Eine weibliche Fliege Drosophila melanogaster
APA/MP-IMBA GRAPHICS DEPARTMENT
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Nervenzellen

Fliegen mit Super-Geruchssinn

Forscher haben eine interessante Beobachtung bei Fruchtfliegen gemacht: Wenn sie das natürliche Absterben einiger Sinneszellen während der Hirnentwicklung verhinderten, bildeten die Fliegen einen erweiterten Geruchssinn aus. Sie konnten sogar CO2 riechen.

Die Hirnentwicklung des Menschen geht mit einem großen Massensterben einher: Viele der neu entstandenen Nervenzellen zerstören sich selbst, in manchen Hirnregionen verschwinden auf diese Weise 50 Prozent der neuen Neuronen. Dieses „Aussortieren“ überzähliger Zellen klingt verschwenderisch, ist aber wichtig für die gesunde Hirnentwicklung.

Bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster findet ebenfalls ein solches Aussortieren statt, allerdings scheint dahinter auch eine Anpassung im Zuge ihrer Evolution zu stecken. Das berichten Forschende um Richard Benton von der Universität Lausanne mit Kollegen aus Großbritannien und Deutschland im Fachblatt „Science Advances“.

Das Team verhinderte durch genetische Manipulation, dass bestimmte Nervenzellen bei der Entwicklung des Geruchssinns der Fliegen den letzten Schritt des Selbstzerstörungsprogramms (Apoptose genannt) aktivierten. Anschließend beobachteten sie, wie sich diese „Zombie“-Zellen verhielten.

Wie Moskitos

Der Geruchssinn der Essigfliege beruht auf Härchen auf ihren Antennen, die Sinneszellen mit Rezeptoren für Duftstoffe enthalten. Diese Härchen entstehen jeweils aus einer Zelle, aus der durch Teilung vier Sinneszellen hervorgehen könnten. In den meisten Härchen sterben jedoch zwei davon ab. Bei den genetisch manipulierten Fliegen überlebten diese Nervenzellen: Überraschenderweise bildeten diese „Zombie“-Zellen Rezeptoren, stellten Verbindungen zum Gehirn her und konnten elektrische Signale übermitteln, wie Benton erläuterte. Allerdings stimmten ihre Eigenschaften nicht 100-prozentig mit jenen der überlebenden Sinneszellen überein.

Erstaunlicherweise bildeten einige dieser Zombie-Zellen Rezeptoren für CO2, die bei der (ausgewachsenen) Essigfliege sonst nicht vorkommen. Ein solcher Geruchssinn für CO2 kommt indes beim Moskito Anopheles gambiae vor, der Malaria übertragen kann. Die Moskitos können am CO2 den Atem von Menschen und Tieren erschnuppern.

Indem sie die Zerstörung bestimmter Geruchs-Sinneszellen bei der Essigfliege verhinderten, „löschten“ die Forscher quasi einen Unterschied im Geruchssinn der beiden Arten, deren letzter gemeinsamer Vorfahre vor rund 250 Millionen Jahren lebte. „Das deutet darauf hin, dass Veränderungen bei der Apoptose beteiligt waren an der evolutiven Anpassung von Mücken und Fruchtfliegen an ihre spezifische Umgebung“, so Benton.

“Reserve“-Zellen

Interessant ist auch die Beobachtung, dass die eigentlich zum Absterben bestimmten Zellen offenbar ihre Fähigkeit behalten haben, sich zu Sinneszellen weiter zu entwickeln. Womöglich spielen sie eine Rolle als „Reserve“ für künftige evolutive Anpassungen, sollten diese durch veränderte Bedingungen nötig werden.

Dass sich das programmierte Absterben von Nervenzellen auf ähnliche Weise auch beim Menschen verhindern ließe, beispielsweise um den Verlust von Neuronen durch Erkrankungen wie Alzheimer auszugleichen, schließt Benton allerdings aus. Der Großteil dieses Aussortierens geschehe während der Kindesentwicklung, neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer betreffen jedoch das ausgewachsene Gehirn – in einer Lebensphase, in der wenige Nervenzellen neu produziert und aussortiert werden.