ihrem Werk „Vom Lieben und vom Töten. Zur Geschichte patriarchaler Fortpflanzungskontrolle“ untersucht sie, wie Kirche und Staat, „also das Patriarchat, die Fähigkeit des Menschen durch sexuelle Vereinigung neues Leben hervorzubringen, für ihre Machtinteressen missbraucht haben“. Maximillian I. und Karl V. erließen Gesetze, die für jede Form der Geburtenkontrolle, der Verhütung und Abtreibung mit dem Tode bestraften. Nur noch Hebammen, die sich zum Christentum bekannten, durften arbeiten. Die Prüfung mussten sie vor Männern ablegen, die weder vom Gebären noch vom weiblichen Körper eine Ahnung hatten. Und sie wurden gezwungen, der Kirche alle Kinder und Fehlgeburten zu melden – denn Staat und Kirche nutzten die Hebammen, um Kontrolle über das Geburtsgeschehen zu erlangen.

Schleichende Technisierung: Männer, Messer, Zangen

Im 18. und 19. Jahrhundert kam es durch die Fortschritte in Wissenschaft und Medizin zu einer neuen Kultur des Gebärens. „Ärzte beanspruchten das Gebiet der Geburtshilfe für sich und drangen in die einstige Frauendomäne ein", resümierte Historikerin Schmidt. Ärzte, Wundärzte und Chirurgen strebten danach, sich als vorrangige Autoritäten zu etablieren und die Hebammen zu ihren Erfüllungsgehilfinnen zu degradieren.

Schmidt zitiert in ihrem Buch „Das Mysterium wird bleiben“ den langjährigen Leiter der Semmelweis-Klinik in Wien, Alfred Rockenschaub: „Mit der Einmischung der Wundärzte in die Geburt vor 300 Jahren verkam die Hebammenkunst zum Entbindungshandwerk.“ Die Ärzte nutzten das von Hebammen aufgezeichnete Wissen und entwickelten eine eigene „Chirurgie des Unterleibs“, wie Schmidt es bezeichnet. Es folgte ein schleichender Prozess der Technisierung der Geburt: Die im 16. Jahrhundert von Männern entwickelte Geburtszange beispielsweise galt lange Zeit als Symbol männlicher Geburtshilfe. Im 19. Jahrhundert wurden durch den Kaiserschnitt mehr Leben vernichtet als gerettet.

Trailer zu „Universum History“ vom 6. März

Semmelweis – Pionier der Geburtshilfe

Der Chirurg und Geburtshelfer Semmelweis leitete 1846 die Abteilung für Geburtshilfe des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Es gab zwei Abteilungen, in einer führten Hebammenschülerinnen die Entbindungen durch, an der anderen Ärzte und Medizinstudenten. Die Sterberate der Mütter in jener Abteilung, an der die Ärzte Geburtshilfe leisteten, war erheblich höher.

Es dauerte, aber schließlich fand er den Grund: Die Studenten sezierten Leichen, gingen dann zu den Gebärenden und infizierten diese „mit an der Hand klebenden Cadavertheilen“. In einer großangelegten Studie untersuchte er die Wirkung von Chlorlösung als Desinfektionsmittel, die Betten und auch die Hände der Studenten wurden desinfiziert, und die Sterblichkeit der Mütter sank schlagartig von zwölf auf drei Prozent. Doch seine Entdeckung führte zu Widerspruch renommierter Ärzte und wurde nicht veröffentlicht.

Den weltweiten Siegeszug von Desinfektion und Antisepsis erlebte der später als „Retter der Mütter“ bezeichnete Pionier nicht mehr. Er wurde ohne Diagnose psychiatriert und starb in der Staatlichen Landesirrenanstalt Döbling unter mysteriösen Umständen.

„Drittes Reich“: Mutterkreuz und Rassenwahn

Paradoxerweise erfuhren die Hebammen als Berufsstand gerade während des Schreckensregimes der Nazis eine hohe Aufwertung des Berufsstandes. Schon zur Zeit des Austrofaschismus wurde von Müttern erwartet, ausschließlich der Familie, dem Staat und der Kirche zu dienen. Adolf Hitler erklärte die Mutterschaft schließlich „zum Schlachtfeld der Frau“. Und mit den Hebammen hatte er die „Hand an der Wiege“, wie es die Historikerin Schmidt formuliert.

Die Geburtenpolitik der Nazis mündete in besserer Ausbildung für die Hebammen, in Förderungen und Altersversorgung – und in Bespitzelung. Hebammen mussten alle Informationen über verdächtige Erbkrankheiten, Abtreibungen, Beeinträchtigungen und die sozialen Verhältnisse der Familie melden. Für diese „(…) Mühewaltung sind der Hebamme zwei Reichsmark als Entschädigung zu zahlen (…)“.

Schwester in einem Lebensborn-Heim, gehisste SS- und Hakenkreuz-Flaggen, 1943
Schwester in einem Lebensborn-Heim 1943

Schmidt bezeichnet die Entlohnung als besonders perfide, waren die Hebammen doch zumeist in einer prekären, finanziellen Situation. Nichtsdestotrotz trugen so auch die Hebammen im „Dritten Reich“ indirekt zur Umsetzung gynäkologischer Zwangsmaßnahmen bei, zur Selektion und Tötung von beeinträchtigten Neugeborenen im Zuge der NS-Euthanasie.

Heute: Hebammenwissenschaft

Medikamentöse Geburtseinleitung, Herztonüberwachung, Periduralanästhesie, Kaiserschnitt. All diese Errungenschaften haben ihre Berechtigung, und doch haben sich die Frauen in den letzten Jahrzehnten gegen die Instrumentalisierung der Geburt und die Herabwürdigung zum Gebärobjekt gewehrt. Die Rückbesinnung auf altes Hebammen- und Frauenwissen steht nicht im Gegensatz zu Fortschritt und Notfallmedizin, sondern wird auch von evidenzbasierten Studien gestützt. So empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 2018 die Eins-zu-eins-Betreuung von Schwangeren durch eine Hebamme vor, während und nach der Geburt.

Anne Wiedermann, Hebammenausbildnerin an der Fachhochschule Salzburg: „Studien beweisen, die Eins-zu-eins-Betreuung führt zu weniger Komplikationen, zu weniger Kaiserschnitten, zu weniger Periduralanästhesien, zu geringerem Schmerzmitteleinsatz.“ Wiedermann wird als erste Österreicherin eine Professur für Hebammenwissenschaft an der bayrischen Hochschule Landshut antreten. Denn die EU fordert in einer Richtlinie aus dem Jahr 2005 alle Mitgliedsländer auf, die Hebammenausbildung zu akademisieren.

Österreich bietet diese Ausbildung schon seit 13 Jahren, Deutschland ist Nachzügler. Wiedermann leistet somit akademische Geburtshilfe: „Die akademische Ausbildung ist nötig, damit sich Hebammen auch auf hohem wissenschaftlichem Niveau fortbilden, Studien lesen und recherchieren können. Die Tätigkeit der modernen Hebamme ist sehr komplex.“

Der Alltag in den Kreißsälen ist dennoch ein anderer. Der Wiener Landeshebammenverband schlägt Alarm: Bis zu drei, vier Geburten gleichzeitig müssen Hebammen betreuen, die Versorgung von Müttern und Kindern sei nicht gewährleistet. Die akademische Ausbildung und die Kooperation zwischen Hebammen und Ärzten auf Augenhöhe wird vielleicht helfen, diese Missstände bald zu beheben.